US-Biotechnologie:Kunstleben unter Palmen

In San Diego: Showtime statt Showdown der US-Biotechnologie

VOLKER LEHMANN

Flugzeugträger, U-Boot-Flottenstützpunkte und eine vergitterte Grenze zu Mexiko: Im kalifornischen San Diego ist die Sicherheit so richtig zu Hause. "Das perfekte Klima für Biotechnologie" - so lautet die Eigenwerbung, die sich aber eher auf Palmen und die ewig scheinende Sonne bezieht. Dennoch stand das am Mittwoch beendete diesjährige Stelldichein der US-Biotechnologie-IndustrieOrganisation BIO ganz im Zeichen der Sicherheitsvorkehrungen. Eine bunt gewürfelte Koalition aus Gentechnologie- Kritikern hatte aus Protest eine "Biojustice"-Woche aufgerufen: Gerechtigkeit für das Leben. Der von manchen befürchtete, von anderen herbeigesehnte Showdown à la Seattle blieb jedoch aus. BIO-Industrielle und Kritiker blieben in ihren jeweiligen Paralleluniversen unter sich - nicht nur aufgrund der massiven Polizeikräfte.

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BIO, die Interessenvertretung der amerikanischen Biotechnologie- Industrie, repräsentiert vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen. Und so zeigte sich in San Diego einmal mehr, wie die Weiterentwicklung modernster Biotechnologien durch Profiterwartungen, vor allem im nordamerikanischen Arzneimittelmarkt, vorangetrieben wird. Dieser macht mit einem Jahresumsatz von 150 Milliarden Dollar die Hälfte des Weltmarkts aus. Bei der Aufteilung des Pharmakuchens fühlt sich die Biotechnologie-Industrie den großen Medikamentenherstellern innig verbunden. Wobei man sich einerseits als Avantgarde der Arzneimittelentwicklung gibt - denn "Big Pharma", wie die traditionellen Medikamentenhersteller im Branchenjargon fast abfällig genannt werden, sei zu unflexibel und wenig innovativ. Andererseits bleiben viele Technologiefirmen in der Rolle des Zuliefererbetriebs stecken - denn es gelingt weiterhin nur den wenigsten von ihnen, eigene Produkte auf den Markt zu bringen.

Die grüne Gentechnik spielt im Vergleich dazu - sowohl finanziell als auch vom technologischen Entwicklungsstand her betrachtet - bloß eine Nebenrolle. Auf dem Alternativkongress der Kritiker wurde aber immerhin deutlich, dass sich auch im Mutterland der Gentechnologie, wie vorher schon in Europa zu erleben, die Opposition hauptsächlich gegen genetisch modifizierte Pflanzen richtet. Auftrieb bescherte den Kritikern im letzten Jahr, Ironie der Globalisierung, ein genetisch veränderter Mais der französisch-deutschen Firma Aventis. Deren StarLink-Mais war, wegen möglicher Allergieeffekte, nur als Tierfutter zugelassen. Als die Umweltorganisation "Friends of the Earth" ihn auch in Produkten nachwies, die für den menschlichen Verzehr bestimmt waren, mussten Nahrungsmittelhersteller hastig über 300 Produkte aus den Regalen nehmen lassen. In einer für die Landwirtschaft beispiellosen Rückrufaktion wendete Aventis mehrere hundert Millionen Dollar auf, um den Mais von der Nahrungsmittelproduktion fern zu halten.

Inzwischen bewirtschaften amerikanische Landwirte drei Viertel der weltweiten Anbaufläche für Biotech-Pflanzen. Gleichzeitig haben sie immer weniger Wahlmöglichkeiten. Eine Studie des Wall Street Journals in diesem Frühjahr ergab, dass auch in den als "Gentechnik-frei" deklarierten Produkten des organischen Landbaus Spuren von biotechnologisch veränderten Pflanzen anzutreffen waren. Es sind darum nicht nur Umweltverbände, sondern vor allem die Bauern selbst, die protestieren. Beim Kritiker-Kongress hatten sich zahlreiche Vertreter von Familienbetrieben eingefunden, denen das Wasser jetzt schon bis zum Hals steht. Von den neuen Gentech-Pflanzen erwarten sie langfristig keine Ertragssteigerungen, sondern vielmehr eine Gefährdung der internationalen Absatzmärkte in Europa und Japan.

