Uraufführung:Du sollst nicht öden

10 Gebote

"Ihr seid die maximale Sackgasse!" Was Gott dem Publikum zuruft, gilt auch für diese Uraufführung. Für die Schauspieler, hier Ole Lagerpusch, sind die disparaten Texte eine Herausforderung.

(Foto: Arno Declair)

Am Deutschen Theater Berlin versuchen sich Autoren wie Navid Kermani und Clemens Meyer an den "Zehn Geboten". Der Abend wird zur Schwerstarbeit für die Regisseurin Jette Steckel, ihr Ensemble und das Publikum.

Von Peter Laudenbach

Gott ist nicht gut drauf. Er leidet unter Burn-out, kein Wunder angesichts des Arbeitspensums. Zum Feierabend hat er sich ein weißes Schafsfell angezogen und hadert mit seiner Schöpfung. "Fehler ohne Ende", sagt er. Dabei war die Idee eigentlich gut "und die Konstruktion vielversprechend". Aber die Umsetzung entpuppte sich als endlose Folge von Fehlschlägen, "und dann dieser ganze Saurier-Müll, ein einziger Irrweg". Einerseits hat er eine Erklärung für das Desaster, schließlich ist "Kreator" und "Lebensdesigner" kein Beruf, den man einfach lernen kann. Andererseits ist das auch kein Trost, vor allem nicht, wenn er sein scheinbar gelungenstes Werk betrachtet, die Menschen, die da vor ihm im Zuschauerraum sitzen: "Entschuldigung, ihr seid die maximale Sackgasse! Wie konnte ich mich derart vertun?" Gute Frage.

Allerdings gilt sie nicht nur für die selbsternannte Krönung der Schöpfung, sondern auch für den Abend im Deutschen Theater Berlin, dem das Publikum Gottes übellaunigen Auftritt verdankt. Ulrich Khuon, der Intendant des Deutschen Theaters und ein studierter Theologe, hat ein Dutzend Autoren eingeladen, zu je einem der zehn Gebote eine neue Szene zu schreiben. Als Zugabe gibt es "Das elfte Gebot", eben die Selbstkasteiung Gottes. Ausgedacht hat sich dieses angemessen ratlose Finale Rocko Schamoni, ein Mann, der Mitleid mit dem erschöpften Schöpfer hat und sich darauf versteht, auch höchsten Autoritäten mit Menschlichkeit statt mit Ehrfurcht zu begegnen. Das Theater konnte mit Navid Kermani und Clemens Meyer, der Schriftstellerin Nino Haratischwili und dem Autor Jochen Schmidt, der Dramatikerin Felicia Zeller, dem Journalisten Mark Terkessidis und mit Maxim Drüner von den lustigen Aggro-Rappern K. I. Z. einige der originellsten Köpfe des Landes für das Projekt gewinnen: Zehn Gebote reloaded, sozusagen.

Die Inszenierung weicht den großen Fragen aus

Die Regie des Vier-Stunden-Uraufführungsreigens übernahm Jette Steckel, eine Regisseurin, die in ihren Inszenierungen von wohlfeilem Moralisieren so wohltuend frei ist wie vom üblichen Coolness-Zynismus. Man durfte sich auf einen Abend freuen, der sich traut, ähnlich wie Krzysztof Kieślowskis "Dekalog"-Filme mithilfe der biblischen Gebote die großen Fragen zu stellen. Was bedeutet zum Beispiel das fünfte Gebot, wenn Vegetarier aus guten Gründen nicht wollen, dass Tiere für sie sterben, aber ansonsten kein Problem zum Beispiel mit dem globalen Wohlstandsgefälle haben? Was bedeutet das Gebot, nicht zu lügen, wenn das dauerfreundliche Service-Lächeln in Dienstleistungsberufen bitte möglichst glaubwürdig sein sollte? Und was bedeutet es in Zeiten postmoderner Ironie und neoliberaler Selbstoptimierung überhaupt, dass die Christenheit von sich verlangt, einige Gebote ernst zu nehmen?

