Süddeutsche Zeitung

Urheberrecht in der Musik:Schmaler Grat zwischen Hommage und Plagiat

Lesezeit: 2 min

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Pharrell Williams war nicht happy, als er das Gerichtsgebäude in Los Angeles verließ. Er war bitter enttäuscht, wie er später über seinen Anwalt Howard King ausrichten ließ: "Er ist noch immer unerschütterlich davon überzeugt, dieses Lied aus eigenem Herzen, eigenem Verstand und eigener Seele heraus erschaffen zu haben." Dieses Lied, das ist der Pop-Song "Blurred Lines" von Williams, Robin Thicke und T.I.

Der Sommerhit des Jahres 2013 ähnele zu sehr Marvin Gayes "Got to Give It Up" aus dem Jahr 1977, wie jetzt die Geschworenen des Bundesgerichtes entschieden haben. Williams und Thicke müssen fast 7,4 Millionen US-Dollar wegen Urheberrechtsverletzungen bezahlen. Der Prozess war auch deshalb interessant, weil er einen Einblick lieferte in den Entstehungsprozess kommerziell erfolgreicher Lieder.

Mit "Blurred Lines", das in 14 Ländern die Charts anführte und sich allein in den USA mehr als sieben Millionen Mal verkaufte, sollen Williams und Thicke jeweils mehr als sieben Millionen Dollar verdient haben. Die Gaye-Hinterbliebenen wollten dann auch nicht das Vermächtnis ihres Vaters beschneiden, indem "Blurred Lines" nie mehr im Radio gespielt werden darf und sämtliche Downloads und Konzerte verboten werden. Sie waren, das machte die Anklageschrift deutlich, vor allem an einer finanziellen Kompensation interessiert. Eine einstweilige Verfügung will der Anwalt der Gaye-Familie erst jetzt anstreben.

Für die Musikwelt ging es in diesem Prozess freilich um mehr. Williams sagte vor Gericht, die Erben würden darauf bestehen, nicht nur einen Song zu besitzen, sondern ein komplettes Genre: "Ich habe nicht kopiert, sondern nur gefühlt. Ich habe den Vibe der späten 70er Jahre kanalisiert."

Nicht nur in der Popmusik, auch in anderen Genres wie Hip-Hop und Heavy Metal sind die Linien verschwommen zwischen Hommage und Plagiat. Künstler beziehen sich aufeinander, schicken sich gegenseitig Referenzen, entwickeln Werke weiter. "The Message" von Grandmaster Flash and the Furios Five etwa ist eine politisierte Fortsetzung des Partyklassikers "Rapper's Delight" der Sugarhill Gang, "Jungle Boogie" von Kool and the Gang kommt in Liedern von Madonna, Janet Jackson und den Beastie Boys vor, James Brown und Public Enemy sind laut WhoSampled die am häufigsten zitierten Künstler.

Das gehört zur Musikgeschichte - mit dem einen Unterschied, dass diese Referenzen heutzutage in Datenbanken gesammelt sind. Jederzeit abrufbar, jederzeit überprüfbar. Mit dem zweiten Unterschied, dass Thicke und Williams ihre musikalische Hommage nicht versteckten, sondern den künstlerischen Wert ihres Werks dadurch erhöhen wollten, indem sie in zahlreichen Interviews damit prahlten, sich an Marvin Gaye orientiert zu haben. Und natürlich mit dem Unterschied, dass sich bei "Blurred Lines" eine Klage und ein langwieriges Gerichtsverfahren aufgrund der zu erwartenden Millionen tatsächlich lohnte.

Musikwissenschaftler und Anwälte erwarten nun, dass das Urteil weitere Klagen provozieren könnte.

Und letzlich geht es doch wieder um das künstlerische Potenzial. Williams' Anwalt Howard King sagte: "Dieses Urteil betrifft die Kreativität junger Menschen, die darauf hoffen, auf den Schultern anderer Musiker stehen und Kunst entwickeln zu dürfen." Sein Mandant Pharrell Williams hatte im vergangenen Jahr über seine Plattenfirma erlaubt, dass jeder seinen Song "Happy" verwenden und damit Videos drehen darf.

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