Süddeutsche Zeitung

US-Kino: Debatte um Facebook-Film:Mit dem Stinkefinger

Für das amerikanische Publikum ist "The Social Network" die Geschichte eines Vertrauensbruchs - an einer Parabel über Datenhoheit und Privatsphäre ist man nicht interessiert. Dabei ist diese Ebene eine der wenigen Stärken des Facebook-Films.

Johannes Boie

Alles beginnt mit einem Moment der Verzweiflung. Der Student Mark Zuckerberg sitzt da, verlassen von der Frau, die ihm alles bedeutete. Er hackt sich in die Server verschiedener Studentenwohnheime seiner Eliteuniversität, klaut die digitalen Fotos der Studentinnen und entwirft eine Webseite, auf der man die Attraktivität der Mädchen vergleichen und bewerten kann. Datendiebstahl und pubertäre Spielchen legten also den Grundstein für die Karriere von Mark Zuckerberg, des jüngsten Milliardärs der Welt, den Hauptanteilseigner des sozialen Netzwerkes Facebook. Das zumindest könnte die deutsche Interpretation des Films "The Social Network" sein.

Wenn man den Film in den Sony-Studios in Los Angeles anschaut, bekommt man von amerikanischen Journalisten eine andere Interpretation geliefert. "Was für ein Idiot", sagen sie über Zuckerberg, und es ist unklar, ob sie den echten Zuckerberg meinen oder den aus dem Film. Viele der Journalisten, die zur Pressevorführung eingeladen wurden, haben den Mann schon persönlich getroffen. Der Datendiebstahl, den Zuckerberg in dem Film begeht und der tatsächlich ein erster Schritt zu seinem Erfolg war, interessiert niemanden. Ärgerlich finden viele Amerikaner stattdessen, wie Zuckerberg im Film seine Weggefährten hintergeht. Das amerikanische Publikum ist nicht an einer Parabel über Datenhoheit und Privatsphäre interessiert. Dass der Film diese Ebene trotzdem mitliefert, ist eine seiner wenigen Stärken.

Die europäische, insbesondere die deutsche Debatte um Datensicherheit und Privatsphäre im digitalen Raum findet in den USA bislang kaum statt. Tatsächlich blicken intellektuelle Amerikaner mit Neid auf die differenzierten Sichtweisen, in Deutschland. Die Bewunderung geht so weit, dass die Bundesrepublik in diesem Fall den USA als Vorbild dient. Technik, Innovation und Entwicklung sind im Facebook-Fall Produkte aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Zurückweisung, Kritik und Bedenken der deutsche Beitrag dazu.

Auf das Staunen folgte in Amerika allerdings schon bald Unverständnis. Zum Beispiel Ende August, als der Blog Gawker über Jens Best berichtete, der in Deutschland damit droht, alle Häuser, die nicht für Google Streetview fotografiert werden, persönlich abzulichten und ins Netz zu stellen. Damit zieht Best die Widersprüche der Hausbesitzer gegen Google Streetview ins Lächerliche. Und in Amerika wundert man sich: "In Deutschland legen Menschen Widerspruch gegen ihr Haus in Google Streetview ein?" Dabei sei die Software doch so praktisch.

Der amerikanische Pragmatismus im digitalen Raum - ganz gleich ob es um Streetview, Facebook, oder sonst eine neue Entwicklung bezieht - wird in Deutschland oft als Naivität und Oberflächlichkeit missverstanden. Deshalb dürfte "The Social Network" für Facebook im deutschen Markt eine größere Gefahr sein als im amerikanischen. Es ist weniger geschäftsschädigend, mit einem unsympathischen und unfreundlichen Nerd als Firmenchef assoziiert zu werden, als mit einem Datendieb ohne Gewissen. Außerdem lässt sich das amerikanische Imageproblem leichter beseitigen als die deutschen Vorwürfe. Zuckerberg kündigte am Freitag in der Fernseh-Talkshow von Oprah Winfrey eine 100 Millionen Dollar-Spende an öffentliche Schulen in Newark, New Jersey an. Dafür werde er einige von seinen persönlichen Facebook-Aktien verkaufen lassen.

Gleichzeitig haben Facebook-Sprecher mehrfach darauf hingewiesen, dass der Film nur ein Zeichen für die Relevanz des Netzwerkes sei, mehr nicht. Zuckerberg selbst sagte in Interviews, der Film sei "nur Fiktion". Der Produzent des Films Scott Rudin, erzählte in der New York Times, er habe während der Produktion versucht, das Team von Facebook auf dem Laufenden zu halten. Der stellvertretende Kommunikationschef von Facebook Elliot Schrage und Geschäftsführer Sheryl Sandberg hätten den Film gesehen und "nicht gemocht".

Ein sympathischer, kluger Junge und ein eiskalter Zuckerberg

Juristisch gesehen ist der Streifen durch das in den USA ausgeprägte Recht auf freie Meinungsäußerung abgesichert. Zuckerberg, so wie viele weitere in dem Film vorkommende, real existierende Personen, haben ihr Einverständnis nicht gegeben. Drehbuchautor Aaron Sorkin und Regisseur David Fincher verließen sich stattdessen auf das Buch "The Accidental Billionaires", das wiederum vor allem auf Gesprächen mit dem Mitbegründer von Facebook Eduardo Saverin, basiert. Saverin verklagte Facebook und Zuckerberg, nachdem er nach seinen Angaben von Zuckerberg aus dem Geschäft gedrängt worden sei. Er hält heute fünf Prozent an dem Unternehmen. Das würde derzeit bei einem Börsengang in etwa einer Milliarde Dollar entsprechen. Im Film ist Saverin ein sympathischer, kluger Junge der von einem eiskalten Zuckerberg hintergangen wird.

War es so? Der Film verhandelt im Prinzip noch mal dieselben Vorwürfe, um die sich schon Gerichte kümmerten: Nachprüfbar sind deshalb die juristischen Klagen gegen Facebook und Zuckerberg, und die Vergleiche, in denen sie endeten. Da ist "The Social Network" präzise. Auch die Handlung stimmt im Großen und Ganzen: Wie Facebook in Harvard von Zuckerberg entwickelt wurde, was voraus ging, was danach kam, all dies stimmt grundsätzlich mit der bekannten Geschichte des Netzwerkes überein. An vielen anderen Punkten ist die Geschichte jedoch so dramatisch erzählt, dass es schwerfällt, nicht an gezielte Verzerrung zu glauben. Da wird ein Ruderwettkampf schon mal mit Edvard Griegs "In der Halle des Bergkönigs" untermalt und im Stil David Finchers zur Metapher über Verlieren und Siegen ausgewalzt.

Kein Wunder, dass sich all jene, die in dem Film und im realen Leben juristisch gegen Zuckerberg vorgehen (oder vorgegangen sind), positiv über den Streifen geäußert haben, während Facebook offensichtlich keine Lust hat, zum Erfolg des Filmes beizutragen. Die ansonsten alltägliche Anfrage nach einer Werbekampagne auf der Webseite habe Facebook "im Prinzip mit dem Stinkefinger beantwortet", lässt sich ein anonymer Insider aus der Filmbranche in der New York Times zitieren. Auf lange Sicht wird "The Social Network" dem Mythos Zuckerberg kaum schaden. Nicht mehr jedenfalls als eine Webseite, auf der man die Attraktivität von Studentinnen vergleichen kann.

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Quelle:
SZ vom 29.09.2010/kar
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