Der Hitzesommer hat vielen Menschen zunehmende ökologische Schieflagen wie den Klimawandel wieder verstärkt ins Bewusstsein gerufen. Ebenso wird von vielen eine immer stärkere soziale Ungleichheit wahrgenommen und spätestens seit dem Aufkommen rechtspopulistischer Bewegungen als bedrohlich erlebt. Ein neues Buch von Uwe Schneidewind widmet sich der seit Langem diskutierten Frage, wie konkret die allseits beschworene Transformation zur Nachhaltigkeit, also zu dauerhaft und weltweit tragfähigen Lebens- und Wirtschaftsweisen gelingen könnte. Das Buch, verfasst gemeinsam mit zahlreichen Mitarbeitern des von Schneidewind geleiteten Wuppertal-Instituts präsentiert eine Art breites Update der regelmäßigen Reports des Instituts.
Das Werk gliedert sich in drei Hauptteile. Der erste handelt von der ökologisch-sozialen Bedrohungslage und der damit verbundenen Herausforderung für den Kapitalismus. Ebenso kommen die Bedingungen von Wandel sowie die Grenzen einer Problemlösung allein durch bessere Technik zur Sprache. Der zweite Teil analysiert vertieft einzelne Bereiche wie Energie, Ernährung und Mobilität, aber auch generell Wohlstand und Konsum. Der dritte Teil betrachtet die Rolle einzelner Akteure wie Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft - und ausführlich die der Unternehmen.
Nachhaltigkeit, so die Kernthese, erfordere außer besserer Technik auch mehr Genügsamkeit von uns allen, und das verlange insbesondere auch eine Popularisierung neuer moralischer Ideale. Nötig sei außerdem eine Reform des Kapitalismus, der sich von Wachstumszwängen befreien und mehr staatliche Regulierung hinnehmen müsse. Wohlstand und Naturverbrauch müssten voneinander entkoppelt werden - und unser Wohlstandsideal müsse sich vom ständigen Wunsch nach mehr lösen.
Uwe Schneidewind: Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. S. Fischer-Verlage, Frankfurt 2018. 520 Seiten, 12 Euro. E-Book: 9,99 Euro.
Ob wirklich die Wachstumsgesellschaft am Ende ist und ökologisch außer besserer Technik auch Genügsamkeit nötig ist, hängt allerdings vom verfolgten Ziel ab. Die von Schneidewind aufgerufenen UN-Nachhaltigkeitsziele von 2015 beantworten diese Frage nicht wirklich, denn sie sind in sich widersprüchlich, oft vage und zudem unverbindlich. Auch Schneidewinds Diagnose sozialer Schieflagen bietet nur begrenzt Orientierung, existieren doch sehr gegensätzliche Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit. Ebenso besagt der Verweis auf die Menschenrechte allein wenig, weil verschiedene Freiheitssphären miteinander kollidieren: der Schutz von Gesundheit, Nahrung und Wasser einerseits, der von Eigentum und Konsum andererseits. Ohne ethische und rechtliche Analyse dazu, welche Umweltziele wie weitgehend zu verfolgen sind und wie schwer diese Ziele im Vergleich zu gegenläufigen Normen wiegen, läuft jegliche Nachhaltigkeitsdebatte leer.
Messen könnte man Nachhaltigkeit teilweise an den wenigen wirklich konkreten Politikzielen, etwa der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad im Pariser Klimaabkommen. Nimmt man dies als Ziel, hätte Schneidewind allerdings weit radikalere Maßnahmen als bloß eine Dekarbonisierung bis 2050 diskutieren müssen.
Moralische Ideale, auf die Schneidewind hofft, kümmern viele im Alltag herzlich wenig
Diskussionswürdig ist der wiederholte Verweis der Wuppertaler darauf, dass Wohlstand sich von materiellen Gütern lösen müsse und dies ein gutes Leben erst ermögliche. Was jemand für sich als glücksförderlich einschätzt, ist seit der Aufklärung Privatsache. Und auch was Menschen rein empirisch gesehen glücklich macht, ist eine komplexe Frage. Hier hätte sich ein Eingehen auf die Glücksforschung angeboten - und deren Kritik durch den Nobelpreisträger Angus Deaton, der gezeigt hat, dass materieller Wohlstand durchaus Glück steigert, schon weil Gesundheit und Bildung wohlstandsabhängig sind. Das Verhältnis von Glück und Nachhaltigkeit ist also durchaus spannungsreich.