Uraufführung:Auf der Anklagebank

Theater Regensburg, Die Banalität der Liebe

Der alte Martin Heidegger (Adam Kruzel) liebkost die junge Jüdin Hannah Arendt (Sara-Maria Saalmann), wie er sie in Erinnerung hat. Sie wird ihm das Juden-Blut aus dem Gesicht tupfen.

(Foto: Jochen Quast)

"Die Banalität der Liebe", Ella Milch-Sheriffs großartige Auftragsoper über die Beziehung zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger wird in Regensburg mit großem Erfolg uraufgeführt

Von Eva-Elisabeth Fischer

Das ist der Hammer, als der Glaskasten auf der Drehbühne des Regensburger Theaters hinunter fährt zu anschwellendem Chorgesang. Darin sitzt dann nicht, wie es in dieser Szene zu erwarten wäre, Adolf Eichmann, sondern die Reporterin seines Prozesses, die damals 55-jährige Hannah Arendt. Die hört unter ihren Kopfhörern offenbar nicht, wie hinter ihr Gideon Hausner, der Chefankläger im Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem, seinen Bariton basslastig erhebt, die Arme gen Himmel reckend wie ein Cohen, ein jüdischer Hohepriester.

Hausner verkörpert hier eine Art selbst ernanntes Gottesgericht im Weltlichen in Vertretung von sechs Millionen ermordeten Juden. Das passt so gar nicht zu Arendts antidramatischer These von der Banalität des Bösen, mit der sie Eichmann belegte und längst nicht nur die Judenheit im jungen Staat Israel gegen sich aufbrachte. Hier singt sie eben diese These, begleitet vom melancholischen Ton eines Cellos, offenbar innerlich bewegt und daher stark berührend, als eine lyrisch auskolorierte Arie zwischen Kantilene und Rezitativ.

Es ist die 69 Jahre alte Hanna Arendt kurz vor ihrem Tod 1975, die in der Oper "Die Banalität der Liebe" von Ella Milch-Sheriff zum Libretto der Schriftstellerin Savyon Liebrecht, allerdings keineswegs chronologisch, die entscheidenden Stationen ihres Lebens reflektiert, während ihr junges Alter Ego die Spielszenen bestreitet. Für die Oper haben die beiden israelischen Frauen das gleichnamige Theaterstück Liebrechts, das vor zehn Jahren in Bonn uraufgeführt wurde, eingedampft und operntauglich umformuliert. Ein herkulisches Unterfangen, ein grandioser Erfolg: Nun wurde die Oper im Auftrag des Theaters Regensburg in der expressionistisch eingefärbten, mit reichlich Zeitkolorit versehenen Inszenierung des Israelis Itay Tiran ebendort uraufgeführt.

"Die Banalität der Liebe" kreist um die unverbrüchliche und durch die politischen Zeitläufte hochproblematische Liebe Hannah Arendts zum Philosophen Martin Heidegger. Genau darin liegt ihr Dilemma, aber auch ihre dramatische Spannung, geht es doch um eine enigmatische, wohl niemals völlig erklärliche Beziehung zwischen Eros und Geist, an der sich die deutsch-jüdische Symbiose, wie sie seit der Aufklärung genährt wurde, endgültig als blutgetränkte Illusion festnageln lässt.

Um das Unerklärliche auszupolstern und abzufedern, muss nicht nur der Gleichklang zweier Herzen, sondern der ihres Denkens erklärt werden. Das eine leistet die Musik. Das tut sie ironisch und zitatenreich; führt etwa Heideggers Vorlesung mit einer Mandoline ein und bemüht das Liedgut schlagender Verbindungen (wie es ja heute gern wieder gesungen wird); baut hier eine Mahlersche Trompetenfanfare ein, macht sich Wagners Tutti-Ausbrüche und dessen lyrische Erzählgesänge zu eigen, um romantischer Karfreitagsauen-Idylle vor beschaulicher Waldhütte Genüge zu tun. Und auch der Bach-Choral als Ausdruck deutscher Frömmigkeit fehlt nicht. Entsprechend packt Dirigent Tom Woods zu, steuert geschickt die stellenweise enorme Lautstärke, so dass die hinreißend jungen Sängerinnen und Sänger drüber kommen. Für das andere, für philosophisch-intellektuelle Denkgebäude braucht es immer noch jede Menge Text (zum Mitlesen über dem Bühnenportal).

Zwei Hannah Ahrendts, zwei Martin Heideggers, jung und alt - dem Theater zuliebe gesellt Milch-Sheriff ihren beiden Hannahs, eindringlich gesungen und gespielt von Sara-Maria Saalmann und Vera Semieniuk, einen ganzen Chor zu. Es ist der Chor ihrer Gedanken samt Kommentaren, dessen Mitglieder, egal ob Männer oder Frauen, wie die alte Hannah in ein Schneiderkostüm gekleidet, mit der unvermeidlichen Zigarette in der Hand, omnipräsent das Bühnengeschehen begleiten. Neben den beiden Heideggers treten zwei erfundene Figuren auf, ein junger Mann namens Rafael Mendelson als Hannas engster Freund aus Studienzeiten. Und dann gibt es noch dessen ungestümen Sohn Michael, der die alte Hannah wie eine lebende Waffe attackiert als eine der jüdischen "Sklaven deutscher Kultur".

Die Beziehung Arendts mit Heidegger dient in der "Banalität der Liebe" als Metapher für den Kulturbruch durch die Schoah. Die Liebe der schönen Jüdin zum hässlichen Nazi bildet den enigmatischen Kern dieses an überraschenden, ja aufwühlenden Momenten reichen epischen Musiktheaters. Sie kulminiert im einzigen, hochdramatischen Duett dieser Oper, einem Streitgespräch. Hannah tritt Heidegger als "Jud" gegenüber, dem Heidegger, der Hitler einst als "Verheißung deuschen Geistes" pries und sich nie dafür entschuldigt hat. Doch so banal ist die Liebe, dass sie siegt, auch wenn es gelbe Judensterne regnet.

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