Urteil zum Sampling im Hip-Hop:Warum das Graben in alten Plattenkisten künftig erlaubt ist

Pelham vs. Kraftwerk, Bundesverfassungsgericht verkündet Urteil zu Sampling

Hip-Hopper Moses Pelham beruft sich im Sampling-Streit mit der Band Kraftwerk auf die Kunstfreiheit - und hat nun vorerst recht bekommen.

(Foto: dpa)

Moses Pelham gewinnt im Sampling-Streit gegen die Band Kraftwerk. Das Gericht in Karlsruhe empfiehlt aber auch: Wer mit fremder Musik die Charts stürmt, soll zahlen.

Analyse von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wer befürchtet hatte, die Karlsruher Verfassungsrichter würden Musikgenres wie Hip-Hop und Drum 'n' Bass schon deshalb mit spitzen Fingern anfassen, weil sie doch eher in der Klassik zu Hause seien, der wird seine Vorurteile neu sortieren müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat ein Grundsatzurteil gefällt, das einer Musikproduktion die Tür öffnet, die mit Remixes, Loops und Sampling arbeitet - also mit einer so anarchischen wie kreativen Selbstbedienung der Künstler in den Werken der Musikgeschichte.

Der Klau von Beats und Bassläufen zur digitalen Erschaffung neuer musikalischer Werke ist grundsätzlich von der Kunstfreiheit geschützt. Die Musikproduzenten dürfen diesen kreativen Prozess nicht durch finanzielle Lizenzforderungen abwürgen, lautet das Fazit des Urteils.

Der Richterspruch ist das Ergebnis eines Streits zwischen der Gruppe Kraftwerk und dem Musikproduzenten Moses Pelham. Das Verfahren arbeitet sich seit mehr als anderthalb Jahrzehnten mit einer gewissen Zähigkeit durch die Rechtsgeschichte und ist - dazu später mehr - noch nicht zu Ende.

Kreativ - aber auch kostengünstig

Kraftwerk wollte Pelham die Verwendung einer Zwei-Sekunden-Sequenz aus ihrem Stück "Metall auf Metall" untersagen lassen, ein unter den Bedingungen der 70er Jahre mühevoll hergestellter und für das Original prägender metallischer Sound. Pelham hat daraus einen Loop für den Song "Nur mir" von Sabrina Setlur gemacht, weil man das im Hip-Hop eben so macht: Man mixt neue Stücke aus alten Sounds. Das ist kreativ. Aber eben auch kostengünstig. Von der Möglichkeit zur "freien Benutzung" im Urheberrecht war dies nicht gedeckt - weil die Rechtsprechung hier bisher sehr engherzig war. Entscheidend war, ob eine Tonsequenz in "gleichwertiger Weise" nachgespielt werden kann. Das war ein widersinniges und nun zu Recht verworfenes Kriterium, weil damit ausgerechnet die besonders aufwendig hergestellten Sounds ungeschützt waren.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht - als Berichterstatter war Andreas Paulus zuständig - hat den Fall nun mit einer, so muss man das hier formulieren, kunstvollen Grundrechtsabwägung gelöst. Sie beginnt mit der "kunstspezifischen" Betrachtung. Das heißt: Man muss die Kunst so nehmen, wie sie ist. Wenn ein kreativer Prozess nun mal im digitalen Sampling vorhandener Töne besteht, kann der Richter den Künstler nicht darauf verweisen, dass er ja auch ein Streichquartett einspielen könnte. Ein Leistungsschutzrecht, das jegliche Verwendung auch kleinster Tonschnipsel unterbinden oder an hohe Lizenzforderungen knüpfen könnte, gäbe dem Musikproduzenten eine "Verbotsmacht" in die Hand. "Damit könnte er aber die Schöpfung neuer Kunstwerke verhindern, die durch die Kunstfreiheit geschützt sind", heißt es in dem Urteil. "Hip-Hop ist dann nicht mehr möglich", hatte Pelham in der Verhandlung im November gesagt.

Das Urteil ist damit die höchstrichterliche Würdigung künstlerischer Schaffensprozesse, die lange vor dem Aufkommen des Hip-Hop begonnen haben. Schon in den 1930er Jahren arbeitete etwa der Berliner Filmregisseur Walter Ruttman mit experimentellen Klangkompositionen - freilich aus zusammenmontierten Alltagsgeräuschen, also kein Problem für das Urheberrecht. Die Verwendung von Loops, also wiederkehrender Schleifen, findet man nach dem Zweiten Weltkrieg etwa in der "Eisenbahnstudie" des Komponisten Pierre Schaeffer. In den 60er Jahren begann Karlheinz Stockhausen, nach diesem Prinzip nicht nur mit Alltagsgeräuschen, sondern auch mit Musik zu arbeiten.

Musiker, Maler und Literaten haben sich schon immer aus dem kulturellen Fundus bedient

Mit der Entstehung von Hip-Hop und Drum 'n' Bass hielt das Sampling Einzug in die populäre Musik. Wer neue Stücke einspielen wollte, begann mit der Suche nach originellen, seltenen und unverbrauchten Musiksequenzen, um daraus Neues zu mischen - "Diggin' in the Crates", das Graben in alten Plattenkisten. Dabei spielt die digital rearrangierte Musik mit dem kulturellen Gedächtnis: Samples aus bekannten Stücken wirken einerseits vertraut, andererseits aufgefrischt durch den neuen Kontext.

"Das Neue entsteht nicht aus dem Nichts, sondern leitet sich aus dem Fundus des Vorhandenen ab", schreibt der Soziologe und Blogger Georg Fischer - und umschreibt damit zugleich, dass das Sampling gar nicht so weit von jeglicher Kulturproduktion entfernt ist: Musiker, Maler und Literaten haben sich schon immer aus dem kulturellen Fundus bedient - zwischen Hommage und Abgrenzung, Zitat und Reformulierung.

Zur richterlichen Abwägung gehört aber auch die andere Seite - die Berücksichtigung der Eigentumsinteressen der Musikproduzenten. Dazu sagt das Gericht dreierlei. Erstens bedeutet das übliche Sampling mit kleinen Musikfetzen zwar eine finanzielle Ersparnis für den Künstler, aber keine wirtschaftliche Einbuße für den Produzenten - weil die übernommene Sequenz ja im Original vorhanden bleibt. Der Schutz des geistigen Eigentums umfasse eben nicht jede denkbare wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit, sondern solle lediglich sicherstellen, dass dem Produzenten unter dem Strich ein "angemessenes Entgelt" verbleibe, befindet das Gericht.

Chartstürmer werden möglicherweise zur Kasse gebeten

Zweitens: Sollte das Original so schamlos ausgebeutet werden, dass es doch Schaden nimmt, könnte das Sampling immer noch verboten werden. Und drittens, in den Worten des Senatsvorsitzenden Ferdinand Kirchhof: "Dem Gesetzgeber ist es allerdings nicht verwehrt, künftig in Fällen eines nennenswerten Einsatzes fremder Tonstücke eine Entgeltpflicht des Verwenders vorzusehen, die sich durchaus am wirtschaftlichen Ertrag des neu geschaffenen Musikwerks orientieren könnte." Man kann dies als ausdrückliche Einladung an den Bundestag ansehen, wenigstens jene Sampler zugunsten des Produzenten zur Kasse zu bitten, die, geschmückt mit fremden Federn, die Charts stürmen.

Kunstfreiheit, geistiges Eigentum, Gesetzesreform - eigentlich wäre damit alles gesagt. Gleichwohl stehen dem Verfahren womöglich noch mehrere Stationen bevor, die es in sich haben können. Zunächst geht es zurück zum Bundesgerichtshof, der das Urheberrecht - das nach seinen Buchstaben unangetastet geblieben ist - nun so auslegen muss, dass es zu den neuen Vorgaben passt. Das wäre nicht so schwer, stünde nicht die EU-Richtlinie zum Urheberrecht im Hintergrund. Einerseits klingt die Richtlinie ein wenig produzentenfreundlicher als das, was Karlsruhe nun zum Schutz des geistigen Eigentums geschrieben hat, andererseits ist die Kunstfreiheit auch in der EU-Grundrechtecharta verankert.

Kurzum: Der Fall könnte vom Bundesgerichtshof zum Europäischen Gerichtshof wandern und dann wieder zurück nach Karlsruhe. Man sieht sich dann im Jahr 2020 oder so.

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