"Und dann der Regen" im Kino:Wasserkrieg als zweite Inquisition

Anfang 2000 in Bolivien: Die Wasserversorgung einer ganzen Stadt wird an ein Konsortium multinationaler US-Konzerne verkauft. Brunnen zu graben wird verboten, nicht einmal das Regenwasser darf gesammelt werden. Icíar Bollaíns hat mit "Und dann der Regen" einen Film-im-Film gedreht, der mit quasi-dokumentarischer Wucht historische Parallelen zieht.

Rainer Gansera

Der wahre Charakter eines Menschen, so Jean Paul, offenbare sich erst dann, wenn man ihn in Zuständen der Trunkenheit, tiefster Trauer oder größter Gefahr erleben könne - im Alltäglichen zeige der Mensch nur seine gefällige Fassade. In diesem Sinne ist "También la lluvia/Und dann der Regen" ein eindringlicher Charaktertest-Diskurs. Situationen der Trunkenheit, Trauer und Gefahr gibt es reichhaltig in dem vielfach preisgekrönten Film-im-Film-Drama der Spanierin Icíar Bollaín, das zutiefst von der Sehnsucht nach einer Geste der Freundschaft und Brüderlichkeit angetrieben wird.

Kinostarts - 'Und dann der Regen'

Gael García Bernal spielt den ambitionierten Regisseur Sebastián, der mit seinem Film das Bild des ehrwürdigen Entdecker-Heros Kolumbus demontieren will.

(Foto: dpa)

An der Erzähloberfläche ist es ein bunter Mix: spannendes Filmemacher-Abenteuer und politisch-moralische Meditation, Kommentar zur Globalisierungsdebatte und Parallelisierung von Historie und Gegenwart. All dies balanciert Icíar Bollaín raffiniert aus und hält es in einer Schwebe der Selbstbefragung. Gleich zu Beginn fliegt ein Hubschrauber über die sanften Hügel des bolivianischen Dschungels, er transportiert ein riesiges Kreuz. Reminiszenz an Fellinis "La dolce vita", wo ein Hubschrauber mit einer Jesus-Statue über Rom einschwebt.

Der Konvoi eines spanischen Filmteams durchquert den Dschungel. Man winkt dem Hubschrauber zu und macht sich daran, ein großes Historienspektakel in Szene zu setzen: die Ankunft des Christoph Kolumbus in der Neuen Welt 1492. Es ist das Herzensprojekt des Regisseurs Sebastián (Gael García Bernal), der das Bild vom ehrwürdigen Entdecker-Heros Kolumbus gehörig demontieren will.

Sein Film soll drastisch zeigen, welch ein Tyrann der spanische Konquistador war, wie er in seiner Gier nach Gold die Eingeborenen demütigte und versklavte, wie er den Anführer des indigenen Widerstandes, Taino-Häuptling Hatuey (Juan Carlos Aduviri), ans Kreuz fesseln und auf dem Scheiterhaufen zwecks "Seelenläuterung" verenden ließ. Das volle Programm von Kolonisierung und Inquisition im Namen des katholischen Glaubens.

Das Abenteuer der Dreharbeiten entfaltet sich in kuriosen und tragikomischen Vignetten, vom Casting über das Probendurcheinander bis zu den obligatorischen Darsteller-Eifersüchteleien. Beim Casting-Chaos muss sich Regisseur Sebastián heftig für einen aufmüpfigen Bewerber einsetzen, der ideal für die Hatuey-Rolle passt. Produzent Costa (markant: Luis Tosar) lenkt widerwillig ein. Costa, immer pragmatisch gesonnen, will nur, dass die Dreh-Maschinerie reibungslos läuft. Er hat durchgesetzt, dass man nicht an den Originalschauplätzen der Karibik dreht, sondern in der Nähe der bolivianischen Stadt Cochabamba, wo man den Statisten nur zwei Dollar pro Tag zahlen muss.

Das "Authentische" ist hier billig zu haben - was zu allerlei Komplikationen führen wird. So werden sich die gecasteten Indio-Frauen weigern, jene Szene zu spielen, in der sie ihre Babys in einem Fluss ertränken sollen. Die Szene ist historisch verbürgt, aber die "authentischen" Darstellerinnen können das einfach nicht, auch nicht im So-als-ob-Modus des Spiels.

Heute ist Wasser das neue Gold

Filme über Dreharbeiten kaprizieren sich meist darauf, dass der Dreh mindestens so dramatisch und verrückt verläuft wie das zu verhandelnde Sujet - gemäß Billy Wilders Motto: "Um Filme zu machen, muss man nicht unbedingt verrückt sein. Aber es hilft!" Es gibt den fragilen, zynischen Hauptdarsteller, der mit dem Dämon Alkohol ringt, und zwei Akteure, die sich den Rang höchster Glaubwürdigkeit gegenseitig streitig machen.

Kinostarts - 'Und dann der Regen'

Mit Wucht wird der Kampf der Bevölkerung geschildert. Der Charaktertest: Wie verhält sich das spanische Team, wie reagieren die Darsteller, die sich in ihren Rollen so vehement für die Rechte der Indios eingesetzt haben?

(Foto: dpa)

Die beiden dürfen die Dominikanermönche Bartolomé de las Casas und Antonio de Montesinos verkörpern, jene Missionare, die sich vehement für die Rechte der Indios einsetzten und den Befehlshabern heftig ins Gewissen redeten: "Schaut in die Augen der Indios. Sind sie nicht Menschen wie wir? Haben wir ihnen gegenüber nicht dieselbe Pflicht zur Nächstenliebe wie untereinander!?"

Schon navigiert die Erzählung im politisch-moralischen Diskurs, der Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert und sich hochdramatisch zuspitzt. Parallel zu den Dreharbeiten, die sich im Jahr 2000 abspielen, findet der sogenannte Wasserkrieg von Cochabamba statt. In der Stadt wurde die Wasserversorgung privatisiert und an ein Konsortium multinationaler US-Konzerne verkauft.

Die Wassergebühren verteuerten sich sogleich um 300 Prozent, den Einwohnern wurde verboten, ihre eigenen Brunnen und sogar das Regenwasser zu nutzen. Der Widerstand dagegen, am Ende erfolgreich, schwoll mächtig an, und "También la lluvia" erzählt von dem Zeitpunkt, an dem der Kampf bürgerkriegsähnliche Zustände heraufbeschwört.

Icíar Bollaín: "Es geht da um den Widerstand gegen die Privatisierung eines Rohstoffs, der heute so wertvoll und lebenswichtig ist wie damals das Gold: das Wasser." Der Darsteller des Indio-Häuptlings ist zugleich Hauptaktivist des Widerstandes. Er versäumt Drehtermine, wird gefangengenommen, gefoltert, und die Dreharbeiten sind massiv gefährdet. Mit quasi-dokumentarischer Wucht wird der Kampf der Bevölkerung geschildert. Der Charaktertest: Wie verhält sich das spanische Team, wie reagieren die Darsteller, die sich in ihren Rollen so vehement für die Rechte der Indios eingesetzt haben?

Schon in ihrem "Öffne meine Augen" (2003) gelang es Icíar Bollaín, ein brisantes politisches Thema (damals ging es um "innerfamiliäre Gewalt") jenseits plakativer "Problemfilm"-Manier anzupacken. Auch hier zeichnet sie persönlich, einfühlsam, sogar poetisch. Keine Figur wird einfachhin verurteilt. Man versteht, warum Sebastián, der noch beim Empfang des Bürgermeisters für die Berechtigung des "Wasserkriegs" eintritt, am Ende aber nur mehr will, dass sein Filmprojekt nicht baden geht. Zum actionreichen Finale eine überraschende Wendung, eine Art "Bekehrung", die wohl voluntaristische und melodramatische Züge annimmt, aber die subtextuelle Suche nach der brüderlichen Geste schön ans Licht bringt.

TAMBIÉN LA LLUVIA, Mex/Sp/F 2010 - Regie: Icíar Bollaín. Buch: Paul Laverty. Kamera: Alex Catalán. Musik: Alberto Iglesias. Mit: Luis Tosar, Gael García Bernal, Juan Carlos Aduviri, Karra Elejalde, Carlos Santos. Piffl, 104 Minuten.

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