Der zunehmende Unmut über Biotech-Gewächse konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, wie schwer man sich in den USA - auch in technologiekritischen Kreisen - mit der Diskussion um die medizinischen Anwendungen von Biotechnologie tut. Bisher waren Zweifel am Nutzen der vorgeburtlichen Diagnostik von Erbkrankheiten, aber auch die Forschung an Embryonen verpönt. "Wer hier etwas zu kritisieren hatte, befand sich in einer Rolle, die das Entscheidungsrecht der Frau in Frage stellt", erklärt Martin Teitel, Direktor der Nichtregierungsorganisation "Council for Responsible Genetics". "Und das ist bei der Stärke und Militanz der Lebensschützer in den USA für fortschrittlich denkende Menschen unannehmbar." Wie zum Beweis dieser These mussten sich in San Diego BIO-Konferenzteilnehmer ebenso wie Demonstranten an blutigen Bildern vorbeizwängen, mit denen eine Hand voll Abtreibungsgegner, allesamt männlich, ihnen den Weg verstellte.

Der Embryo ist auch in den USA zu einem regulierungsbedürftigen Objekt der Wissenschaft geworden. Prinzipiell verbietet ein Bundesgesetz die Verwendung öffentlicher Gelder für alle Forschung, in der Embryonen verbraucht werden. Unter Präsident Bush hat zwar einerseits der Einfluss christlicher Kreise auf die Regierung zugenommenen - und damit ist auch der Ruf nach dem Schutz des ungeborenen Lebens lauter geworden. Andererseits finden sich eine Anzahl christlicher Republikaner, die Lebensschutz mit dem Gebrauch embryonaler Gewebe, zum Beispiel Stammzellen, für die Forschung vereinbaren können. Sie drängen auf die Aufhebung der Beschränkungen für öffentliche Förderung. Thommy Thompson, Staatssekretär für Gesundheit und Anti-Abtreibungs- Republikaner, versprach, dass es noch bis Mitte Juli zu einer Entscheidung kommen werde.

BIO plädiert für den Einsatz von embryonalen Stammzellen, und BIO- Präsident Carl Feldbaum gab in seiner Eröffnungsrede die Linie vor: "Den Glauben bewahren." Es sei wichtig, religiöse Werte und Normen anzuerkennen, aber auch, die Forschung voran zu treiben. "Wissenschaft ist eine Methode, kein Glauben. Beides schließt sich jedoch nicht aus."

Die Biotechnologie-Gemeinde bestärkte sich ihrerseits in dem Glauben an die Wissenschaft mit methodischer Sorgfalt: Symphonische Wogen begleiteten die lichtgewitternden Präsentationen über den Erfolg gentechnologisch hergestellter Medikamente. Dabei verfuhr man nach der seit Jahren von den einschlägigen PR-Firmen gepredigten Strategie, Menschen und deren Einzelschicksale in den Vordergrund zu rücken. Das Bedürfnis der Branche nach Selbstvergewisserung erscheint besonders plausibel, wenn ein nüchterner Blick auf die Finanzen geworfen wird. 90 Prozent der an den amerikanischen Börsen notierten Biotechnologie-Firmen schreiben rote Zahlen. Die Zeiten, in denen sich Gelder ohne Aussicht auf Rentabilität auf den Risikokapitalmärkten mobilisieren ließen, scheinen endgültig vorbei. "Biotechnologie-Investoren brauchen Geduld und Nerven aus Stahl", brachte Dylan Glenn, Sonderbeauftragter des Präsidenten die Lage auf den Punkt. "Als im März letzten Jahres Tony Blair und Bill Clinton ankündigten, über die Einschränkung von Patenten auf menschliche Gene nachzudenken, verlor die Biotech-Branche an einem Tag 50 Milliarden Dollar an Wert", erklärt Steve Burrell, einer der langjährigsten Förderer von Biotechnologie, die Achterbahn. "Wallstreet glaubte an ein Ende der Patente und hat die Technologie nicht verstanden."

Derartig verunsichernde Spekulationen sind vom neuen US-Präsidenten nicht zu erwarten. Nachdem er schon im Mai die nationale Woche der Biotechnologie ausrief, ließ George W. Bush auch in seiner Grußbotschaft an den BIO-Kongress keinen Zweifel an der Wichtigkeit der Biotechnologie für die US-amerikanische Wettbewerbsfähigkeit aufkommen. BIO ist jedoch mittlerweile zu einer internationalen Institution ausgewachsen, denn keine international agierende Firma oder industrielle Interessenvertretung kann es sich erlauben, dem amerikanischen Markt fern zu bleiben.

BIO ist deshalb auch ein Spiegelbild der Globalisierung. Sollte die Organisation in Zukunft zur Zielscheibe des auch in den USA aufkeimenden Globalisierungsunbehagens werden, wird man sich vielleicht bald an das letzte ungestörte Treffen erinnern. Das war vor zwei Jahren in Seattle.

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