Inmitten von sattem Blau schwebt ein einsamer Plastiktrinkstrohhalm, verloren in den endlosen Weiten des Meeres. So trügerisch idyllisch beginnt Gerda Raidts ungewöhnliches Sachbilderbuch über den "Müll". Sofort kommen einem das Video einer vermeintlichen Plastiktüte am Grund des Marianengraben an der tiefsten Stelle der Erde oder die jüngsten Aufräumarbeiten auf dem Mount Everest in den Sinn, wo Sherpas Tonnen von Müll vom höchsten Berg der Welt holten. Raidt greift also ein zentrales Thema unserer Zeit auf. Die Autorin und Illustratorin entscheidet sich trotz der großen Brisanz gegen einen anklagenden Ton. Sie entwickelt ihr Thema ruhig in lichten, klaren Bildern, ergänzt von kurzen Texten und Sprechblasen. So entsteht ein für Kinder leicht zu verstehendes Sachbuch. "Was man auch tut - oft bleibt dabei etwas Müll übrig".
Dieses menschliche Grunddilemma bildet den Auftakt des Buchs. Jemand braucht etwas nicht mehr und will es schnell loswerden. Um Chaos zu verhindern, haben wir begonnen, den Müll zu organisieren. Das ist die menschliche Lösung. Giftige und zu große Stoffe bringen wir auf den Wertstoffhof, der Rest wandert in fünf Tonnen: gelb für Plastik, grün für Glas, blau für Papier, braun für Bio und grau für den Rest. Raidt gibt ein Gefühl dafür, warum Müll langsam immer mehr zum Problem geworden ist. Weil wir uns so sehr daran gewöhnt haben, einfach Tonnen zu füllen, und deshalb oft nicht über die weiteren Stationen nachdenken. "Unseren Müll haben wir gut organisiert. Die Tonnen werden regelmäßig abgeholt. Es ist leicht zu vergessen, wie viel Müll jeder von uns macht", schreibt sie.
Schon in ihren früheren Büchern wie "Die Straße" oder "Meine ganze Familie" interessierte sich Raidt für Zusammenhänge und zeitliche Entwicklungen. So entstehen kleine Bildgeschichten, die beim Verstehen helfen. Sie zeigen, wohin unser Müll wandert, wenn das Müllauto abfährt, warum er oft am anderen Ende der Welt landet und sogar der Weltraum voller Schrott ist. In der Summe führt dies eben zu Müllbergen und Plastikstrudeln im Meer, und am Ende dazu, dass der Müll inzwischen auf dem Umweg über die Nahrungskette wiederkommt, ohne dass wir es spüren. Jeder Mensch isst pro Woche ein paar Gramm Mikroplastik, so viel wie eine Kreditkarte.
Es ist eine bemerkenswerte Unaufgeregtheit in Gerda Raiths Zeichnungen, man muss nur schauen und die Informationen annehmen. So erkennt man leicht, dass Einmalartikel nicht gut für unseren Planeten sind, dass es einen Wert darstellt, Dinge zu reparieren, dass wir nicht alles mehrfach verpacken müssen. Raidt zeigt unsere Überforderung in schönen Alltagsszenen, Bildern verstopfter (Kinder- )Zimmer etwa, wo ausgemistet werden muss. Weniger ist oft mehr, ist die simple Botschaft. Schon einfache Dinge helfen schnell: die Brotdose für die Pause, keine überflüssigen Sachen erwerben, Dinge auch mal leihen statt kaufen, dann haben mehr Leute etwas davon, tauschen, reparieren. Raidt ermuntert Kinder (und Erwachsene) zum Handeln. Es ist letztlich ein positives Buch, eines über den Wert von Dingen. Die Lösung liegt im uralten Prinzip Recycling. Die Natur lebt es uns vor, sie liegt in Kreisläufen. Wenn die Lebenszeit von Dingen, Pflanzen, Tieren und auch Menschen zu Ende ist, nimmt die Natur die Stoffe wieder auf und baut sie in neues Leben ein. (ab 7 Jahre)
Gerda Raidt : Müll - Alles über die lästigste Sache der Welt Beltz & Gelberg, Weinheim 2019. 96 Seiten, 14,95 Euro.