Süddeutsche Zeitung

Ursprung des Orientalismus:Geplauder mit dem rosa Prinzen

Lesezeit: 4 min

Ein Gelehrter als Abenteurer als Held eines historischen Romans: Dirk Stermann erzählt von Joseph von Hammer-Purgstall und den Märchen aus Tausenundeiner Nacht.

Von Burkhard Müller

In einer Zeit, als es noch Abenteuer gab und fremde Welten, als die eigene Welt noch klein war und deshalb groß ..." So fangen Märchen an; und so auch der Roman "Der Hammer" von Dirk Stermann, in dem er die Lebensgeschichte von Joseph Hammer erzählt (später Joseph von Hammer-Purgstall), dem österreichischen Orientalisten, der erstmals eine komplette Fassung der Märchen aus Tausendundeiner Nacht fand und übersetzte. Wie sich im Fortgang des Buchs erweist, wird die kleine Welt so klein nicht bleiben, denn Hammer gehört zu den wenigen Europäern seiner Zeit, die das Morgenland bereisen und genau kennenlernen.

Und eigentlich ist sie ganz so klein auch von Anbeginn nicht: Joseph erblickt das Licht der Welt im Wien der Maria Theresia, einem der Macht- und Kulturzentren Europas. Stermann verfolgt dieses über achtzigjährige Leben auf seiner ganzen Länge, vom "Sprachknaben", der wegen seiner außerordentlichen Sprachbegabung und seines Fleißes eine Ausbildung als Dolmetscher für den diplomatischen Dienst erhält, bis zu seinem Ende als hochgeachteter Gelehrter. Bei allen Verdiensten wird Hammer, der sich als geborener Kleinbürger in einer vom Adel geprägten Umgebung schwertut, aber nie das Gefühl der Zurücksetzung los. Das gibt dem ganzen Lebenslauf einen bitteren Unterton.

Wer sich einem derartigen Stoff zuwendet, muss die grundsätzliche Entscheidung treffen, ob er dies in Gestalt einer Monografie oder eines historischen Romans tun will, eines Sachbuchs oder eines belletristischen Werks. Heinz Ohff hat sich vor Jahren, als er in "Der grüne Fürst" über den Fürsten Pückler-Muskau schrieb, eines Zeitgenossen von Hammer mit ähnlichem Hang zum Reisen durch den Orient, für die Monografie entschieden und ein ungemein lebendiges Buch produziert.

Stermann optiert für den Roman und macht sich die Sache damit deutlich schwerer. Denn ein historischer Roman muss zwei Dinge zugleich, die sich nur schwer unter einen Hut bringen lassen: Er muss den historischen Abstand wahren, in dem ja ganz wesentlich der Reiz seines Themas besteht; und gleichzeitig jene Art von aktueller Präsenz leisten, die der Leser nun einmal vom Genre des realistischen Romans erwartet.

Das Resultat besteht auch bei Stermann in einem modernen Duktus, der malerisch das alte Fremde ausbreitet. Malen kann man nur Gegenstände; und so tendieren diese Schilderungen zur Reihung von Substantiven. Gleich auf den ersten zwei Seiten haben ihren Auftritt unter anderen ein Schiffklampfelmacher, ein Wachskerzler, ein Landschaftssprachmeister, ein Stockfischwässerer, ein Kapaunhändler, ein Wachsbossierer, ein Wochenmelbler und ein Pfeifenkopferzeuger. Nicht was ein Schiffklampfelmacher eigentlich hervorbringt, ist von Interesse (das wird gar nicht erklärt), sondern dass es ihn damals gab und heute nicht mehr.

Auch das Drastische und Ekelhafte macht sich gut: die unerquicklichen sanitären Verhältnisse im Wien des späten 18. Jahrhunderts; der kolossale Appetit der Kaiserin, die so fett ist, dass das "adlige Walross", sechzehnfache Mutter, im rindslederbespannten Rollstuhl durch die Zimmerfluchten geschoben werden muss; die Ernährungsprobleme von Josephs Lehrer, dem ein ungeschickter Zahnarzt alle Zähne gezogen und dabei das Gaumendach perforiert hat, sodass dem Ärmsten die stinkenden Essensbrocken aus der Nase quellen.

