Süddeutsche Zeitung

Urheberrecht:"Die Dürre ist vorüber"

  • Zum ersten Mal seit 20 Jahren sind am Neujahrstag in den USA die Urheberrechte vieler Kunstwerke erloschen.
  • Filme, Gedichte, Bücher und Musikstücke, die im Jahr 1923 veröffentlicht wurden, werden damit gemeinfrei.
  • In den nächsten Jahren könnte auch die ersten Micky-Maus-Filme und F. Scott Fitzgeralds "Der Große Gatsby" frei zugänglich werden.

Von Jakob Maurer

Am Zeiger einer riesigen Uhr eines Wolkenkratzers herumzuzappeln, ist endlich völlig unbedenklich - zumindest was das Urheberrecht anbelangt. Denn in einem seit Jahrzehnten einmaligen Vorgang werden in den USA auf einen Schlag massenhaft Kunstwerke frei zugänglich, darunter auch der Stummfilmklassiker "Ausgerechnet Wolkenkratzer!" mit Harold Lloyds berühmter Szene.

Zum ersten Mal seit 20 Jahren sind am Neujahrstag in den USA die Urheberrechte vieler Kunstwerke erloschen. Mit dem Jahreswechsel gingen Filme, Gedichte, Bücher und Musikstücke, die im Jahr 1923 veröffentlicht wurden, in die Public Domain (Gemeinfreiheit) über. Jeder darf also die Kunstwerke beliebig vervielfältigen und verkaufen, öffentlich vorführen sowie künstlerisch be- und verarbeiten, etwa in einem Theaterstück. Zu den neuen urheberrechtsfreien Werken zählen Charlie Chaplins Stummfilmklassiker "Der Pilger" sowie Romane wie Agatha Christies "Mord auf dem Golfplatz". Besonders bedeutsam ist dieser Vorgang, weil er erstmals im digitalen Zeitalter geschieht: Über Internet-Plattformen wie YouTube oder Google Books könnten sie bald weltweit und kostenfrei abrufbar sein.

Selbst Micky Maus dürfte bald frei zugänglich werden

Ursprünglich hätten die Werke bereits 1999, 75 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, freigegeben worden sollen. Doch ein Jahr zuvor hatte der US-Kongress mit dem Erlass des Sonny Bono Copyright Term Extension Act deren Urheberrecht um 20 Jahre verlängert und den Prozess dadurch bis 2018 "eingefroren". Der vor 2019 letzte Stichtag liegt somit mehr als 21 Jahre zurück. Damals waren US-Werke von 1922 freigegeben worden. "Die Dürre ist vorüber", kommentierte das Zentrum zur Erforschung der Gemeinfreiheit in North Carolina den Vorgang auf seiner Homepage.

Das Gesetz, das zu dieser 20 Jahre langen Gemeinfreiheitspause geführt hat, wurde posthum nach dem US-Sänger und Kongress-Politiker Sonny Bono benannt, der für eine Verlängerung des Urheberrechts gekämpft hatte. Es erhielt jedoch die Beinamen Micky-Maus-Schutzgesetz und Lex Micky, da Kritiker darin eine Strategie von Disney sahen, das Copyright an der weltweit kommerziell erfolgreichen Zeichentrick-Maus sicherzustellen. Gegner sahen darin gar das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt.

Sollte es nun bei der Regelung von 1998 bleiben, könnte auch Micky Maus - zumindest in seinem frühesten Erscheinungsbild - bald gemeinfrei werden. Am 1. Januar 2024 läuft demnach das Urheberrecht für die Zeichentrickfilme "Plane Crazy" und "Steamboat Willie" aus, die 1928 veröffentlich wurden. In ihnen hat Micky Maus ihren ersten Auftritt.

Von vielen Seiten war deswegen befürchtet worden, dass vor Ablauf der 20 Jahre erneut über eine Verlängerung des US-Urheberrechts gestritten würde. Doch der Kongress veränderte die Bestimmung nicht. Das hat zur Folge, dass in den USA auch in den folgenden Jahren stets zum Neujahrstag Werke von vor 95 Jahren freigegeben werden: in zwei Jahren etwa F. Scott Fitzgeralds "Der Große Gatsby" und in den 2030er Jahren die Comic-Superhelden Superman und Batman.

International wird Neujahr bereits als Public Domain Day - als Tag der Gemeinfreiheit - gefeiert. In Deutschland ist das Urheberrecht von Kunstwerken über das Todesjahr des Schöpfers geregelt: Es endet 70 Jahre nach dem Tode des alleinigen Urhebers. 2019 gehen unter anderem Werke des Komikers Karl Valentin und des "rasenden Reporters" Egon Erwin Kisch in die Gemeinfreiheit über.

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SZ vom 04.01.2019/luch
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