Uraufführung:Verlorene Zeit

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Zwei der vier überhaupt konsistenten Figuren: Anna Woll als Momo und Holger Ohlmann als Beppo. (Foto: Christian Pogo Zach)

Wilfried Hiller hat fürs Gärtnerplatztheater aus Michael Endes Roman "Momo" die Skizze eines Musiktheaterstücks entworfen

Von Egbert Tholl, München

Wenn man Michael Endes Roman "Momo" noch nie gelesen hat, dies aber nun, längst der vermuteten Zielgruppe entwachsen, nachholt, stellt sich eine gewisse Überraschung ein. 1973 schrieb Ende treffende Sachen über unsere heutige Gegenwart auf, entwarf eine dystopische (damals gab es das Wort vermutlich noch gar nicht) Vision von Selbstoptimierung, Erfolgszwang, Konsumdrang und Selbstentfremdung. "Das Einzige, worauf es im Leben ankommt, ist, dass man es zu etwas bringt, dass man was wird, dass man was hat." Das sagt einer der grauen Herrn zu Momo. Heute würde man sagen, die grauen Herren wollen eine nach turbokapitalistischen Gesichtspunkten durchgestaltete Gesellschaft schaffen. Endes Clou: Die grauen Herren gibt es nur in uns selbst.

Das ist alles ziemlich treffend, aber dann auch wieder so naiv und plump moralisch, dass man sich wundert, dass dieses Buch unter Jugendlichen einst ungeheuer beliebt war. Und wahrscheinlich immer noch ist. Eines scheint dennoch möglich: Daraus ein Stück zeitgenössisches Musiktheater zu machen, das eine Relevanz für unsere Gegenwart hat, egal, welche Zielgruppe es ansprechen soll. Nur sollte man dann dafür nicht den Komponisten Wilfried Hiller fragen.

Doch das Staatstheater am Gärtnerplatz gab bei ihm "Momo" in Auftrag, vermutlich der Tatsache eingedenk, dass Hiller früher auch mit Ende zusammen einige legendär gewordene Erfolgsproduktionen eben auch am Gärtnerplatztheater herausbrachte wie etwa den "Goggolori". Doch der ist geraume Zeit her, was an der Tatsache nichts ändert, dass man von Hiller das kriegt, was man erwarten kann. Das ist dann zu Beginn eine einsame Flöte, die sich den Weg durch nicht sonderlich griffige Girlanden bläst, dann ein bisschen Getrommel, ein bisschen mehr Getrommel, leicht exotisch, eine solistisch singende Geige oder eine (Alt-)Oboe, die alleine in der Proszeniumsloge sitzt und tutet.

Fragt man in der Pause Vertreter des jungen Fachpublikums, stellt sich schnell heraus, dass die gern ein wenig mehr von Allem hätten. Selbst hat man zu diesem Zeitpunkt mit eklatanten Kreislaufproblemen zu kämpfen. Dabei ist Hiller am Ende des ersten Teils noch am meisten eingefallen, vorher zitierte er mal aus "Hoffmanns Erzählungen", dem eigenen Œuvre oder Melodien, die ihm einst Ende selbst zuraunte.

Hiller und Wolfgang Adenberg etablieren keine Welt, über deren Verlust man traurig sein müsste

In dieser Szene am Ende des ersten Teils nun landet Momo bei Meister Hora, Hüter über die Zeit der Menschen und damit das Leben. Hier ist Hora ein Balletttänzer, der nicht singt, sich aber bewegt wie Konfuzius in der Yoga-Stunde. Seine Stimme ist der Chor aus dem Off, an sich eine tolle Idee, die aber, kaum ist sie erfunden, nicht mehr von der Stelle kommt und sich ausbreitet wie ein unendliches Moor, in dem esoterisch lackierte Orff-Derivate treiben.

An dieser Stelle bricht dann auch die ohnehin fragile Dramaturgie des Stücks zusammen. Was im Roman die heile Welt des kleinen Glücks einer lebensfrohen Zufriedenheit ist, huscht hier als Skizze vorbei. Hiller und sein Librettist Wolfgang Adenberg etablieren keine Welt, über deren Verlust man traurig sein müsste. Dem folgt die gleichbleibende Bühne von Karl Fehringer und Judith Leikauf, ein mit effektvollem Video aufgeputzter Trümmerhaufen, in dem bis auf vier Figuren und die wirklich tolle Schildkröte Kassiopeia (Ina Bures) die restlichen 16, einzeln ausgewiesenen Solisten so eilig wie fahrig herumhuschen.

Regisseurin Nicole Claudia Weber verzichtet großzügig auf die Erfindung irgendeines Bühnenzaubers, vertraut dafür vollends der sympathischen Schauspielerin Anna Woll als Momo. Die und Maximilian Mayer als schlagersingender Gigi Fremdenführer werden's schon richten. Tun sie auch, so gut es eben geht. Ilia Staple beeindruckt daneben noch als oberster grauer Herr mit aberwitzigen Koloraturen. Momos Kampf mit ihr ist dann astrein unbeholfener Slapstick, unverdrossen begleitet vom Michael Brandstätter und dem Gärtnerplatzorchester.

© SZ vom 18.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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