Süddeutsche Zeitung

Unübersetzbare Wörter:Sagt sich so leicht

Könnten Sie mit einem Wort beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn erst nach einem Gespräch der Geistesblitz kommt, was man zuvor hätte sagen sollen? Die deutsche Sprache hat viele wunderbare Ausdrücke, aber manche fehlen dann doch. Begriffe aus anderen Sprachen, die ein bisschen neidisch machen.

Von Irene Helmes

Das Deutsche hat unzählige wunderbare Ausdrücke. Aber für so manchen Sachverhalt redet man sich leicht den Mund fusselig, während in einer anderen Sprache ein Wort oder eine Wendung genügen würde. In internationalen Blogs und Onlineforen sammeln, tauschen und diskutieren Laien und Übersetzer einmalige Worte, die Nichtmuttersprachler neidisch machen. Eine kleine Auswahl aus aller Welt. Dieses Gefühl, wenn nach einem Gespräch - zu spät! - plötzlich die passende Antwort, der schlagfertige Konter, die angemessene Reaktion im Kopf wirbelt. Genau das hätte gesagt werden müssen, klar, und jetzt ist es leider zu spät. Auf Französisch nennt sich der zeitversetzte Geistesblitz "l'esprit d'escalier", also wörtlich übersetzt der Sinn oder der Geist der Treppe. Wie passend, erscheint bei diesem Ausdruck doch sofort die Person vor dem inneren Auge, die mit jeder Stufe deutlicher weiß, was sie in dem Raum, den sie gerade hinter sich lässt, hätte sagen wollen.  Anmerkung d. Red.: Ein findiger Leser hat uns mittlerweile darauf hingewiesen, dass Benjamin von Stuckrad-Barre in seinem Buch "Auch Deutsche unter den Opfern" für diese Situation "Schlagfertigkeitskrise" vorgeschlagen hat. Tatsächlich schade, dass sich dieses Wort noch nicht durchgesetzt hat! Und noch etwas: Im 19. Jahrhundert gab es laut Grimmschem Wörterbuch tatsächlich "Treppenwitz" als deutsche Entsprechung - die Verwendung dieses Wortes hat sich inzwischen aber deutlich verändert.

Dieses unscheinbare Wort gilt unter Übersetzern als eines der am schwierigsten zu übersetzenden überhaupt und gelangte 2004 in ein entsprechendes Ranking. Es bezeichnet eine Person, die verzeiht, wenn sie das erste Mal verletzt wird, die eine zweite Verletzung erträgt und duldet, die aber schließlich ein drittes Mal weder duldet noch verzeiht.

Das Ungarische ist für die meisten Menschen eine schier undurchdringliche Sprache und bietet wenig Anhaltspunkte für Ableitungen. Hier springt immerhin "donald" ins Auge - denn grob gesagt bedeutet der obige Slangbegriff "einen auf Donald Duck machen". Und meint die Angewohnheit der Comic-Ente, ein Hemd aber keine Hose oder Unterhose zu tragen, was offenbar auch in der realen Welt ein eigenes Wort wert sein kann. Und ein Verb noch obendrauf: "donaldkacsázik".

Wenn es ein extra Wort dafür gibt, dann tun es andere Menschen auch, viele sogar: Diese beruhigende Erkenntnis könnte "tsundoku" so manchem Deutschen bringen, der sich bislang vielleicht allein glaubte. Das Wort beschreibt die Angewohnheit, Bücher zu kaufen, diese dann aber nicht zu lesen, sondern sie ungelesen auf Stapeln oder in Regalen anzusammeln. Mit Sudoku nicht zu verwechseln.

Ein entnervtes "was weiß ich?" oder "mir doch egal", ein ehrlich ratloses "keine Ahnung", ein vielsagendes "na toll!", ein räselhaftes "hmm" oder "tsss" ... Das italienische Wörtchen "boh" irrlichtert irgendwo zwischen Sprache und Geräusch, seine Bedeutung ist für Nichtmuttersprachler manchmal kaum zu verstehen, manchmal deutlicher als tausend Worte. Manchmal heißt es aber auch einfach gar nichts und füllt die Lücke zwischen losen Gedanken.

Bei einem Treffen ins Stottern geraten oder in eine peinliche Pause, weil der Name des Gegenübers wie aus dem Gedächtnis gewischt ist - wer kennt das nicht. Noch schlimmer, wenn die betreffende Person mit Namen angesprochen oder einem Dritten vorgestellt werden soll. Ob das in Schottland besonders oft vorkommt, sei dahingestellt. In jedem Fall haben die Schotten ein wunderbar kurzes Wort für dieses Herumgedruckse: "to tartle".

