Süddeutsche Zeitung

"Under the Skin" im Kino und auf DVD:In der Haut von Mrs. Johansson

Endlich läuft "Under the Skin" - im Kino und Heimkino zugleich. Es ist ein rätselhafter Trip, bei dem sich der Zuschauer in der schönen Haut von Scarlett Johansson wiederfindet. Das klingt vielversprechend.

Von Tobias Kniebe

Wenn ein Alien aus dem All die Gestalt von Scarlett Johansson annimmt und dabei im ersten Moment völlig nackt ist, sollte ihm besondere Aufmerksamkeit sicher sein. Und so war es auch, letzten Herbst auf dem Filmfest von Venedig. Da hatte "Under the Skin" seine Weltpremiere, man feierte Johanssons enigmatischen Auftritt und die Wiederkehr des britischen Regisseurs Jonathan Glazer ("Sexy Beast", "Birth"), der zuvor fast zehn Jahre von der Bildfläche verschwunden war.

Das Wesen aus den fernsten Nebeln der Galaxis, das da mit Sphärenmusik und Soundcollagen seinen Einzug hielt, verhielt sich dann aber doch sehr seltsam. Zum Beispiel landete es tief im schottischen Hinterland, in einer blaugrau gefilmten, endlosen Provinzöde, bestieg einen Lieferwagen, setzte sich hinters Steuer und begann eine quasi-dokumentarische Studie der lokalen Männerwelt, die sich hier als besonders zerzaust, unglamourös und (weil schottisch) auch weitgehend unverständlich präsentierte.

Viele dieser Aufnahmen, erfuhr man, waren mit versteckter Kamera gefilmt worden - mit uneingeweihten Passanten. Storytechnisch enthüllte sich dann, dass das Alien anscheinend auf die Körper dieser Männer angewiesen war, diese auflösen und irgendwie aussaugen musste - als Brennstoff für eine geheime Transformation.

Scarlett Johansson, fröstelnd und kaum erkennbar mit schwarzer Wuschelfrisur, dazu eine Art Homevideo von Landstraßen, leeren Parkplätzen, winterlichen Felsküsten und einer einsamen Waldhütte - für viele Kritiker war dieser Clash der Welten seltsam genug, um in eine Art halluzinatorischen Rausch zu verfallen.

Andere verdammten das Werk als unverständlichen Schwachsinn. Und spätestens da muss der von Finanzkrisen geplagte Senator Filmverleih, der die deutschen Rechte erworben hatte, ein bisschen Angst bekommen haben. Würde sich dieses filmische Unikat im Kino überhaupt verkaufen lassen - und bitte schön an wen?

Erst nur die Angsthasenvariante

Um weitere Verluste zu vermeiden, entschied man sich für die Angsthasenvariante - eine Premiere auf DVD, Blu-ray und Video-on-Demand, unter anderem bei iTunes, Videoload, Amazon und Google Play. Seit Freitag steht der Film in den Verkaufsregalen und Streaminglisten.

Das aber wollten ein paar Kinoaktivisten um den Filmblogger Sebastian Selig nicht so einfach hinnehmen. "Ausgerechnet einen Film von solcher Wucht dem Kino vorzuenthalten, heißt dem Kino ganz konkret die Zukunft rauben. Heißt, es aufzugeben" schrieb er und startete eine Facebook-Aktion mit dem Ziel, "Under the Skin" doch noch in die deutschen Filmtheater zu bringen.

Offenbar war der Aufstand groß genug, um etliche Filmkunstkinos aufzurütteln. Mehr als dreißig machen inzwischen mit, spielen den Film zum Teil seit Anfang September, zum Teil in den nächsten Wochen und bis in den November hin.

Nuancen der Erkenntnis

In Berlin sind es gleich vier, in Hamburg das 3001, in München das Monopol - alle Städte und Termine finden sich auf http://undertheskin-film.de. So könnte die Zukunft von Filmen jenseits des Mainstreams aussehen, die dank umtriebiger Fans ihre Nische finden - das Publikum kann sie überall zugleich entdecken, egal auf welcher Plattform.

Wenn man die Chance hat, sollte man aber doch im Kino erleben, wie "Under the Skin" ganz langsam den eigenen Blick unterwandert. Man steckt ja nicht nur in der schönen Haut von Scarlett Johansson, in der man sich durchaus wohlfühlen kann - Jonathan Glazer versetzt uns außerdem ins Gehirn einer Kreatur, die ganz zaghaft erst erlernen muss, was wir Menschen so als Gefühle bezeichnen.

Lange beherrscht ein Ausdruck kompletter Leere ihr Gesicht, selbst wenn ein Baby herzerweichend um sein Leben schreit - dann aber schleichen sich doch Nuancen der Erkenntnis ein, bis hin zu Angst und Furcht. Am Ende fühlt man mit diesem seltsamen Wesen - auch wenn seine Mission auf der Erde ein Rätsel bleibt.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2014
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