Unwort des Jahres:Grenzwertig

Unwort des Jahres: Unwort des Jahres: Pushback.

Unwort des Jahres: Pushback.

(Foto: Nadine Weigel/dpa)

Das Unwort des Jahres lautet "Pushback". Warum die Entscheidung okay ist, aber unserer Sprache doch nicht gerecht wird.

Von Gerhard Matzig

Ein kleiner Flashback lässt sich nun kaum pushbacken. Das von der Jury verkündete "Unwort des Jahres" - es ist für 2021 der "Pushback" - folgt in aller Denkwürdigkeit dem Wort des Jahres. Und das, schon Anfang Dezember von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) erkoren, ist: "Wellenbrecher".

Während aber der aus dem Küstenschutz bekannte Wellenbrecher im übertragenen Sinn illegal zugereiste Viren in die Schranken weisen soll, will der Pushback, den man in euphemistischer wie konkreter Weise dem Grenzschutz zurechnen muss, Migranten oder Flüchtlinge zurückweisen, ja zurückschieben - to push back. Was dem internationalen Recht nach mehrheitlicher Meinung widerspricht, also selbst eher halblegal ist. Und sowieso jedweder Humanität spottet: Menschen, die in größter Not alles zurücklassen, was nicht in eine Plastiktüte passt, um sich aus Lebensgefahr oder ewiger antizivilisatorischer Finsternis zu befreien, sendet man nicht zurück wie eine Amazon-Retoure voller Socken, die einem doch nicht richtig passen.

Der Pushback, man sollte ihm den Pullback zugesellen, bei dem Migranten schon am Migrieren selbst gehindert werden, als seien es gefährliche Seuchenvehikel, die dem Biohazard-Labor entlaufen sind, ist also wieder mal ein politisch korrekter Hinweis auf den dünnen Firnis unserer Zivilisation. Insofern: okay. Das Unwort des Jahres, es wird nach einem Streit seit 1994 nicht mehr von der GfdS, sondern von der "Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres" auf volksnah partizipatorische Weise bestimmt, ist genau in diesem sprachpolizeilichen Sinn aber auch ein recht erwartbares Wort.

Schon der Begriff des Unwortes geht ins Leere

Das Beste daran ist vielleicht die Tatsache, dass nach der "Corona-Diktatur" im Jahr zuvor nicht schon wieder Pandemisches zu verhandeln ist. Man kann zudem, noch was Gutes, der Gesellschaft für deutsche Sprache den freilich abermals ermüdenden Anglizismus nach "Überfremdung" (1993) und - herrlich passgenau nur ein Jahr später, sprachlich eindeutig überfremdend - "Peanuts" nicht mal um die allzu deutschen Ohren hauen. Das Jugendwort des Jahres 2021 ist übrigens: "Cringe". Das ist, erklären einem die eigenen anglizierten Nachfahren, etwas, was man als germanischer Vorfahr auch sehr oft sei: peinlich un-weltläufig.

Peinlich ist das Unwort des Jahres also schon mal nicht, obwohl eine wohl eher unerwünscht komische Nebenwirkung darin liegen dürfte, dass im außerdeutschen Sprachraum der Pushback ja auch viel besser von den Pushbackenden verstanden wird. Englisch ist eine Weltsprache. Und die ganze Welt will ja angeblich nach Deutschland, was relativ irre wäre. Wenn es denn so wäre. Sonst noch was? Wieder nicht hat es das "Unwort" zum Unwort des Jahres geschafft. Man kann die Bemühungen um Sprachsensibilität würdigen, aber die Sprache selbst ist ein Terrain der Freiheit. Sie macht, was sie will, und existiert auch abseits dessen, was wünschenswert wäre - weil sie viel mehr über das faktische Sosein als über das ideale So-soll-es-Sein aussagt.

Wenn aber die Unvernunft die Absenz von Vernunft anzeigt und der Unglaube das Nicht-Glauben, dann geht schon der Begriff des Unwortes ins Leere. Unworte gibt es auch dann nicht als Unmöglichkeit, wenn das, was sie beschreiben, eigentlich unmöglich ist. Das ist ja der Witz an einer nicht einzuhegenden Sprache, der natürlich alles andere als komisch ist. Man kann jetzt nur noch hoffen, dass das Unwort vom Pushback zum Wellenbrecher einer Gesellschaft heranreift, die alles unternimmt, um sich selbst weniger cringe oder auch nur schauderhaft peinlich finden zu müssen.

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