"Du begräbst mich" klingt zunächst irritierend. Der arabische Ausdruck "ya'aburnee" ist aber zutiefst liebevoll gemeint: Er beschreibt den Wunsch des Sprechenden, zuerst zu sterben, um nicht den Schmerz erfahren zu müssen, den Tod des Gegenübers zu erleiden und alleine weiterzuleben.

"Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand die menschliche Seele ohne dieses Wort verstehen kann", hat der tschechische Autor Milan Kundera gesagt. Und doch habe er in anderen Sprachen vergeblich nach einem Äquivalent gesucht. "Litost" beschreibt ein Gefühl der Trauer oder des Bedauerns, einen qualvollen Zustand, ausgelöst durch die plötzlich erlangte Klarheit über das eigene Unglück. Kundera widmete dem Begriff und seinem Sinn einen Teil seines "Das Buch vom Lachen und Vergessen", die Band Ambassadors benannte 2012 gleich ein ganzes Album danach.

Preisgekrönt: Dieses Wort aus der Sprache der Yagan aus Feuerland wurde als "das prägnanteste Wort" ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Denn was es beschreibt, ist noch deutlich komplizierter als das siebensilbige Sprachgebilde selbst. Es steht für den Blickwechsel oder Blickkontakt zwischen zwei Menschen, die sich beide wünschen, der jeweils andere solle aktiv werden - denn sie wünschen sich dasselbe, aber keiner will damit anfangen.

Die unzähligen Gefühlslagen während des Wartens werden in allen Sprachen immer wieder neu beschrieben. Die Inuit können ein besonders treffendes Wort zum Thema beisteuern: "iktsuarpok" heißt, auf jemanden zu warten und immer wieder vor die Tür zu gehen, um zu sehen, ob er oder sie endlich irgendwo zu sehen ist. Passend: Der Song "I'm Waiting For You" der Band "Iktsuarpok".

Die Anwendungsmöglichkeiten im Alltag sind begrenzt, aber Sprache soll schließlich nicht nur nützlich sein: "Yakamoz", die Widerspiegelung des Mondes im Wasser, wurde 2007 im Jahr der Geisteswissenschaften zum "schönsten Wort der Welt" gewählt. In ihrer Begründung lobte die Jury damals unter anderem, dass in der türkischen Sprache mit nur einem einzigen Wort etwas beschrieben werden könne, wofür andere Sprache gleich mehrere Substantive bräuchten.

Wenn jemand schlechte Witze erzählt oder einen eigentlich guten Witz so schlecht erzählt, dass er nicht mehr lustig ist, die Anwesenden aber trotzdem - oder gerade deshalb - lachen müssen, dann muss im Deutschen ein klein wenig ausgeholt werden, um diese Situation zu beschreiben. Im Indonesischen genügt das Wort "jayus", offenbar entstanden aus der Erzählung über einen Mann dieses Namens, der einst seine Zuhörer entsprechend zum Lachen brachte, aber eben nicht auf die Art, die er sich erhoffte.

Englisch ist so flexibel für Wortneuschöpfungen wie kaum eine andere Sprache. Besonders ausgiebig sind, speziell im Amerikanischen, in den vergangenen Jahren vorhandene Worte zu etwas Neuem gemixt worden, seien es Begriffe (etwa "drama" und "comedy" zu "dramedy") oder Namen (Brad und Angelina zu Brangelina). So lässt sich auch die schwer zu übersetzende "bromance" herleiten - aus "brother" und "romance". Gemeint ist damit eine besonders innige, asexuelle Form der Männerfreundschaft, die aber pärchenhafte Züge annehmen kann.

Das brasilianische Portugiesisch bietet ein einziges Wort, um zu beschreiben, wie jemand den Kopf eines anderen mit den Fingerspitzen streichelt und ihm oder ihr durch die Haare streicht: "cafuné".

Zu zittern oder mit den Zähnen zu knirschen, weil eine Situation völlig überwältigend ist - das heißt auf den Philippinen in der Tagalog-Sprache "gigil". Und daraus werden wunderbare Begriffe geformt: So kann jemand etwa mit "nakakagigil ka" ausdrücken, wenn es wegen der Niedlichkeit eines Babys oder eines kleinen Tiers kein Halten mehr gibt und der Sprecher es deshalb unbedingt zwicken oder kitzeln will.

Zum Weiterstöbern ein paar Linktipps ins Netz der Sprachbegeisterten: Eine wissenschaftliche Erkundung unübersetzbarer Worte und Gefühle, ein Ranking von 20 besonders schönen Exemplaren - oder 15 andere hier. Und wenn Sie selbst ein Wort kennen, das in diese Reihe passt, verraten Sie es uns doch einfach!

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