"Unterwerfung" von Michel Houellebecq:Über die Verführbarkeit zum Extremismus

Michel Houellebecq

"Auch ich bin Charlie", sagte Michel Houellebecq, 56, nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Am kommenden Montag wird er in Köln aus seinem Roman lesen.

(Foto: AFP)

Michel Houellebecqs "Unterwerfung" ist jetzt auf Deutsch erschienen. Sein Roman hält dem Westen einen Zerrspiegel vor. Doch was vor zehn Tagen noch ein frivoles Spiel war, liest sich nach den Anschlägen von Paris anders.

Von Christopher Schmidt

Es ist ein gespenstisches Déjà-vu: Wer Michel Houellebecqs neuen Roman "Unterwerfung" liest, kommt irgendwann zu der Szene, in der Houellebecqs Ich-Erzähler François an einer verwüsteten Tankstelle Halt macht, vor der eine Leiche liegt. Unmöglich, dabei nicht an die Brüder Kouachi zu denken, die auf ihrer Flucht aus Paris eine Tankstelle überfallen haben.

Auf der Flucht ist auch François im Buch, und zwar, den Seitenhieb auf den Islam lässt Houellebecq sich nicht entgehen, in einem VW Touareg. Unruhen erschüttern Paris, als sich abzeichnet, dass Frankreich einen islamischen Staatspräsidenten erhält, der das Land zu einem gemäßigten Gottesstaat umbauen wird - der Roman spielt im Jahr 2022.

Erschienen ist das Buch in Frankreich am Tag des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo. Es war zugleich der Tag, an dem die Zeitschrift mit einer Houellebecq-Karikatur auf der Titelseite aufmachte, die den Star-Autor als derangierte Knusperhexe zeigt. Weiter hinten im Blatt gab es eine hymnische Rezension des Romans von Bernard Maris. Maris wurde ebenfalls bei dem Terrorakt ermordet. Houellebecq trauere um seinen Freund, hieß es, als er zwei Tage später abtauchte. Das war vor einer Woche.

Rechtspopulisten als stärkste politische Kraft

Seit diesem Donnerstag nun läuft die Auslieferung der deutschen Ausgabe des Romans (DuMont, 280 Seiten, 22,99 Euro). Die Startauflage von 100 000 ist komplett vorbestellt. 50 000 Exemplare druckt der Verlag bereits nach. Mit größerer Spannung dürfte kaum je eine Neuerscheinung erwartet worden sein - zu Recht, denn man liest dieses Buch zweifellos anders nach den Morden von Paris. Auf jeden Fall liest man es politischer, als es vielleicht gemeint war.

Schon vor Erscheinen hatte "Soumission", so der französische Titel, in Frankreich Debatten ausgelöst. Der Autor spiele mit den Ängsten vor Einwanderung, Islamisierung und dem Gespenst der Selbstaufgabe, war zu hören. Und dass Houellebecq einen "Antizipationsroman" geschrieben habe. Die Heftigkeit der Reaktionen hängt nicht nur mit der Skandal-Prominenz des Autors zusammen und den Abstiegsfantasien, an die er rührt, sondern hat auch damit zu tun, dass er reale Persönlichkeiten mit Klarnamen auftreten lässt.

Houellebecq hält in "Unterwerfung" der französischen Politik und der westlichen Gesellschaft, die an ihrem "atheistischen Humanismus" zugrunde gehe, einen Zerrspiegel vor. In seiner Zukunftsvision ist der Front National unter Marine Le Pen die stärkste politische Kraft. Um die Machtübernahme der Rechtspopulisten zu verhindern, verbünden sich die Sozialisten mit einer islamischen Partei.

Politische Spurensuche in Houllebecqs Spott

François Hollande hat zwei Amtszeiten hinter sich, unter seinem designierten Nachfolger, dem jetzigen Premierminister Manuel Valls, haben die Sozialisten ihr schlechtestes Wahlergebnis eingefahren - eine Häme, für die sich Valls revanchierte, als er vor dem Anschlag sagte, Frankreich sei nicht Houellebecq.

Noch vor zehn Tagen wirkten viele der politischen Anspielungen wie ein frivoles Spiel. Heute aber wird das Buch in einem Klima gelesen, in dem - wie nach dem 11. September - Ironie sich neu rechtfertigen muss. Auch Houllebecqs Satire ist plötzlich mehr als das, nämlich ein Reservoir für die politische Spurensuche. Im Buch heißt die dämonische Schlüsselfigur Robert Rediger und ist der neue Präsident der muslimischen Universität Sorbonne. Für ihn Modell gestanden hat unverkennbar der Philosoph Robert Redeker, der wegen islamkritischer Äußerungen 2006 Morddrohungen erhalten hat.

Dass Houellebecq als Vorbild für den Chefideologen einer muslimischen Regierung ausgerechnet einen der schärfsten Gegner des Islam wählt, hat natürlich Methode. Auch Redekers Alter Ego im Buch ist ein ehemaliger Rechter und glühender Nietzscheaner, der zum Islam konvertiert ist, weil er sich von ihm die Erfüllung seiner sozialdarwinistischen Ideen erhofft. "Transzendenz ist ein selektiver Fortpflanzungsvorteil", heißt es an einer Stelle.

Sexualisiertes Leitmotiv entlarvt romantische Phantasie

Unter der Bedingung, dass François zum Islam übertritt, bietet er dem entlassenen Mittelbau-Professor einen Ruf an die Sorbonne an, verbunden mit dem dreifachen Gehalt und damit der Möglichkeit, mehrere Ehefrauen zu haben, die eine Heiratsvermittlerin gemäß seiner sozialen Stellung für ihn auswählt.

Das Bewerbungsgespräch bildet die Coda des Romans, es ist eine Art Gipfeltreffen von Übermensch und Unterhose. Denn während Rediger seine biologistischen Thesen ausbreitet, interessiert sich François allein für das Kapitel Polygamie aus dem Leitfaden zum Islam, den Rediger verfasst hat.

Unter den vielen fragwürdigen Figuren in diesem Roman ist der Protagonist François die anfechtbarste. Er, der keine feste Bindung eingehen will, weil er die Idee der romantischen Liebe als Komplementärideologie zum herrschenden Konsumismus ablehnt, findet im Islam einfach ein anderes Konsumangebot, das ihn neu stimuliert. Durch den libanesischen Caterer und die muslimische Escort-Agentur, die nun aufgemacht haben, ist er bereits auf den Geschmack gekommen.

Wie der Islam die Demokratie verführt

Genauso wie es auf der individuellen Ebene an der Schwäche François' liegt, dass er sich verführen lässt, kommt auf der politischen Ebene des Buches der Islam nicht gewaltsam durch einen Putsch an die Macht, sondern nach demokratischen Prinzipien, - und diese Verführbarkeit zum Extremismus ist das, was Michel Houellebecqs Roman verhöhnt. Nicht zufällig heißt sein labiler Held François, ein französischer Jedermann.

Auch das Modell der Unterwerfung, die dem Roman den Titel gibt, wird explizit genannt. Es ist die 1954 erstmals publizierte "Geschichte der O", ein Klassiker der erotischen Literatur über die Lust an der sadomasochistischen Unterwerfung. Geschrieben hat sie Dominique Aury unter dem Pseudonym Pauline Réage, und zwar für ihren Geliebten und Arbeitgeber Jean Paulhan.

Paulhan wiederum war das Zentralgestirn des Verlags Gallimard, Treffpunkt der Résistance-Autoren während der deutschen Besetzung. Und in Paulhans Pariser Stadtpalais residiert im Buch nun der Scharfmacher Rediger, ein Kollaborateur neuen Zuschnitts, der die einstige Versammlungsstätte der widerständigen Intelligenz des Landes okkupiert hat.

Bestätigung für einen verkappten Idealisten

Houellebecq legt ein fein geknüpftes Netz an Verweisen aus, und man muss diesen Fährten folgen, um die Stoßrichtung zu verstehen. Der Titel "Unterwerfung", er spielt eben nicht nur an auf Theo van Goghs Film über die Unterdrückung der Frauen im Islam, sondern zugleich auf den Roman der submissiven O, die sich zur devoten Gespielin ausbilden lässt. François landet bei seiner Unterwerfung weich, lässt sich der Islam doch bruchlos mit seinen erotischen Vorlieben vereinbaren.

Aber dass Houellebecq sein Leitmotiv so stark sexualisiert und also ästhetisch auflädt, entlarvt seinen Anti-Romantizismus als zutiefst romantische Phantasie. Letztlich steckt in ihm ein verhinderter Idealist, ein Idealist im Gewand des Provokateurs. Und für diesen Idealisten in ihm müsste die Tatsache, dass die bürgerliche Mitte nach den Bluttaten zusammengerückt ist und sein Schreckensszenario widerlegt hat, eigentlich eine Bestätigung sein.

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