Uraufführung von "Mein Kampf" in Weimar:Wie man mit Giftmüll umgeht

Lesezeit: 3 min

Die Schauspieler Matthias Hageböck (links) und Volkan Türeli vom Berliner Theaterkollektiv Rimini Protokoll während der Fotoprobe zu "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2". (Foto: dpa)

Adolf Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" auf einer Theaterbühne - das könnte schiefgehen. Tut es aber nicht. Die Aufführung in Weimar reduziert einen Fetisch auf einen Alltagsgegenstand.

Von Jens Bisky, Weimar

Adolf Hitlers Hetzschrift auf der Theaterbühne - funktioniert das?

Das funktioniert sehr gut, weil das Theaterkollektiv Rimini Protokoll nicht Hitler und "Mein Kampf" ins Zentrum der Aufführung stellt. Sondern sechs Menschen von heute und ihre Erfahrungen mit der Hetzschrift, deren ersten Band Hitler während der Haft in Landsberg schrieb. Sie berichten in kurzen Dialogen von ihren Recherchen und Erlebnissen, die zunächst oft kurios wirken.

Der Abend beginnt mit Sibylla Flügge, die 1965 - sie war damals 14 - das Buch bei einem Händler entdeckte und es las, weil sie die jüngste deutsche Geschichte verstehen wollte. Sie fertigte einen Auszug aus dem Buch und schenkte diese Arbeit ihren Eltern zu Weihnachten. Der israelische Jurist Alon Kraus las Hitlers Buch, stark geschönte Autobiografie und politisches Manifest in einem, zuerst in einer amerikanischen Bibliothek. Seine Großeltern waren 1938 aus Wien geflohen. In Tel Aviv dann las der Jurist die hebräische Ausgabe von "Mein Kampf" - und so wird auf der Bühne die Debatte in der Knesset nachgestellt: Soll man in Israel das Machwerk drucken? In der hebräischen Ausgabe vermisst Alon Kraus die Jugendgeschichte Adolf Hitlers. Da kann ihm Volkan T Error, der Wegbereiter des türkischen Hip Hop in Deutschland, helfen: Er hat aus der Türkei eine Manga-Fassung von "Mein Kampf" mitgebracht. Sie zeigt das Heranwachsen des kleinen Adolfs aus Braunau am Inn.

Nationalsozialismus
:Wie Hitler an die Macht kam

Am 30. Januar 1933 Jahren ist Adolf Hitler zum Reichskanzler berufen worden. Aufnahmen dokumentieren den Beginn der nationalsozialistischen Tyrannei, die in Krieg und Völkermord endete.

Aus dem Archiv von SZ Photo.

So funktioniert diese Aufführung. Sie erzählt viele kleine, kuriose, interessante Geschichten, nicht aber die Biografie Hitlers oder den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung. Dieser Theaterabend handelt von uns und unserem Umgang mit der Geschichte. Dadurch vermeidet sie die peinliche, ärgerliche Überhöhung Hitlers, den geschichtspornografischen Kitsch.

Wer inszeniert?

Rimini Protokoll - das sind Helgard Haug und Daniel Wetzel, die seit vielen Jahren gemeinsam Formen des Dokumentartheaters erproben. Wahrscheinlich sind sie auf diesem Feld derzeit die Besten in Deutschland. Sie suchen nach einer Form für reale Geschehnisse und arbeiten dafür mit Experten des Alltags zusammen: In diesem Fall mit einem Buchbinder und -restaurator, mit dem von Geburt an blinden Musikliebhaber Christian Spremberg - 1933 wurde eine eigene Ausgabe von "Mein Kampf" in Blindenschrift erstellt -, der jungen Juristin Anna Gilsbach, die sich mit dem Urheberrecht und den Paragrafen zur Volksverhetzung bestens auskennt und eben dem Israeli Alon Kraus, der Frauenrechtlerin Sibylla Flügge und dem Hip-Hop-Poeten Volkan T Error. Die Mischung garantiert Überraschungen.

Eindrücklichste Szene?

Ganz klar die Schlussszene. Sie lässt beinahe vergessen, dass davor manches arg wie Proseminar und Schulfunk wirkte. Sibylla Flügge liest den Abschiedsbrief ihrer Schwester an die Mutter. Ein Abschied, garniert mit Mao-Zitaten. Die Schwester geht in den Untergrund, will kämpfend ihrem Leben Gewicht und Bedeutung verleihen. So endet die Aufführung in den Siebzigerjahren der alten Bundesrepublik, endet im Heute mit der einfachen Wahrheit, das man Leben nicht gegeneinander abwägen soll.

Bester Auftritt?

Die sechs Alltagsexperten, Menschen wie du und ich, funktionieren nur zusammen. Da spielt nicht einer den anderen aus. Schon die Dramaturgie sorgt für Gleichrangigkeit, denn es spielen die Sechs das Alphabet-Spiel: Einer fängt an, dass ABC aufzusagen, dann: Stop. Oder jeder für sich entscheidet eine Frage wie diese: Würden Sie Mein Kampf im Lokal auf den Tisch legen? Auch in Israel? Soll man Bücher verbieten?

Bleibt eine Frage offen?

Wäre es gut, eine kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" im Internet allen zur Verfügung zu stellen? Das ist die Frage, die auf der Bühne gestellt wird - auf die die Aufführung aber keine Antwort gibt. Ende 2015 erlischt das Urheberrecht an dem Text, dessen Verbreitung in der Bundesrepublik untersagt ist, nicht aber dessen Besitz oder dessen Lektüre.

Kommentierte Auflage
:"Mein Kampf"-Ausgabe soll 2016 erscheinen

Der Freistaat Bayern hat seine Unterstützung zurückgezogen, doch das Münchner Institut für Zeitgeschichte arbeitet weiter an der kommentierten Ausgabe von "Mein Kampf". Bereits im Januar 2016 soll sie veröffentlicht werden.

Das Münchner Institut für Zeitgeschichte bereitet eine kommentierte Ausgabe vor. Die bayrische Landesregierung hat sich in der Frage ziemlich inkonsequent verhalten, erst Fördermittel zugesagt, dann die Zusage widerrufen. Dabei sollte doch jedem klar sein, dass man im digitalen Zeitalter alles machen kann - nur das Verbieten ist nutzlos geworden. Die Aufführung sagt deutlich, dass dies kein Buch ist, das verführt. Wohl aber eines für Verführer. Den Mischmasch aus völkischer Ideologie, Lüge, Halbwahrheiten, vorgetragen in einer uns ganz fremden Sprache, muss man nicht indizieren. Darüber zu reden, zerstört die falsche Aura des Geheimnisvollen zuverlässig.

Die Inszenierung ist etwas für Sie, wenn ...

... Sie erleben wollen, wie man vernünftig mit Giftmüll umgeht, Mythen entzaubert und Fetische in arg banale Alltagsgegenstände verwandelt. Man lernt hier fast alles, was man über "Mein Kampf" wissen muss.

Am 11. und 19. Oktober ist die Aufführung an den Münchner Kammerspielen zu sehen.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Biografie
:Hitler für Jugendliche

Vom Versager zum Massenmörder zum Untoten: "Adolf H.", eine anspruchsvolle Biografie für jüngere Leser, spannt den Bogen von der beklemmenden Kindheit Hitlers bis zu seinem Ende im Bunker.

Von Joachim Käppner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: