Urheberrechtsstreit:Geniestreich oder Gemeinplatz

Ein Gericht muss entscheiden, ob der "Led Zeppelin"-Hit "Stairway to Heaven" ein Stück der Gruppe "Spirit" plagiiert.

Von Thomas Steinfeld

Es geht nur um einen Akkord. A-Moll heißt dieser Akkord, er wird als Zerlegung gespielt, wobei ihm eine in Halbtönen absteigende Basslinie unterlegt ist: von a nach gis und g, dann über fis zum f. Mit diesem Akkord beginnt "Stairway to Heaven", ein Lied, das die englische Gruppe Led Zeppelin im Dezember 1971 veröffentlichte und das seitdem den globalen Luftraum nicht mehr verlassen hat.

Die "Treppe zum Himmel" ist eines der meistgespielten Stücke aller Zeiten. Es ist aber nicht das einzige Lied, das mit einer Moll-Akkord-Zerlegung und einer chromatisch absteigenden Basslinie beginnt. Zwei Jahre, bevor "Led Zeppelin IV" erschien, das Album mit diesem Lied, publizierte die amerikanischen Band Spirit eine Langspielplatte, die einen Song namens "Taurus" enthält. Er beginnt, nach einem Vorspiel mit Streichinstrumenten, mit der gleichen Akkord-Zerlegung, der gleichen Phrasierung.

Falls die Ähnlichkeit dieser beiden Akkorde auf einem Diebstahl geistigen Eigentums beruht, falls der Gitarrist Jimmy Page und der Sänger Robert Plant also die Idee eines amerikanischen Kollegen kopiert haben sollten, liegt diese Tat fast fünfzig Jahre zurück. Viele Jahre bestand sie nur in einem Gerücht. Randy Wolfe ("Randy California"), der Komponist der amerikanischen Variante, starb vor bald zwanzig Jahren. Doch vor ein paar Wochen befand ein Richter in Los Angeles nach einer Klage der Erben Randy Wolfes, der Verdacht des Diebstahls sei zumindest nicht von der Hand zu weisen.

Die Musiker von Led Zeppelin streiten die frühe Bekanntschaft mit "Taurus" ab. Falls es nun nicht, wider Erwarten, zu einer außergerichtlichen Einigung kommt, wird am 10. Mai eine Jury darüber entscheiden, ob gestohlen worden sein soll oder nicht. Bei diesem Beschluss wird es nicht nur darum gehen, ob Randy Wolfe an den Tantiemen zu beteiligen sei, die "Stairway to Heaven" seinen Komponisten künftig noch einträgt - bisher sollen mehr als 500 Millionen Dollar eingenommen worden sein -, oder ob sein Name in den "credits" erwähnt werden muss. Sondern es wird daran auch zu erkennen sein, was in Zukunft als Plagiat gelten wird.

Wenn man genau hinhört, fallen, trotz der zunächst verblüffenden Ähnlichkeit, die Unterschiede auf

Eine Moll-Akkord-Zerlegung mit absteigender Basslinie ist keine Seltenheit. Im Lied "Something" von den Beatles, im Herbst 1969 veröffentlicht, wird ähnlich mit einem solchen Akkord umgegangen, wenngleich noch langsamer und mit einer anderen Phrasierung. Verfolgt man aber die Geschichte der Moll-Akkord-Zerlegungen mit absteigender Basslinie zurück bis in die Barockmusik, ist der Beispiele bald keine Ende mehr - was nicht erstaunt, weil beide Lieder, also "Stairway to Heaven" und "Taurus", auf eine Anmutung alter Musik hin angelegt sind (zu deren Zeiten man übrigens, hätte es damals schon ein Urheberrecht gegeben, aus den Gerichtsverfahren gar nicht mehr herausgekommen wäre). Wenn man genau hinhört, fallen, trotz der zunächst verblüffenden Ähnlichkeit der Akkordzerlegung, die Unterschiede auf: In "Stairway to Heaven" gibt es, parallel zur absteigenden Basslinie, eine aufsteigende Melodie im Diskant, der in "Taurus" allenfalls ein stehender Geigenton entspricht. Auch wird der Akkord harmonisch jeweils anders aufgelöst, er bekommt also musikalisch eine andere Funktion.

Die Ähnlichkeit, die zu Beginn gewollt erschien, gilt zwar für ein auffälliges und einprägsames, aber letztlich nur kleines Element dieser Kompositionen - bei denen man im Übrigen nicht verhehlen sollte, dass sie von ergreifender Schlichtheit sind. Es gäbe also Gründe für die Behauptung, Arpeggio und Basslinie seien Gemeingut. Ob die Jury ein solches Argument allerdings annehmen würde, ist eher zweifelhaft, weil amerikanische Jurys in ähnlichen Fällen nach dem "Gesamteindruck" urteilten - und dieser ist durch ein heutiges Verständnis von Plagiaten geprägt.

Jimmy Page

Jimmy Page, 1983 im Cow Palace, San Francisco.

