Urheberrecht:Kampf der Welten

Die EU will den Leistungsschutz reformieren. Es geht unter anderem um Verwertung von Presseartikeln. Kritiker warnen, die neue Richtlinie könnte das freie Netz gefährden.

Von Thomas Kirchner

Selten hatte das Europäische Parlament über eine Vorlage zu befinden, die so kompliziert und in ihren Auswirkungen so weitreichend und diffus ist. Die Urheberrechtsreform, die an diesem Mittwoch zur Abstimmung im federführenden Rechtsausschuss steht, werde im Detail von vielleicht sieben Menschen im Hohen Haus verstanden, sagen Eingeweihte. Und selten war eine Vorlage auch noch derart umstritten. Zwei Lager stehen sich gegenüber, zwei Welten. Gekämpft wird mit harten Bandagen und allen Tricks, bis zur letzten Minute. Der Ausgang ist offen.

Das eine Lager wähnt sich im heroischen Kampf gegen die Internet-Giganten, für den "Fortbestand des Qualitätsjournalismus" und der Demokratie, das andere warnt vor "Zensur", dem "Ende des freien Internets" und einer "Link-Steuer". Das Framing, die Besetzung und Verbreitung der Begriffe, ist Teil des Spiels, bei dem die "Netzgemeinde" naturgemäß im Vorteil ist. Hunderte E-Mails, mit zum Teil abenteuerlichen Beschuldigungen und Drohungen und oft wortgleichen Aufforderungen, empfangen die befassten Abgeordneten dieser Tage. Und hier vor allem die beiden Protagonisten: der CDU-Abgeordnete Axel Voss, Berichterstatter des Ausschusses bei diesem Thema und somit derjenige, der die widerstreitenden Interessen in jenen Vorschlag münden ließ, über den nun abgestimmt wird, und die Piratin Julia Reda, die sich der Grünen-Fraktion angeschlossen hat und die Bewegung jener anführt, die um die Informations- und Meinungsfreiheit fürchten.

Die Reform, die der damalige EU-Digitalkommissar Günther Oettinger 2016 mit einem Vorschlag eingeleitet hat, soll das Urheberrecht an jüngste technische Entwicklungen anpassen. Einer der beiden zentralen Streitpunkte ist Artikel 11: Darin geht es um das neue Leistungsschutzrecht (LSR). Es soll Europas Presseverlegern ein eigenes Recht einräumen, wie es etwa Drehbuchautoren, Musiker und Filmemacher längst haben. Damit, so die Idee, könnten die Medienhäuser digitalen Plattformen, die Presseartikel oder Ausschnitte auf ihren Seiten verwenden, endlich auf Augenhöhe begegnen, sprich: mehr Geld heraushandeln. Voss will das LSR, und er will, dass Journalisten von den Erlösen etwas abbekommen. Das neue Recht sei vielleicht nicht die perfekte Lösung, räumt er ein, aber eine bessere kenne er nicht.

Reda verweist auf die Schutzrechte, die es in Spanien und Deutschland schon gibt und die den Verlegern außer Klagen und Streit mit Google bisher tatsächlich noch nichts eingebracht haben. Sie befürchtet, dass künftig simple Sätze aus Artikeln wie "Theresa May trifft Angela Merkel" geschützt werden könnten, und dass die Verleger beides wollten: von der Werbekraft der Links zu den Artikeln profitieren und dafür noch einmal extra kassieren. Den Begriff Link-Steuer hält sie für gerechtfertigt, auch wenn in Voss' Vorlage ausdrücklich steht, dass sich das neue Recht nicht auf Links bezieht. Als Beweis führt Reda ein niederländisches Urteil an, wonach Plattformen für den unter dem Link liegenden Inhalt verantwortlich gemacht werden können. Sie steht hinter einem Gegenvorschlag, der Verlagen nur bessere Möglichkeiten geben soll, Urheberrechtsverletzungen zu erkennen und einzuklagen.

