Neue Städte:Stadt zu verkaufen, schlüsselfertig

Maidar Ecocity

Die Bevölkerung in der Mongolei wächst rasch, so entstand auch hier die Idee einer neuen Stadt. Illustration: Maidar Ecocity Masterplan

Saudi-Arabien baut am Roten Meer für 500 Milliarden Dollar die modernste Metropole der Welt. Stehen wir vor einem neuen Zeitalter der Retortenstädte?

Von Gerhard Matzig

Was siehst du? Auf der Homepage des "ehrgeizigsten Projektes der Welt", gemeint ist der 500 Milliarden Dollar teure Bau der futuristischen Megastadt "Neom", begegnet dem Besucher diese Frage: "What do you see?" Es gibt zwei Sichtweisen zu den Bildern, die diese Frage illustrieren. Wer jetzt genau das sieht, was die Fotos zeigen, also einen großen Haufen Sand und sehr viel Wasser am Roten Meer und sonst nichts, ist vermutlich ein Bewohner des skeptischen Abendlandes, beispielsweise ein Europäer. Dagegen erweist sich als Bewohner des Morgen- oder genauer: Übermorgenlandes, wer nun die Vision einer gigantischen Metropole vor sich hat. Neom soll das neue Babel sein.

Für die einen ist das ein urbanistischer Traum, eine titanische Vision. Den anderen stellt sich die Frage, ob das, was sich in Saudi-Arabien - wie derzeit an vielen Orten der Welt - als Städtebau der Zukunft andeutet, womöglich nur verrückt ist. Können die Städte der Zukunft so gebaut werden? Aus dem Nichts? Als Utopia am Reißbrett?

30 Mal Berlin: Das ist die Fläche, auf der die Stadt "Neom" Wirklichkeit werden soll

Neom ist ein englisch-arabischer Neologismus und soll so viel heißen wie "neue Zukunft", was den Begriff des "Übermorgenlandes" ins Absurde steigert. Berichten zufolge (SZ vom 25. Oktober) soll Neom auf einer Fläche von sagenhaften 26 500 Quadratkilometern entstehen. Das entspräche etwa 30 Mal der mit 892 Quadratkilometern flächengrößten Gemeinde Deutschlands, also Berlin. Aber der Plan des Königreichs Saudi-Arabien sieht noch ganz andere Superlative vor. In der Stadt, deren erste Bauphase schon 2025 abzuschließen wäre, sollen später sogar mehr Roboter als Menschen leben. Das autark dahinsurrende Auto würde ebenso ins Stadtbild passen wie die Post, die Sendungen mit Drohnen ausliefert. Dass die Metropole Neom ausschließlich mit regenerativer Energie versorgt wird, versteht sich von selbst. Wobei hier auch nur Menschen in Zukunftstechnologien arbeiten. Die Futurismusthemen sind: Mobilität, Biotechnologie, Medien, IT oder, tatsächlich, Städtebau.

Das lässt insofern aufhorchen, als niemand zu wissen scheint, wer denn eigentlich die Stadt konkret plant. Der Bauherr ist bekannt: Kronprinz Mohammed bin Salman. Entsteht eine Stadt ohne Stadtplanung? Derjenige, der das gewaltige Projekt im Grenzgebiet zu Jordanien und Ägypten realisieren soll, der frühere Siemens-Chef Klaus Kleinfeld, ist jedenfalls kein Planer. Aber er weiß um die ökonomische und auch ökologische Bedeutung des Megatrends globaler Verstädterung.

AS+P, Albert Speer und Partner, eines der größten deutschen und zugleich weltweit erfolgreichsten Planungsbüros, ist jedenfalls schon mal nicht mit dem Projekt befasst. Friedbert Greif, geschäftsführender Gesellschafter von AS+P, berichtet am Telefon allerdings von einem weiteren aktuellen saudischen Projekt, an dem sein Büro arbeitet: Dahiyat Al Asfar. Das ist der Ausbau einer Oase zu einer Stadt, in der vermutlich einmal rund 400 000 Einwohner leben werden. Greif erklärt, dass derzeit in vielen Regionen in Asien und im arabischen Raum an solchen und ähnlichen Plänen gearbeitet wird, "denn der Siedlungsdruck ist dort viel höher, als wir uns das selbst in unseren überlasteten Ballungszentren vorstellen können". Die Planung von enorm großen, enorm verdichteten und enorm schnell zu realisierenden Megastädten sei deshalb mittlerweile an der Tagesordnung.

Eine Stadt gibt es heute vom Kanaldeckel bis zur Bildung "schlüsselfertig" zu kaufen

"Eine evolutorische, sich nach und nach ergebende Herausbildung" von sozusagen natürlichen Stadtstrukturen, wie sie eher typisch ist für die Geschichte der europäischen Stadt, sei dort, wo die Bevölkerungen jung, dynamisch und kinderreich sind, gar nicht mehr vorstellbar. Das erklärt auch das westliche Befremden und den Kulturschock, wenn man von solchen furiosen Instant-Planungen wie Neom hört.