(Foto: Dana Wullenwaber/CC BY-SA 2.0 )

Denn Gemeingut ist nicht nur schwankender, sondern auch schrumpfender Boden. Als das Album "Led Zeppelin IV" erschien, war Rockmusik zwar längst schon ein ebenso internationales wie straff organisiertes Geschäft (einschließlich der zugehörigen Drogen). Doch wurde dieses Unternehmen von einer Ideologie der allseitigen Befreiung, der Demokratisierung und der Offenheit überwölbt, die in Fragen des Eigentums - und gerade des geistigen Eigentums - von einiger Nachgiebigkeit war, zumal in musikalischen Genres, die nicht nur als volkstümlich galten, sondern auch als solche behandelt wurden: Noch heute unterscheiden die Verwertungsgesellschaften für Musik nach kulturell mehr oder weniger "bedeutenden" Werken, was niedrigere Tantiemen nicht nur für Rockmusik, sondern auch für Jazz zur Folge hat.

Es mag damals häufig vorgekommen sein, dass Menschen, die Errungenschaften anderer übernahmen, die Verhältnisse entspannter betrachteten als diejenigen, von denen sie übernommen wurden. Aber das schmälerte nicht die Kraft der Ideologie. Hinzu kam, dass die Musik als solche eine Entlehnung war: Jahre ihres damals noch jungen Lebens hatten vor allem die Gitarristen, hatten Keith Richards, Eric Clapton, Jeff Beck oder eben auch Jimmy Page mit dem Studium ihrer schwarzen amerikanischen Vorbilder verbracht und deren "licks" nachgespielt, bis in die feinsten Details der Intonation und der Phrasierung hinein.

Bei Led Zeppelin wurde offenbar so gründlich geübt, dass mehrere Urheberrechts-Prozesse aus diesem Studium hervorgingen. Umgekehrt wurden britische Gruppen, und zwar vor allem Led Zeppelin, zur Inspirationsquelle vieler amerikanischer Musiker, die eine lautere, aggressivere Spielweise bevorzugten. Der Versuch, unter solchen Umständen einen Anspruch als Urheber zu reklamieren, stößt zwar von Fall zu Fall auf hartes Material, gleicht aber, im Ganzen betrachtet, dem Projekt, einen Kopierschutz für Sandburgen zu beantragen - wobei der Sand für das allgemein um Umlauf befindliche musikalische Material steht.

Die Kategorie des geistigen Eigentums ist jedoch auf Ausdehnung angelegt. Randy Wolfe soll zwar die Ähnlichkeit zwischen "Stairway to Heaven" und "Taurus" als Übergriff auf sein eigenes Schaffen wahrgenommen haben, hatte aber wohl die Idee verworfen - vielleicht auch im Gedanken an die Kosten eines solchen Verfahrens -, selbst eine Klage wegen Verletzung des Urheberrechts einzureichen. Das Prinzip, jeden noch so naheliegenden Einfall als Ergebnis privater Arbeit und damit als Mittel zur Erlangung privaten Reichtums zu betrachten, scheint ihm jedenfalls nicht bedingungslos eingeleuchtet zu haben: Nach allem, was von ihm überliefert ist, war er in erster Linie Musiker.

Die Erben betrachten die Verhältnisse nun anders, reden aber nicht von Geld, sondern davon, dass dem toten Musiker eine Anerkennung gezollt werden sollte. Aus diesem Wunsch spricht ein aktuelles Verständnis vom Tatbestand des Plagiats: Es gilt weniger den Feinheiten des Plagiierens als der Vorstellung, dass dem kopierten Gegenstand eine "Physiognomie" innewohnt, "die als Signatur des Verfassers gewertet und wiedererkannt werden kann" (Philipp Theisohn). Und selbstverständlich trägt diese Signatur ein Preisschild. Denn der Wunsch nach Selbstbefreiung, aus dem sich die Ideologie einer generellen (und kostenlosen) Musikalisierung der Völkerschaften speiste, ging bald und bruchlos in die Selbstbefreiung der Märkte über.

Urheberrechtsstreit: Die inkriminierten Takte von "A Stairway to Heaven" (1971), darüber die (ältere) Parallelstelle aus "Taurus" der Band Spirit. Ist das ein Plagiat - oder ein seit Jahrhunderten üblicher Topos?

Die inkriminierten Takte von "A Stairway to Heaven" (1971), darüber die (ältere) Parallelstelle aus "Taurus" der Band Spirit. Ist das ein Plagiat - oder ein seit Jahrhunderten üblicher Topos?

