Uraufführung:Verführerische Kälte

Das Staatsorchester präsentiert Musik von Hans Abrahamsen

Von Egbert Tholl

Natürlich hört man anders, wenn man den Titel kennt. Das ist so wie etwa bei den symphonischen Dichtungen von Richard Strauss, da glaubt man auch immer einen Inhalt zu hören. Hier also hört man Kälte. Liegetöne von Streichern können sehr kalt sein, wenn sie sich oszillierend überlagern und ihnen das Fleisch harmonischer Gewissheit fehlt. Aber da ist noch etwas anderes. Der Gesang eines Englischhorns, dazu später der eines Fagotts, wie eine Erinnerung an etwas Warmes, Schönes, nun aber Vergangenes.

Im ersten Akademiekonzert der Saison, dessen Leitung Constantinos Carydis anstelle des erkrankten Zubin Mehta übernimmt, macht das Bayerische Staatsorchester Werbung in eigener Sache. In Kooperation mit der Oper in Kopenhagen bringt die Staatsoper Ende 2019 die Oper "Die Schneekönigin" nach Hans Christian Andersen heraus - die dänischsprachige Uraufführung ist in Kopenhagen, die englischsprachige Erstaufführung zwei Monate später, Ende Dezember 2019, in München. Nun bat die Staatsoper den Komponisten Hans Abrahamsen um eine Exzerpt, ein rein symphonisches Konzentrat. Die "Drei Märchenbilder" sind ein langes Lied ohne Worte, und wenn man weiß, worum es in Andersens Märchen geht, dann hört man den Inhalt der Geschichte schon in diesen Ausschnitten in der Musik mit: Zwei Kinder überwinden die Herzenskälte der Schneekönigin und werden darüber erwachsen - sehr, sehr verknappt gesagt.

Hans Abrahamsen, in Kopenhagen geboren, hat ein Gefühl für Schnee. Vor zehn Jahren brachte er einen einstündigen Zyklus für Kammerensemble mit dem Titel "Schnee" heraus; damit wurde er bekannt und dafür bewundert. Wie großartig diese zehn Kanons für neun Instrumente als Assoziation zu etwas Außermusikalischem funktionieren, kann man nachhören auf der wunderbaren Einspielung dieser Musik bei Winter & Winter. Auf einer anderen Aufnahme des Labels kann man hören, dass Abrahamsen auch mal in den Wald geht und dessen Klang aufnimmt.

Das alles ist nie naturalistisch oder naiv, es ist vielmehr Klangerzählung in einem definierten Wahrnehmungsraum. Und sehr offen, auch wenn wie nun in München eben eine Geschichte im Hintergrund steht. So zart der Beginn, so schnell wandelt sich das Klangbild. Abrahamsen ist kein Esoteriker, es ist ein faszinierender Klangbastler, der auch ordentlich zulangen kann. Carydis ordnet das alles mit größter Aufmerksamkeit, die Musik rollt schwer los, und der Pulverschnee fliegt.

Danach spielt des Staatsorchesters Solohornist Johannes Dengler das zweite Hornkonzert von Richard Strauss, Carydis und das Orchester umgeben seinen Part mit lichter Cremigkeit, viel Poesie hat das und am Ende des zweiten Satzes eine wundervoll traurige Wehmut. Nach der Pause Beethovens Siebte als toll gelungener Ritt auf der Rasierklinge.

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