Zum Vergleich: AS+P verfügt über 200 Mitarbeiter. Das ist Spitze in Deutschland. Das Planungsbüro AECOM mit Sitz in Los Angeles hätte (theoretisch!) die Kapazitäten, Neom zu bauen. Das Büro beschäftigt weltweit 92 000 Planer, die sämtliche Ingenieurs- und Architekturleistungen einer Stadt, vom Kanaldeckel und vom Bürgersteig über den Flughafen bis zum Wohnturm und darüber hinaus bis zu Energie oder Bildung "aus einer Hand" und "schlüsselfertig" anbieten. Zu solchen Büros geht man, wenn man als Kronprinz mal eben die modernste und ambitionierteste Stadt der Welt kaufen möchte. Ein Stück Stadt ist insofern ein fertiges Produkt.

Ganz anders ist das tradierte westliche Stadtverständnis. Niemand hat dieses Stadtdenken vom allmählichen Werden so pointiert und zugleich voller Pathos niedergeschrieben wie Hermann Hesse in seinem "Märchen" über "Die Stadt". Darin schildert der Märchenerzähler etwas historisch Wahres: Das eher zufällige Entstehen von Städten, die sich beispielsweise dort etablieren, wo eine Brücke einen Fluss kreuzt. Der Fluss bietet Nahrung und einen Transportweg. Mit dem Wasser lässt sich eine Mühle betreiben oder das Leder bearbeiten. Auf der Brücke kann man Zoll erheben. Und so weiter. So entsteht die klassische Stadt aus der Topografie und wächst, mal schneller, mal langsamer, wie ein Baum in die Höhe und Breite: "Die Stadt, die anfänglich nur eine Gründung gewesen war, begann eine Heimat zu werden."

München ist so entstanden, Paris, London. Aber auch die Kleinstädte folgen diesem Muster. Noch heute bezeugen die alten "Kernstädte", die sich räumlich ausdeuten lassen wie Keimlinge, das jahrhundertelange Heranreifen von Stadtgebilden. Le Corbusier sah darin jedoch nicht das Malerische, Zufällige oder Gewachsene, sondern die "krummen Wege des Esels". Er schlägt in den Zwanzigerjahren vor, Teile der Pariser Altstadt zu sprengen, um sie durch ein Wohnhochhaus-Raster zu ersetzen. Frank Lloyd Wright plant Ähnliches für Manhattan. Und ein Münchner Architekt, Günther Eckert, entwirft ein einziges Habitat für die gesamte Weltbevölkerung. Dagegen war Buckminster Fuller geradezu schüchtern: Er wollte nur New York mit einer Kuppel überwölben, um die "Stadt der Zukunft" unabhängig zu machen von solchen Ärgerlichkeiten wie etwa dem Wetter.

Karlsruhe, Sankt Petersburg oder Brasilia: Die Baugeschichte ist voller Retortenstädte

Wie es aussieht, wird die Stadt der Zukunft in der Postmoderne und in Asien beziehungsweise eben im arabischen Raum verwirklicht. Städte wie "Masdar" in Abu Dhabi oder "Lingang New City" in China sind dort schon als typische Reißbrettplanungen und artifizielle Retortenstädte im Bau. In der Mongolei soll eine futuristische Öko-Stadt für 300 000 Menschen dort entstehen, wo bislang außer Steppe nichts ist. Aus dem Nichts. Wieder einmal.

Nicht alle diese Städte werden glücken. Aber auch nicht alle werden scheitern wie in jenem Gedicht von Bert Brecht, wo es heißt: "Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie / Hindurchging, der Wind!" Man darf nicht vergessen, dass die Ideal- oder Planstadt, die Trabantenstadt oder New Town als Phänomen seit der Antike bekannt ist: als nicht natürlich gewachsene, sondern planvoll angelegte Stadt. Solche Stadtgründungen sind immer kleine Schöpfungsgeschichten.

Die Beispiele dafür reichen von den Residenzstädten der Barockzeit (wie Karlsruhe) bis zum russischen Sankt Petersburg. Unter höchsten Verlusten entstanden im 18. Jahrhundert im Sumpfgelände der Newa - wie aus einem Guss und eben deshalb auch sehr schön. Zu nennen wären auch Brasilia oder Chandigarh. Städte, die aus dem Boden gestampft werden, sind ein Teil der Siedlungsgeschichte. Fürchten muss man das nicht. Ob sie aber einmal mehr als den Brecht'schen Wind, der um sie schon jetzt gemacht wird, beheimaten, bleibt abzuwarten. Fest steht: Der Städtebau erreicht ein neues Level. Die Stadt als "größte Errungenschaft der Zivilisation" (Mumford) erfindet sich gerade neu.

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