Noch polemischer wird über Artikel 13 debattiert, der den "Value Gap", die Wertschöpfungslücke, schließen will: Gemeint ist, dass Youtube und andere Seiten von Nutzern hochgeladene Inhalte neu gruppieren, etwa zu Playlists, sie also veredeln und an der begleitenden Werbung viel Geld verdienen, das sie mit den Schöpfern der Inhalte nicht angemessen teilen. Voss will die Plattformen zwingen, künftig Lizenzen für solche Inhalte zu erwerben, was das Spielfeld enorm verändern würde, weil es eine Teilverantwortlichkeit für Inhalte einführt. Die Plattformen würden gezwungen, mögliche Urheberrechtsverletzungen ex ante auszuschließen, mit einer Erkennungssoftware, wie sie im Prinzip seit Jahren schon verwendet wird, um etwa die Zahl geklickter Songs zu bestimmen.

Reda sieht darin Upload-Filter, schlimmer: "Zensurmaschinen". Alle möglichen Plattformen - sogar unverdächtige wie Wikipedia, Tinder oder Github - würden gezwungen, im Vorhinein Lizenzen für alle möglichen geschützten Inhalte zu erwerben - aus ihrer Sicht nicht nur kaum praktikabel, sondern der Todesstoß für Start-ups und die Weiterentwicklung des Netzes. Kleinere Plattformen blieben auf der Strecke, weil sie sich die Filter nicht leisten könnten. Reda sieht die Gefahr, dass die Filter aus Angst vor Klagen immer zu scharf gestellt und somit auch legale Inhalte gelöscht werden könnten. Um das beabsichtigte Ziel zu erreichen, gebe es mildere und gleichzeitig wirksamere Mittel. Voss kontert: Die Lizenzierungspflicht werde explizit auf jene zehn Prozent der Plattformen beschränkt, die das machen, was Youtube macht, also von Nutzern hochgeladenen Content neu zu komponieren, der Öffentlichkeit zugänglich machen und damit in eine ähnliche Rolle zu schlüpfen wie ein Radiosender. "Alle anderen werden von der Reform nicht berührt." Schon gar nicht Wikipedia oder Tinder.

Der vor allem von deutschen Verlegern und Politikern ausgetragene Streit lässt sich auch als Kampf der Generationen skizzieren. Die Älteren und Konservativen, die von vielen Plattformen, die sie regulieren wollen, noch nicht einmal gehört haben, geschweige denn, dass sie diese je benutzen, stoßen auf die netzaffinen Jungen, die sich um die wunderbaren Gadgets und Ausdrucksmöglichkeiten sorgen, die ihnen meist kostenlos in den Schoß fallen. Dass dabei oft Rechte verletzt und Kreative um ihren Verdienst gebracht werden, ignorieren sie zwar nicht, glauben aber, man müsse das Problem anders lösen als mit der Keule neuer Schutzrechte.

Hinzu kommt eine persönliche Komponente. Voss, 55, ist erst spät in die Reform eingestiegen, er hat erkennbar keinen eigenen Bezug zur Netzwelt, ist ein eher zögerlicher, abwägender Jurist, der vor allem seinem Instinkt und der Überzeugung folgt, dass etwas getan werden muss, um Google und Co. Einhalt zu gebieten. In der digitalen Wirtschaft werde "kultureller Diebstahl" in großem Ausmaß begangen, das könne man nicht hinnehmen. Kritiker in Brüssel meinen, dass er auch den Einflüsterungen des Springer-Konzerns folgt. Reda, 31, wiederum kennt sich in der Netzwelt und der Netzpolitik von allen Beteiligten am besten aus, was ihrer Position erheblich mehr Durchschlagskraft verleiht.

Die Fraktionen im Parlament wiederum sind nicht auf einer Linie. Besonders Liberale und Sozialdemokraten finden sich in beiden Lagern. Voss selbst glaubte eine knappe Ausschussmehrheit hinter sich, zweifelt nun aber. Siegt sein Vorschlag, wird erwartet, dass Abgeordnete eine neue Abstimmung des gesamten Parlaments beantragen. Das Ergebnis wäre noch unberechenbarer - und der Sachverstand wohl noch dünner. Anschließend muss sich das Parlament mit den EU-Staaten einigen.

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