Uraufführung: Hochhuths "McKinsey kommt":Wenn der Frustmann zweimal klingelt

Von einem Skandal war im Vorfeld die Rede. Nun wurde Rolf Hochhuths "McKinsey kommt" in Brandenburg uraufgeführt. Es war in etwa so wie beim schwangeren Berg: Es kreißte gewaltig, und man gebar ein Mäuschen.

CHRISTINE DÖSSEL

Beginnen wir mit ein paar Fakten. Fakten müssen sein, und das Stück ist voll davon: Die Manager von Mercedes konnten nach dem Kauf des pleite gegangenen Chrysler-Konzerns ihre Gehälter dem amerikanischen Standard anpassen und von 2,5 auf jährlich 15,5 Millionen versechsfachen. Wir wiederholen: versechsfachen. Das ist vierhundert Mal so viel, wie sie einem Arbeiter zahlen.

Uraufführung: Hochhuths "McKinsey kommt": Am Ende: Weder Bravos noch Buhs, keine Tumulte.

Am Ende: Weder Bravos noch Buhs, keine Tumulte.

(Foto: Foto: dpa)

Anderes Beispiel: Deutsche Bank. Das traditionsreiche deutsche Geldinstitut hat 2001/2002, im erfolgreichsten Jahr seit seinem Bestehen, 9,4 Milliarden Euro Reingewinn gemacht, gleichzeitig jedoch mehr als 11 000 Mitarbeiter entlassen. Der Chef, Josef Ackermann, verdient jährlich 6,95 Millionen Euro. Um die "Effizienz" zu steigern, hat die Deutsche Bank 179 000 Stunden lang McKinsey im Haus gehabt, Mercedes 228 000 Stunden. Pro Stunde verlangt das Beratungsunternehmen 300 Euro. "Wenn man vor hundert Jahren Gründerzeit sagte, so heute McKinsey-Zeit", konstatiert in dem Stück der Boss eines Tabak-Konzerns. Woraufhin seine Referentin "den kleinen Unterschied" ergänzt: "Die Fabrikanten der Gründerjahre gründeten Arbeitsplätze, McKinsey liquidiert sie."

Massenarbeitslosigkeit auf der einen Seite, Millionengehälter und Milliardengewinne auf der anderen: Das ist nicht neu. Stellenabbau, Fusionen, feindliche Übernahmen - jeder kann die Fakten täglich der Zeitung entnehmen. Wenn Rolf Hochhuth sie in seinem Stück "McKinsey kommt" trotzdem ausbreitet, dann erstens, weil er schon immer ein verbissener Leitartikler und Faktenhuber war, und zweitens, weil er es mit Hegel hält: "Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt."

Es geht also um einen Erkenntnisprozess, um nichts weniger als Aufklärung, den Schritt des Menschen aus seiner - gar nicht immer - selbst verschuldeten Unmündigkeit, wenn nicht um mehr: um einen Massenaufstand gegen die "Diktatur der Weltwirtschaft" und ihren "Raubtierkapitalismus". Um Revolution. "Diesem Europa ohne sozial-revolutionäre Idee erklären wir den Krieg!", rufen die Demonstranten, die am Ende des Stücks das Bundesverfassungsgericht stürmen und "Europas falsche Fahne" verbrennen ("falsch", da abgekupfert vom Sternenbanner der USA, "unseren Herren"). So stellt Hochhuth es sich vor, wenn seine Gedanken sich entzünden und zum Flächenbrand werden.

Am kleinen Theater in Brandenburg an der Havel, wo das so genannte Stück nun unter viel Pressegetöse uraufgeführt wurde, brennt am Ende tatsächlich die Europa-Fahne. Sie lodert allerdings nur kurz auf, um dann kümmerlich vor sich hin zu glimmen, bis sie vor dem verhaltenen Schlussapplaus - weder Bravos noch Buhs, keine Tumulte - ordnungsgemäß entsorgt wird. Sinnbild für einen Theaterabend, der wie ein Silvesterkracher verpufft und mehr Staub aufwirbelt als Gemüter und Herzen. Eine Premiere, die ihre besten Momente bereits vorab hatte: als die Deutsche Bank kurzzeitig erwog, rechtliche Schritte einzuleiten und eine Flut von Artikeln den Polit-Dramatiker Hochhuth wieder mal ins Licht der Öffentlichkeit schwemmte. Dieser diktierte allen, die es wissen wollten: "Es wird eine Revolution geben müssen, und man muss fürchten, es wird eine blutige."

Nein, es wird in dem Stück nicht zum Meuchelmord an Josef Ackermann aufgerufen. So wenig, wie einst Schlingensiefs Aktions-Parole "Tötet Kohl!" als konkrete Aufforderung zu verstehen war. Wahr ist jedoch, dass in Hochhuths Text sehr viel (ehrliche) Empörung steckt, die mit einem zweifelhaften Verständnis für potenzielle, als "Widerstand" begriffene Gewalttätigkeit einhergeht.