Lauter nahe liegende Fragen, denen die Inszenierung bedauerlicherweise ausweicht. Stattdessen rettet sie sich in skurrile Einfälle und allerlei Beliebigkeiten. Das Tötungsverbot etwa wird illustriert durch angeblich oder wirklich authentische, vor der Kamera nachgesprochene Interview-Protokolle mit Männern, die davon träumen, sich töten und aufessen zu lassen. Einer von ihnen ist schon etwas älter und sieht sich selbst (Achtung: Kalauer!) leider nur noch als "Gammelfleisch". Das Ausstellen einer sexuelle Pathologie mit dem Nachdenken über eines der zentralen und weitreichendsten moralischen Gebote zu verwechseln und noch die billigsten Lacher mitzunehmen, ist selbst für Theaterverhältnisse bemerkenswert hilflos und effektorientiert.

Auch sonst geht es der Regisseurin ähnlich wie Rocko Schamonis unglücklichem Gott: Die Konstruktion der Inszenierung war vielversprechend, aber die Umsetzung beschert vor allem maximale Sackgassen. Neben den wuchtigen, gültigen, harten Sätzen des Alten Testaments fallen die Szenen und Szenchen des Abends in die blanke Harmlosigkeit ab. Das kann man zwar auch für eine Wahrheit postmoderner Zeiten des Triumphs der Beliebigkeit halten. Aber dem Anspruch, die Zehn Gebote zumindest als Herausforderung ernst zu nehmen, wird diese Nummernrevue kaum gerecht.

Auf der mehrstöckigen Drehbühne rattert Szene für Szene vorbei

Clemens Meyer zum Beispiel assoziiert zum ersten Gebot nur einen konfusen Cut-up-Text, den der arme Benjamin Lille dann irgendwie zum Fieber-Monolog aufblasen muss. Sherko Fatah fällt zum zweiten Gebot, den Namen des Herrn nicht zu missbrauchen, die fernsehspiel-realistische Verhörszene nach einem "Ehrenmord" ein. Der Bezug zum Bibeltext bleibt so diffus wie in dem kleinen Monolog, den Navid Kermani beigesteuert hat: Erzählt wird von einem Vater, der sein Kind umbringen will, bevor es die Pubertät erreicht hat. Er plant einen Mord aus Liebe und Anstand, denn spätestens mit dem Ende der Kindheit sei das Leben, so die Überzeugung des Vaters, nur noch eine Qual. Kermani hat einige der klügsten und berührenden Bücher der letzten Jahre darüber geschrieben, weshalb Menschen moralische Orientierung brauchen und was es bedeutet, zu glauben. Hier aber begnügt er sich mit einer Petitesse über die Abgründe moralisierender Hybris.

Witzig ist Felicitas Zellers Sottise über "Lügenpresse"-Paranoiker, die in Cafés ausliegende Zeitungen mit wilden Kommentaren versehen. Sarkastisch und schlau ist Mark Terkessidis' Kabaretteinlage, in der Studenten im Radical-Chic-Slang messerscharf erkennen, dass Bioläden Klassenkampf seien, weil sich Proleten weder die Preise leisten noch in den dort üblichen Umgangsformen geübt seien.

Mühsam zusammengehalten werden die disparaten Szenen von der wuchtigen, mehrstöckigen Drehbühne, auf der die Szenen vorbeirattern wie auf einem tristen Kinderkarussell. Dieses Bühnenbild hat Florian Lösche geschaffen. Weil die meisten Texte so wenig Spielmaterial hergeben, weil die Figuren so konturlos und leblos ausgedacht sind, rettet sich die arme Regisseurin in allerlei Belebungsversuche. Mal dürfen die Thesen-Pappkameraden, gespielt von Markus Graf, Judith Hofmann, Lorna Ishema, Ole Lagerpusch, Benjamin Lillie, Wibke Mollenhauer, Helmut Mooshammer, Andreas Pietschmann und Natali Seelig, stramm im Chor deklamieren, mal turnen sie durch den Ehebruchs-Boulevard, mal machen sie sich mit Kirmes-Kostümen zu Witzfiguren - allein, all das Oberflächenbrimborium kann den Abend nicht retten.

Irgendwie ist es beruhigend, dass Gott, auch wenn ihn an diesem Abend Depressionen plagen, zuverlässig für Orientierung sorgt, als er am Ende des Abends Bilanz zieht: "Ein einziger Irrweg." Als Urteil über seine Schöpfung ist das möglicherweise zu hart, aber die Inszenierung kann man nicht treffender beschreiben.

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