Urteil zu Vaterschaftstests:Unwiderlegliche Beweise

Ist mein Kind mein Kind? Die Praxis der Vaterschaftstests führt zu Machtverschiebungen zwischen den Elternteilen. Zur Geschichte eines Zweifels.

Andreas Bernard

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 13. Februar heimliche Vaterschaftstests untersagt, zugleich aber eine gesetzliche Neuregelung angemahnt, die dem Recht der gesetzlichen Väter Rechnung trägt, Aufklärung über die Abstammung ihrer Kinder zu erhalten.

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(Foto: Foto: ddp)

Am Dienstag hat Justizministerin Zypries ihren Gesetzentwurf vorgelegt, der erstmalig einen solchen eigenständigen Anspruch der Väter auf Feststellung ihrer Vaterschaft enthält. Bisher ist dies nur im Rahmen einer "Anfechtungsklage" möglich, bei der im Erfolgsfall das Kind seinen Unterhaltsanspruch und der Vater sein Sorgerecht verliert.

Was bedeutet es für das Verhältnis zwischen Mann und Frau, aber auch für die dramatische Inszenierung von Familienkonflikten, dass Vaterschaft nach Jahrtausenden des Zweifels nun eine problemlos zu bestimmende Kategorie geworden ist?

Die großen Dramen

Im Theater des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren unklare Vaterschaften ein prominenter Gegenstand. Wenn bei Henrik Ibsen - ob in "Die Stützen der Gesellschaft", den "Gespenstern" oder in der "Wildente" lang gehütete Geheimnisse der bürgerlichen Familie ans Licht kommen und ihre existenzbedrohende Wirkungen entfalten, dann ist der plötzlich auftauchende Zweifel an der Vaterschaft der verlässlichste Auslöser der Krise.

Konsul Bernick, Hauptmann Alving, der Fotograf Hjalmar Ekdal: Sie alle sind, wissentlich oder unwissentlich, falsche Väter, die das Drama in Gang bringen. Am konsequentesten hat diese Konstellation August Strindberg in seinem Stück "Der Vater" (1887) durchgespielt; hier mündet der Zweifel an der eigenen Vaterschaft in eine fundamentale Erkenntniskrise der Titelfigur und in die Zerrüttung der Vernunft.

In der Auseinandersetzung um die Erziehung der gemeinsamen Tochter sät Laura, die Ehefrau des Rittmeisters, Misstrauen: "Du weißt doch nicht, ob du Berthas Vater bist!" - "Das weiß ich nicht?" - "Nein, was keiner wissen kann, weißt du wohl auch nicht!"

Der Rittmeister erleidet eine regelrechte Vaterschaftsneurose: Obsessiv befragt er die Personen in seinem Haushalt, ob sie äußerliche Ähnlichkeiten zwischen ihm und Bertha erkennen, vom Hausarzt lässt er sich über die unsichere Bestimmung der Vaterschaft im Tierreich belehren.

Strindbergs Figur erscheint wie eine Illustration zu Freuds "Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose" (1909). Die Zwangskranken mit ihrer Vorliebe für die Unsicherheit und den Zweifel würden, so Freud, ihre Gedanken insbesondere an jene Themen heften, "wo unser Urteil durch Notwendigkeit dem Zweifel ausgesetzt bleiben mußte. Solche Themen sind vor allem: die Abstammung vom Vater, die Lebensdauer, das Leben nach dem Tode."

Lücke wissenschaftlich geschlossen

Um 1900 also erscheint die Bestimmung des Vaters als nahezu metaphysische Angelegenheit; der sichere wissenschaftliche Nachweis liegt in so unvorstellbarer Ferne wie die Kenntnis vom Leben nach dem Tode.

Im Jahre 1901 aber, 14 Jahre nach der Uraufführung des "Vaters", entdeckte der Wiener Arzt Karl Landsteiner bei Experimenten mit dem Agglutinierungsverhalten von Blut die Blutgruppen A, B, AB und 0 und ebnet so auch den Weg zum Abstammungsnachweis. Felix Bernstein klärte 1924 den Erbgang dieser Blutarten, das Verhältnis von dominant und rezessiv vererbten Gruppen.

So wurden sichere medizinische Gutachten in Vaterschaftsprozessen möglich und seit Ende der zwanziger Jahre regelmäßig vor Gericht eingesetzt (wobei nur ein "negativer" Nachweis mit völliger Gewissheit erfolgen konnte, also der Ausschluss eines Mannes als mutmaßlicher Vater).

Die medizinische Lücke des Abstammungsnachweises war die Möglichkeitsbedingung des spätbürgerlichen Dramas. In der Literatur des 20. Jahrhunderts gibt es keine bedeutenden Vaterschaftsdramen à la Ibsen und Strindberg mehr.

Wenn von 1924 an ein kurzer Test Auskunft darüber erteilt, dass die Blutgruppe des Familienoberhaupts und seiner Gattin 0 (rezessiv) ist, die der vermeintlichen Tochter aber B (dominant), kommt es nicht mehr zu langwierigen Familientragödien, sondern zu Alimentationsprozess und Scheidung. Mit der Etablierung der DNS-Analyse, des "genetischen Fingerabdrucks", wurde in den 1990er Jahren endgültig der zweifelsfreie positive Vaterschaftsnachweis möglich.

Von der Theater- auf die Fernsehbühne

Seitdem genügt eine Speichelprobe des Vaters und seines mutmaßlichen Kindes, reicht ein Wattestäbchen oder ein gebrauchter Schnuller, um innerhalb von drei Tagen und zu einem Preis von wenigen hundert Euro Gewissheit zu erlangen. Aus dem ewigen Rätsel, so unsagbar wie das eigene Sterbedatum, ist allein in Deutschland ein rund 50 000 Mal pro Jahr in Anspruch genommener Schnelltest im Labor geworden.

Wenn man sich fragt, welche Dramen diese neue Konstellation hundert Jahre nach dem Fin-de-Siècle-Theater hervorbringt, muss man nur einen Blick in das (nach-)mittägliche Fernsehprogramm werfen. In zahllosen Talkshows sowie in der von RTL 2 produzierten "Dokusoap" "Er oder Er" wurde das Thema Vaterschaft in den vergangenen Jahren verhandelt.

Hunderte Paare haben sich von Shows wie "Oliver Geissen" oder "Vera am Mittag" den Vaterschaftstest bezahlen lassen, um das Ergebnis im Gegenzug vor der Kamera präsentieren zu lassen. Dem alten Impuls des Zweifels, der wortreichen, um den blinden Fleck der Vaterschaft herum konzipierten Familientragödien sind Inszenierungen der unwiderleglichen Evidenz gefolgt.

In Zeiten des Routine-DNS-Abgleichs geht es um die mit einem Satz, mit einer Information hergestellte Gewissheit. Alle die zahllosen Talkshows wie die Serie "Er oder Er" sind auf denselben Fluchtpunkt ausgerichtet: auf den Augenblick, in dem der Moderator oder Arzt mit spannungsgeladenem Timbre in der Stimme sagt: "Ich öffne jetzt den Umschlag, in dem das Testergebnis steht."

Mehr Rechte für den Vater

Nicht mehr der Theaterdialog ist das passende Format für Vaterschaftsfragen; inszeniert wird die lange aufgeschobene, von dramaturgisch klug gesetzten Werbepausen unterbrochene Auflösung in Fernsehformaten, wie man sie von Preisverleihungen oder Casting-Shows kennt. Doch schiebt sich über diese Eindeutigkeit eine neue Form von Geheimnis, die nicht mehr die Vaterschaft selbst, sondern die Technik ihres Nachweises betrifft.

Denn die notwendigen Daten zur sicheren Ermittlung der verwandtschaftlichen Beziehung können von den heutigen Nachfahren Alvings, Ekdals oder des Rittmeisters ohne Wissen ihrer Kinder und Lebenspartnerinnen gesammelt werden. Anfang Februar wurde in München ein Stück des Schweizer Dramatikers Lukas Bärfuss uraufgeführt, "Die Probe".

Es setzte mit der jähen Erkenntnis eines jungen Mannes ein, nicht der Vater seines Sohnes zu sein. "Welche Macht heut in einer gebrauchten Zahnbürste liegt, einem Kaugummi, einem ausgerissenen Haar", sagt eine der Figuren im Stück zu einer anderen, "in allem liegt das Geheimnis deiner Herkunft."

Die Praxis des Vaterschaftstests führt zu Machtverschiebungen zwischen den Elternteilen. Wenn jahrtausendelang einzig die Mutter ihre Elternschaft zweifelsfrei bezeugen konnte, kann nun auch der Vater dieses Wissen, und zwar ohne Kenntnis seiner Partnerin, erwerben. Diese neue Situation birgt aber - drauf reagieren das Theater und die Fernsehshows - einen Konflikt in der Beziehung von Biologie und Justiz als den beiden gesellschaftlichen Legitimationsinstanzen von Verwandtschaft.

Die irritierende Inkongruenz zwischen medizinischer und juristischer Beglaubigung von Vaterschaft bleibt auch nach der neuen Gesetzesinitiative bis auf Weiteres bestehen, jedenfalls dort, wo ein heimlicher Vaterschaftstest im Spiel ist. Ein Mann kann im Besitz eines Testergebnisses sein, das seine Vaterschaft definitiv ausschließt; vor Gericht gilt er dennoch als leiblicher Vater.

Die Gesetzeslage hat sich noch nicht von der Regelung zu Ibsens und Strindbergs Zeit gelöst, von der "Rechtsvermutung der ehelichen Vaterschaft", die faktisch unwiderruflich war, wenn ein Kind innerhalb einer gültigen Ehe zur Welt kam. Das genetische Wissen hat dieses Recht längst überholt und die literarisch inszenierten Familienkonflikte fundamental verändert. Das behäbigere System der Justiz muss sich erst noch an die neuen Gegebenheiten anpassen.

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