Der Hitzesommer hat vielen Menschen zunehmende ökologische Schieflagen wie den Klimawandel wieder verstärkt ins Bewusstsein gerufen. Ebenso wird von vielen eine immer stärkere soziale Ungleichheit wahrgenommen und spätestens seit dem Aufkommen rechtspopulistischer Bewegungen als bedrohlich erlebt. Ein neues Buch von Uwe Schneidewind widmet sich der seit Langem diskutierten Frage, wie konkret die allseits beschworene Transformation zur Nachhaltigkeit, also zu dauerhaft und weltweit tragfähigen Lebens- und Wirtschaftsweisen gelingen könnte. Das Buch, verfasst gemeinsam mit zahlreichen Mitarbeitern des von Schneidewind geleiteten Wuppertal-Instituts präsentiert eine Art breites Update der regelmäßigen Reports des Instituts.
Das Werk gliedert sich in drei Hauptteile. Der erste handelt von der ökologisch-sozialen Bedrohungslage und der damit verbundenen Herausforderung für den Kapitalismus. Ebenso kommen die Bedingungen von Wandel sowie die Grenzen einer Problemlösung allein durch bessere Technik zur Sprache. Der zweite Teil analysiert vertieft einzelne Bereiche wie Energie, Ernährung und Mobilität, aber auch generell Wohlstand und Konsum. Der dritte Teil betrachtet die Rolle einzelner Akteure wie Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft - und ausführlich die der Unternehmen.
Nachhaltigkeit, so die Kernthese, erfordere außer besserer Technik auch mehr Genügsamkeit von uns allen, und das verlange insbesondere auch eine Popularisierung neuer moralischer Ideale. Nötig sei außerdem eine Reform des Kapitalismus, der sich von Wachstumszwängen befreien und mehr staatliche Regulierung hinnehmen müsse. Wohlstand und Naturverbrauch müssten voneinander entkoppelt werden - und unser Wohlstandsideal müsse sich vom ständigen Wunsch nach mehr lösen.
Ob wirklich die Wachstumsgesellschaft am Ende ist und ökologisch außer besserer Technik auch Genügsamkeit nötig ist, hängt allerdings vom verfolgten Ziel ab. Die von Schneidewind aufgerufenen UN-Nachhaltigkeitsziele von 2015 beantworten diese Frage nicht wirklich, denn sie sind in sich widersprüchlich, oft vage und zudem unverbindlich. Auch Schneidewinds Diagnose sozialer Schieflagen bietet nur begrenzt Orientierung, existieren doch sehr gegensätzliche Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit. Ebenso besagt der Verweis auf die Menschenrechte allein wenig, weil verschiedene Freiheitssphären miteinander kollidieren: der Schutz von Gesundheit, Nahrung und Wasser einerseits, der von Eigentum und Konsum andererseits. Ohne ethische und rechtliche Analyse dazu, welche Umweltziele wie weitgehend zu verfolgen sind und wie schwer diese Ziele im Vergleich zu gegenläufigen Normen wiegen, läuft jegliche Nachhaltigkeitsdebatte leer.
Messen könnte man Nachhaltigkeit teilweise an den wenigen wirklich konkreten Politikzielen, etwa der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad im Pariser Klimaabkommen. Nimmt man dies als Ziel, hätte Schneidewind allerdings weit radikalere Maßnahmen als bloß eine Dekarbonisierung bis 2050 diskutieren müssen.
Moralische Ideale, auf die Schneidewind hofft, kümmern viele im Alltag herzlich wenig
Diskussionswürdig ist der wiederholte Verweis der Wuppertaler darauf, dass Wohlstand sich von materiellen Gütern lösen müsse und dies ein gutes Leben erst ermögliche. Was jemand für sich als glücksförderlich einschätzt, ist seit der Aufklärung Privatsache. Und auch was Menschen rein empirisch gesehen glücklich macht, ist eine komplexe Frage. Hier hätte sich ein Eingehen auf die Glücksforschung angeboten - und deren Kritik durch den Nobelpreisträger Angus Deaton, der gezeigt hat, dass materieller Wohlstand durchaus Glück steigert, schon weil Gesundheit und Bildung wohlstandsabhängig sind. Das Verhältnis von Glück und Nachhaltigkeit ist also durchaus spannungsreich.
Eine Erörterung verdient gehabt hätte der Kernpunkt des Streits übers Wachstum: Bislang hängen Rentenversicherung, Arbeitsmarkt oder auch der Umgang mit der Staatsverschuldung am Wachstum. Es sind also Alternativkonzepte etwa für Arbeit und Rente vonnöten - wohlgemerkt für die ganze Welt und nicht bloß für einige Aussteiger. Bisher kneifen Wissenschaft und Politik nahezu einhellig vor dieser Debatte, bis hin zu den Grünen. Hier und auch sonst öfters hätte man sich mehr Konkretheit und Mut wünschen können, sich auch mal dezidiert unbeliebt zu machen. In der jetzigen Form würden von Merkel bis Siemens wohl fast alle den Wuppertalern weitgehend zustimmen.
Interessant wäre es gewesen, den Nachhaltigkeitsdiskurs stärker historisch einzuordnen. Erst so zeigt sich auch, ob bestimmte menschliche Verhaltensweisen quasi Naturkonstanten sind oder einer bestimmten Kultur einschließlich ihrer Ökonomie geschuldet sind. Ob etwa aktuelle Trends wie die Lust am Kaufen oder das Gestresstsein in der Leistungsgesellschaft wirklich so grundlegend neu sind, lässt sich durchaus hinterfragen. Insgesamt hätte stärker erörtert werden können, was Menschen - also Politiker, Manager, Konsumenten - so alles antreibt. Dann hätte sich auch gezeigt, dass moralische Ideale, auf die Schneidewind hofft, uns im Alltag oft wenig kümmern.
Einen einfacheren Zugang zur Nachhaltigkeit präsentiert ein neues Buch von Thomas Rau und Sabine Oberhuber. Von der Architektur herkommend, präsentieren sie Ideen für ein Wirtschaftsmodell, in dem der Konsument nicht länger Eigentümer, sondern Benutzer ist und Abfälle der Vergangenheit angehören. Häuser oder Autos würden dann nicht mehr gekauft, sondern nur noch gemietet. Und auch Glühbirnen und Strom würden nicht käuflich erworben, sondern "Beleuchtung" als Dienstleistung. Damit entstünde bei den Produzenten womöglich ein riesiges Interesse an Energie- und Ressourceneffizienz. Wegwerfgesellschaft und schnell kaputt gehende Güter wären am Ende.
Mieten statt kaufen ist als Idee indes nicht so neu, wie es Rau und Oberhuber glauben machen. Und als Hauptinstrument der Nachhaltigkeit taugt der Ansatz kaum. Auch Mieter können Dinge schlecht behandeln - oft tun sie das sogar mehr als Eigentümer, wie man heute teils bei Wohnungen beobachten kann. Außerdem lassen sich zentrale ökologische Problembereiche wie Ernährung oder Flugreisen nicht sinnvoll als Miete konzipieren.
Sehr viel aussichtsreicher erscheint es da, Ressourcen wie fossile Brennstoffe deutlich teurer zu machen. Von beiden Büchern nur am Rande gewürdigt, erscheint dies als mögliches Kerninstrument zur Lösung diverser Umweltprobleme vom Klimawandel über den Biodiversitätsverlust bis hin zu gestörten Stickstoffkreisläufen. Gleichwohl geben Rau / Oberhuber und Schneidewind viele gute und wichtige Denkanstöße. Noch zugänglicher hätte das Ganze jeweils durch deutlich mehr Kürze werden können, die verlustfrei möglich gewesen wäre - und durch eine klarere Entscheidung, ob eher Kenner oder doch jeder die Werke lesen soll.
Felix Ekardt leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin und lehrt an der Uni Rostock.