Das Dilemma des historischen Romans kommt naturgemäß am stärksten bei den Dialogen zum Vorschein. Joseph spricht mit einem aristokratischen Gönner: "'Und die Damen?', fragte der Prinz. 'Wie hält er es mit der holden Weiblichkeit?' Joseph errötete. 'Meine Liebe gilt den Dichtern und Denkern des Orients.' 'Und wie bekommen Sie da Liebe zurück?' 'Durch den Blick in eine ferne Welt', sagte Joseph. 'Für den Sehnsüchtigen ist der Orient Zuhause.' "

Möglicherweise ist das zum Teil aus einem Briefwechsel geschöpft, denn die Quellen fließen reichlich, besonders Hammers Autobiografie. Aber so aus dem alten Rahmen gerissen und in die unbedingte Gegenwart des Hörbaren transponiert, klingt es merkwürdig ortlos: weder ganz gestrig, trotz der herablassenden Anrede in der dritten Person ("wie hält er es ..."), noch ganz heutig, weil das entsagungsvolle Ideal der Studierstube so keinen Platz im Leben mehr hat und die Konvention einer submissen Haltung nur noch als Kriecherei erscheinen kann.

Da würde wohl auch eine Justierung der Stellschrauben kaum etwas helfen, ein bisschen mehr Altertümelei oder ein bisschen mehr moderner Jargon; das Problem gehört der Gattung an. Auch der Missgriff des Titels, der auf Brachiales deutet, wo doch von jenem Menschen die Rede ist, der Goethe die Inspiration für seinen West-östlichen Divan geliefert hat, erklärt sich wohl aus deren Erfordernissen.

Das Buch enthält einige starke Porträts, etwa vom Prinzen von Ligne, genannt der rosarote Prinz, Josephs Gönner, der in einer Epoche, wo alles schon der Mode des Empire huldigt, knallrosa gekleidet mit einer Perücke alten Stils in einer rosa Kutsche durch die Stadt fährt und zum Schluss in einem rosa Sarg beerdigt wird.

Oder vom allwissenden Fürsten Metternich, keineswegs wie sonst zumeist als zynischer Bösewicht gezeichnet, sondern als derjenige, der den Laden zusammenhält, wo die anderen kopfscheu werden; mit seiner Augenklappe wirkt er fast piratenhaft. Metternich ist Josephs Vorgesetzter; und je hartnäckiger Joseph darauf pocht, dass ihm als bestem Kenner des Orients der Posten des Gesandten in Konstantinopel zustehe, desto klarer wird dem Leser (nur eben Joseph nicht), dass Metternich ihn als Diplomaten für gänzlich ungeeignet hält.

Bei all dem bleibt die Figur des Joseph Hammer selbst bemerkenswert blass. Das muss wohl so sein, denn er ist eben doch vor allem ein Gelehrter, den die Umstände seines Forschungsinteresses zum Abenteuer gebracht haben. Einmal trifft er auf Napoleon, der die Ausplünderung der Wiener Staatsbibliothek persönlich überwacht, und tritt ihm mannhaft entgegen. Napoleon hat gerade seinen guten Tag und lässt sich bereden, nur die Hälfte der orientalistischen Schätze zu stehlen.

Seine wirkliche Leistung aber, die stille unermüdliche Pionierarbeit bei der Erschließung fremder Literaturen, ist eigentlich nicht erzählbar und damit nicht romanfähig. Angesichts dieser beiden gewaltigen Hemmschuhe - der gewählten literarischen Form und der Eigenart des dargestellten Lebens - muss man trotzdem sagen, dass das Buch so gut geworden ist, wie es werden konnte.

Dirk Stermann: Der Hammer. Roman. Rowohlt Hundert Augen, Hamburg 2019. 443 Seiten, 24 Euro.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4687913
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.