(Foto: SZ)

Denn so, wie es auf der Welt schon seit geraumer Zeit kein materielles Ding mehr gibt, das nicht jemandem gehört, unter Ausschluss aller anderen, so geht es auch mit den geistigen und künstlerischen Errungenschaften: Grundsätzlich gibt es immer weniger Stoffe, die von der exklusiven Verfügung ausgeschlossen wären. Das liegt nicht an ihnen, sondern daran, dass es einen Zweck gibt, der kapitalistische Gesellschaften überhaupt erst zu solchen werden lässt, indem er alle möglichen Tätigkeiten, denen sich ein Mensch hingeben kann, ein- und demselben Prinzip unterwirft: der Vermehrung des privaten Reichtums. Seinetwegen ist sicherzustellen, und zwar unter staatlicher Obhut, dass auch kleine Werke, die zuvor gar nicht den Charakter von "Werken" hatten, sondern Gegenstände des allgemeinen Gebrauchs waren, einen irgend gearteten Ertrag erzielen.

Die Lizenzgebühr ist Ausdruck dieses Verhältnisses. Wer hin und wieder eine Musikalienhandlung besucht, wird miterleben, wie fiktiv, also den tatsächlichen Verhältnissen fremd, diese Konstruktion von Eigentum ist, auch wenn sie für viele Musiker die wichtigste Einkommensquelle (und damit die Grundlage eines bürgerlichen Berufs) darstellt: Ein Drittel des gitarristischen Nachwuchses spielt dort das Riff von "Smoke on the Water" von Deep Purple, das zweite Drittel beschäftigt sich mit "Nothing Else Matters" von Metallica, das letzte Drittel übt "Stairway to Heaven". Keiner dort denkt an das Urheberrecht, und gleichwohl ist in allen drei Fällen etwas geschehen, das nur auf Grundlage des Urheberrechts geschehen kann - dass nämlich endliche Arbeit unendlichen Lohn nach sich zieht.

Seit den Tagen des Punk ist keine künstlerische Äußerung mehr vor dem Urheberrecht sicher

Zu Urhebern im emphatischen Sinne wurden Rockmusiker - ihrem eigenen Verständnis zufolge, aber auch für die Begriffe der Gesellschaft und der Ökonomie - in dem Augenblick, in dem sie das Stadium der "wilden Produktion" (Heinrich Bosse) verließen und zu Künstlern wurden. Das wurden sie nicht, weil sie etwas anderes taten, als sie zuvor getan hatten, oder weil sie im Zuge der Professionalisierung der populären Musik zu besseren Instrumentalisten, zu besseren Sängern oder zu besseren Komponisten wurden. Sie wurden es, indem sie nicht nur Musik, sondern innerhalb der Musik musikalische Konzepte (oder anders gesagt: eine Produktionsästhetik) hervorbrachten. Das "Konzeptalbum", also etwa "Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band" oder "Tommy", der "Artrock", das Virtuosentum der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre, bildet dabei nur die Oberfläche einer grundlegenden Wandlung, in deren Folge sich Gemeingut in Werk und Werk in Recht übersetzte und eine Werkherrschaft auch in der populären Musik entstand - oder anders gesagt: in deren Folge diese Musik als Handelsobjekt erschlossen und als Investition bewirtschaftet wurde.

Der Punk, also die in den späten Siebzigern einsetzende Rückwendung der Rockmusik in den Dilettantismus ihrer Anfänge, war nur scheinbar ein Widerspruch zum Übergang des Tanzvergnügens in eine Kunst- und Rechtsform: Tatsächlich war der Punk die Radikalisierung und Verallgemeinerung des Kunstanspruchs. Er war Konzept, vom ersten Tag an. Seit jenen Tagen ist keine künstlerische Äußerung mehr vor dem Urheberrecht sicher, und das gilt um so mehr, als das Internet mit seinen unendlichen Vervielfältigungsmöglichkeiten zwar einen neuen Idealismus der freien Verfügbarkeit in die Welt setzte - dieser neue Idealismus aber, auf technisch überlegenem Niveau und in viel größerem Maßstab, genau das vollbringt, was schon der alte Idealismus (jener der universalen Musikalisierung in den Sechzigern und frühen Siebzigern) hervorbrachte: eine Ausweitung der Geschäftsgrundlage.

Im Dezember 2012 wurden Led Zeppelin, in Gestalt der drei überlebenden Mitglieder dieser Gruppe, die "Kennedy Center Honors" verliehen, eine Auszeichnung für "außerordentliche Beiträge zur amerikanischen Kultur". David Letterman bekannte bei dieser Gelegenheit, seine "Jungfräulichkeit" zum Klang der ersten zwei Minuten von "Stairway to Heaven" verloren zu haben, Präsident Obama hielt die Rede auf die Preisträger. Daraufhin spielten amerikanische Musiker einige der bekanntesten Lieder von Led Zeppelin: die Foo Fighters, Lenny Kravitz, Kid Rock. Am Ende sangen die Schwestern Wilson, bekannter unter dem Namen ihrer Gruppe Heart und begleitet von einem Streichorchester und einem Gospelchor, "Stairway to Heaven". Robert Plant weinte. Er weinte nicht über einen gelungenen Diebstahl. Er weinte aus Rührung über ein Werk, das ihm unbedingt als seines erschien.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: