Farbe des Jahres:Erst die Welt ruinieren - und dann wieder bunt anstreichen

Die Farbe Koralle

Eine Kaugummi-Koralle (Paragorgia arborea) im Zuchtbecken des Stralsunder Ozeaneums.

(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

"Living Coral" ist die Farbe des Jahres, ein "lebensbejahendes Orange mit goldenem Unterton". Was für ein Zynismus angesichts des Plunders, der künftig in Korallenrot die Meere vergiften wird.

Kommentar von Gerhard Matzig

Wer nach der Farbe "Korallenrot" fahndet im Netz, der ergoogelt sich auf Anhieb ein Bikinihöschen von H&M. Online erhältlich für 2,99 Euro. Das Textilchen besteht aus 84 Prozent Polyamid und 16 Prozent Elasthan - und wie immer bei Produkten, die zu günstig sind, um fair produziert sein zu können, natürlich auch aus einigen Anteilen Mirdochwurscht. Der Versand kostet 4,99 Euro. Für insgesamt nur 7,98 Euro kann man sich also am Klimawandel beteiligen, indem man den Verbrauch von Ressourcen auf billigste Weise steigert. Mit etwas Glück fördert man auch noch die Kinderarbeit in einem fernen Land.

Allerdings wäre es unfair, das Modelabel und die dazugehörigen Kunden ganz allein verantwortlich zu machen für die Tatsache, dass einerseits Korallenrot als Farbe des Jahres 2019 gilt - und dass andererseits die Korallen, die bisweilen auch rötlich sein können und normalerweise alle möglichen herrlichen Farben aufweisen, schon seit Jahren so furchtbar erblassen, dass man von einem regelrechten Grauen sprechen muss. Die Schädigung von Korallen als mutmaßliche Folge von Umweltbelastung in den Meeren, die wiederum eine Folge unserer Konsum- und Verbrauchsideologie ist, sollte man im Auge behalten, wenn man sich am aktuellen Farbrausch erfreuen will.

Seit das amerikanische Farbunternehmen Pantone, das jedes Jahr vor Neujahr die kommende "Farbe des Jahres" ausruft, das Korallenrot ("Living Coral") für das Jahr 2019 als "lebensbejahendes Orange mit goldenem Unterton" definiert hat, begegnet man im Reich der Dinge auch korallenroten WC-Vorlegern, korallenroten Zehensteg-Sandalen und sonstigem Korallenrot-Tinnef. Der Begriff Living Coral (lebende Koralle) verleiht sogar Fußballschuhen (der Adidas-Sorte "Nemeziz Tango") zu einer "unübertroffenen Agilität".

Die Farbe des Jahres verweist auf die kollektive Lebenslüge des Jahres

Nemesis ist in der Mythologie die Göttin des gerechten Zorns. Geradezu absurd - wenn nicht geistig unübertroffen agil - darf man es finden, dass das Korallenrot exakt dann die Konsumwelt illuminiert, da die Korallenriffe von den Florida Keys bis Puerto Rico ihre Farbpracht wie auch die Lebensgrundlage verlieren. Erst ruinieren wir lebensverneinend die Welt, dann streichen wir sie uns lebensbejahend wieder an. Aus halbtoten Korallenriffen macht man auf diese Weise ein "vitalisierendes" Farb-It: Living Coral. Und nimmt so zynisch wie naiv in Kauf, dass die lebende Koralle, ein Nesseltier, zum Farbgeber trendiger Konsumprodukte wird. Die Farbe des Jahres verweist insofern auch auf die kollektive Lebenslüge des Jahres.

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(Foto: SZ)

Es ist auffallend, wie viel Pseudo-Natur-Emblematik mittlerweile aufgewendet wird, um der Konsumwelt zu einem grünen Mäntelchen zu verhelfen: In der Burgerbraterei werden abgesägte Birkenstämme als Dekoration verwendet, in der Parfümerie dient eine gigantische Mooswand als Raumteiler und auf dem Kreuzfahrtschiff, das toxisch übers Mittelmeer dieselt, ist das Bordrestaurant als tropischer Dschungel verkleidet. Aus Gründen der Sicherheit und der Pflegeleichtigkeit hat man das Rank- und Blätterwerk aus Plastik modelliert.

Die Welt wird immer grüner und natürlicher, könnte man denken. "Neo-Nature" nennen Konsumforscher diesen Trend, der aus der realen Plastikwelt mit Lust und Leidenschaft ein potemkinsches Grün-Dorado macht.Im Jahr 2019 leuchtet dieses nun auch noch korallenrot. Rot ist übrigens nicht nur die Farbe der Liebe und des Begehrens, wie man bei Pantone weiß. Im Mittelalter trugen auch die Henker Rot.

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