Süddeutsche Zeitung

"Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel":Sixties-Rebellen vor Rimini

Ein Film über einen Party-Mikrostaat, der einen nicht nur ins Urlaubstraumland Italien, sondern auch in bessere Zeiten versetzt - solange man nicht zu genau hinsieht.

Von Magdalena Pulz

Irgendwann stellt sie dann doch jemand, die eine Frage, die einen den ganzen Film umtreibt. Nämlich, warum zur Hölle die beiden Helden Ende der Sechzigerjahre diesen immensen Aufwand betreiben, ihren Traum zu erbauen. Die Antwort kommt knapp und wenig lyrisch: "Aus demselben Grund, aus dem sich Hunde die Eier lecken. Weil sie es können."

Was Giorgio Rosa und Maurizio Orlandini in diesem Fall "konnten", ist schnell erklärt. Sechs Seemeilen vor der italienischen Küste, also knapp in internationalen Gewässern, haben sie sich eine Insel erschaffen. Also, na ja, Insel ist ein vielleicht etwas zu großes Wort für die viereckige Plattform. Die vielleicht 400 Quadratmeter große Betonfläche namens "Isola delle Rose" (Roseninsel) erklären die zwei Freunde als "unabhängig" von Italien und zu einer "Repubblica", einem eigenen Mikrostaat. Eine wahrhaftige Utopie sei dieser Ort, verkünden sie groß, ein Platz der Freiheit, an dem sie leben könnten, wie sie wollen, ohne Regeln, oder zumindest: nur mit ihren eigenen Regeln.

So weit die Theorie. In der Praxis wird die Insel dank Inselbürger Nummer drei von fünf, dem deutschen PR-Genie W. R. Neumann ("Game of Thrones"-Star Tom Wlaschiha überraschend sexy in hochgezogenen Socken), zu einer exklusiven Clublocation umfunktioniert, auf der sich die Sixties-Partybabes ordentlich besaufen können. Und hätte Giorgio es dabei belassen, hätte es vielleicht auch keine größeren Probleme gegeben. Aber als die italienische Regierung ausgerechnet von der Uno einen Anruf bekommt, wird die feuchtfröhliche Angelegenheit zu einem handfesten Staatskonflikt.

Den Mikrostaat Roseninsel, sechs Seemeilen vor der Küste, gab es wirklich

Ein absurder Plot, könnte man meinen, wäre da nicht der effektvolle Hinweis zu Beginn des Films, das alles sei wahr. Wikipedia bestätigt das, die Roseninsel ist kein Mythos. Und auch ein paar der anderen abstrusen Geschehnisse, denen man hier nicht vorgreifen will, sind wirklich so passiert. Die echte Plattform hatte zwar eher den Charme einer selbstgebastelten Geburtstagskarte, verglichen mit der eindrucksvollen Ästhetik eines Hockney-Gemäldes aus dem Film, aber so viel künstlerische Freiheit muss erlaubt sein.

Aber auch ohne den historischen Kuriositätsfaktor ist der Film sehenswert, unbekümmert und beschwingt wie diese nostalgischen Hippie-Filme eben oft sind (man denke nur an "Radio Rock Revolution"). Dabei hilft ein erdig-authentischer Soundtrack, etwa Jimi Hendrix' "Hey Joe" oder eine italienische Version von "California Dreamin'". Als Kulisse dient Rimini, bevor es zu einer Bettenburg verkam, gelbe Sonnenschirme und das Meer, kurz: das Dolce Vita von einst.

Und mittendrin Giorgio Rosa, dem es bei dem ganzen Insel-Unterfangen natürlich längst nicht nur um großspurige Werte wie Freiheit und Unabhängigkeit geht: Eine Frau soll beeindruckt und zurückerobert werden. Gabrielle (Matilda de Angelis) heißt Giorgos Ex-Freundin, die schön ist wie eine italienische Jennifer Lawrence und kompromisslos wie eine Margaret Thatcher. Dem verträumten Ingenieur teilt sie etwas rigoros mit, dass er kein Genie sei, "auch wenn du denkst, dass du eines bist".

Viele nicht mehr ganz so junge Männer, dazwischen eine sehr junge Frau

Ein niederschmetterndes Urteil, insbesondere da Gabrielle selbst ein bisschen geniemäßig rüberkommt, und mit Mitte zwanzig bereits Jura an der Universität unterrichtet. Ihre Jugend fällt besonders auf, weil Giorgio Rosa von einem 40-jährigen Darsteller gespielt wird, dem schauspielerischen Kraftpaket Elio Germano. Germano wirkt als Giorgio mit nachlässig langen Haaren zwar einigermaßen jung geblieben, aber kommt neben der 25 -jährigen de Angelis doch eher wie ein verplanter Onkel rüber.

Viele nicht mehr ganz so junge Männer, dazwischen eine sehr junge Frau, dieses sattsam bekannte Castingproblem ist hier ein starker Wermutstropfen, aber Regisseur Sydney Sibilia scheint das nicht weiter zu stören. Schon seine letzten drei Filme folgen einer Gruppe junger Männer durch viele wilde Partynächte, ein italienisches "Hangover"-Pendant mit jeder Menge Testosteron.

Trotzdem: Wenn man darüber hinwegsieht, bleibt die "Roseninsel" ein sehr unterhaltsamer Film, der nicht besser zur Pandemie passen könnte. Wer wünscht sich nicht gerade, im Kim-Kardashian-Style im geschlossenen Kreis auf einer einsamen Insel rumzuhängen? Das Leben nach den eigenen Regeln zu leben? Wild zu sein und frei, eigene Fehler zu begehen? Wer sehnt sich nicht nach Meer und Horizont und einem Drink in der Hand? Eben.

L'incredibile storia dell'isola delle rose, Italien 2020 - Regisseur: Sydney Sibilia. Buch: Francesca Manieri, Sibilia. Kamera: Valerio Azzali. Mit Elio Germano, Fabrizio Bentivoglio, Tom Wlaschiha. Mehr Credit auf imdb. 117 Minuten. Auf Netflix.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5143347
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kni
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.