"Dieser Deutsche nimmt Schweizern die Existenz", sagt im ersten Akt die Enkelin eines Nationalrats über jenen "Unterling von Mercedes", der der Belegschaft der Schweizer Waggonfabrik Oerlikon mitteilte, dass Daimler-Chrysler die Firma dicht macht. "Folglich: warum nicht auch ihm das Leben nehmen wie Tell dem Gessler!" Inge, eine Geschasste aus dem zweiten Akt, wettert: "Da gehört 'ne Bombe rin! Schiss müssten se haben." Und Walter, wegrationalisiert im vierten Akt, meint: "Eine Kalaschnikow würde helfen . . ." Verwiesen wird dabei auf Stauffenberg, der ein Attentat auf Hitler beging - auch so ein Diktator: "Wo ist der Unterschied, ob dich einer uniformiert in die Wüste schickt wie der Hitler sein Afrikakorps - oder in Zivil in die Wüste schickt wie unser Boss uns."

Starker Tobak, bewusst auf Wirkung zielend. "Schleyer, Ponto, Herrhausen warnen", heißt es in dem inkriminierten Sonett, in dem Hochhuth dem Banker Josef A. das Schicksal besagter RAF-Opfer vor Augen hält. Das Sonett wird in Brandenburg erst gegen Ende verlesen, betont distanziert als Taschenbuch-Lektüre - man dachte schon, es sei aus Bammel gestrichen. BDI-Chef Michael Rogowski hat solche Passagen als "Geschmacklosigkeit" gelesen. Man kann sie aber auch als moralischen Molotow-Cocktail eines zornigen alten Mannes verstehen, der es schon mit dem Papst, Churchill und der Pharma-Industrie aufgenommen hat, der den "furchtbaren Juristen" Filbinger zu Fall brachte und sich die Treuhand zur Brust nahm - und der immer noch gerne zündelt, um als Rächer der Entrechteten im Gespräch zu sein: gefürchtet, gebasht, umstritten. Der letzte Mohikaner des Agitprop-Theaters.

Hochhuth federt seine Forderung nach einem "Recht auf Arbeit" und die Frage nach der Legitimation für politischen Mord diskursiv ab. Von Voltaire über Schillers "Wilhelm Tell" bis hin zu Bismarck und Pierre Bourdieu werden da jede Menge theoretische Geschütze aufgefahren, allen voran der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt mit seinem Diktum vom "Mord als Hilfsmittel": "Es liegt nahe, dass zunächst bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel, da man Richter in eigener Sache wird, eine Regierung oder ein Individuum die Zernichtung des Gegners unternimmt." Oder, in den Worten der Arbeitslosen Christa: "Wo kein Richter, kommt ein Rächer." Der Frust wird dann aber doch nur im Wodka ertränkt, und selbst die Demo-Gruppe am Schluss bleibt ein hilfloser Störtrupp. Regisseur Oliver Munk blendet dazu Bilder der Attac-Proteste beim G8-Gipfel in Genua ein und lässt Rockgitarren klingen. Der kurze Abend ist von erschlagender Harmlosigkeit: hölzernes Thesen-Kabarett, bei dem sich die Schauspieler schwer tun, Hochhuths Ausrufesätze zu sprechen. Dabei versucht der Regisseur, durchaus ehrenwert, ein bisschen Theater rauszuholen. So ließ er sich von Stephan Besson eine schiefe Ebene bauen, die sich, ein Rutschparkett, immer stärker neigt. Und er hat ein Vorspiel hinzuerfunden, in dem ein Schauspieler, der sich mit provozierendem V-Finger einführt, Vermischtes aus der Zeitung vorträgt: der Kannibale von Rothenburg, neue Bilder vom Mars. Was uns so bewegt. Nur eben nicht der Wirtschaftsteil, in dem sich die Macht des Kapitals manifestiert.

Hochhuth hat ja Recht mit seiner Wut. Auch mit seiner Anklage, dass zwar vor dem Grundgesetz alle gleich sind, "nicht aber vor der Wirtschaft". Da kann einem schon der Hut hochgehen. Aber er hat kein Stück daraus gemacht, nur ein Pamphlet. Bestenfalls ein Thema. Wenn demnächst McKinsey kommt - das Unternehmen hat eine Vorstellung gekauft -, können die Berater beruhigt wieder abziehen. In Brandenburg gibt es für sie ohnehin nichts zu tun. Das Stahlwerk ist geschlossen, die Jugend abgewandert, die Arbeitslosenquote liegt bei zwanzig Prozent. Das Sprechtheater gibt es nur noch, weil sechs Schauspieler unkündbar waren. Aber auch mit seinem Resttheater steht Intendant Christian Kneisel bereits mit einem Bein im Grab. Schon Ende des Jahres, so steht zu befürchten, muss er alle entlassen.

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