Umberto Eco:Signor Zigarrenstummel

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Auch mit 75 Jahren arbeitet der italienische Autor unermüdlich weiter - zur Zeit an einer "Geschichte des Hässlichen". Ein Besuch im Haus des Literaturstars.

Henning Klüver

In der Ecke steht ein Gott, der Hermes von Olympia, lebensgroß und grauweiß in Gips gegossen. Die Kopie einer hellenistischen Arbeit des Praxiteles bewacht den Durchgang zum Salon der Wohnung von Renate und Umberto Eco. Ein Weihnachtsgeschenk für Umberto, wie Renate Eco erzählt.

Arbeitet weiterhin wie ein Wilder: Umberto Eco. (Foto: Foto: ap)

Das ist bereits ein paar Jahre her, als ihr jemand günstig diesen Gipsabdruck, wie er für Kunstakademien gemacht wird, anbot. Sie kaufte und ließ die Statue vor die Wohnungstür schieben. "Am 24.ten Dezember morgens, da habe ich klingeln lassen, und dann habe ich meinem Mann gesagt, Du, da steht ein Grieche vor der Tür, der will Dich sprechen."

Die genervte Reaktion des immerzu von Störenfrieden heimgesuchten populären Wissenschaftlers und Schriftstellers: "Was, ausgerechnet zu Weihnachten?" Dann erbarmte er sich, ging zur Tür - und war begeistert. "Seitdem haben wir ihn", sagt Renate Eco und streicht dem Praxiteles über die Schulter. So also geht es zu, im Hause des großen italienischen Autoren und Philosophen.

Mama hat Bedenken

Umberto Eco hat seine Frau Anfang der 60er Jahre im Bompiani-Verlag kennen gelernt, als die diplomierte Kunsterzieherin Renate Ramge, von ersten Unterrichtserfahrungen in Berlin gelangweilt, nach Mailand geflohen war, wo sie bei Bompiani einen Job als Grafikerin fand. Geheiratet haben sie 1962 in Renates Heimatstadt Frankfurt - zur Zeit der Buchmesse, da musste Umberto, der damals mit 30 Jahren die geisteswissenschaftlichen Buchreihen des Verlages leitete, sowieso hin.

Eco, der in einer einfachen Familie in der piemontesischen Kreisstadt Alessandria aufgewachsen ist, erzählt heute, dass seine Mutter Bedenken gegen die Heirat hatte. Aber nicht weil es sich bei der Braut um eine Deutsche handelte, sondern um eine Protestantin. Renate Eco erstaunt: "Das wusste ich gar nicht." Doch, doch, erwidert er, "wenn Du eine Japanerin gewesen wärst, wäre das wohl normal gewesen, aber eine Protestantin, das war nun äußerst merkwürdig."

Kratzbürstigkeit und Schüchternheit

Am 5. Januar feiert Umberto Eco seinen 75. Geburtstag. "Ich habe gerade gelesen, dass man damit die Grenze zum Greisenalter überschreitet", sagt er bei diesem Besuch in seiner Wohnung. Er zeigt sich gut in Form, arbeitet weiterhin "wie ein Wilder", besonders nachts, wie auch seine Verlegerin Inge Feltrinelli bestätigt.

Das letzte Fest in ihrem Hause habe er nachts um zwei Uhr verlassen - um an seinen Schreibtisch zurückzukehren. Er hatte für den nächsten Morgen einen Artikel für Le Monde versprochen. "So ist er eben", sagt Inge Feltrinelli. Ein Mann, der hinter einer manchmal kratzbürstigen Art des Auftretens Schüchternheit versteckt. " Er ist ein bisschen dicker, trinkt ein bisschen weniger, aber im Grunde ist er derselbe Umberto Eco, den ich seit vierzig Jahren kenne."

Allerdings hat er nach einer Stimmbandoperation das Rauchen aufgeben müssen. Nun lutscht er unentwegt an einer nasskalten Toscano-Zigarre. "Man versteht ihn manchmal nicht mehr, wenn er das Ding im Mund hat", beklagt sich seine Frau. Ohne Toscano im Mund, kann er sich aber nicht auf die Arbeit konzentrieren.

Gerade schreibt er an einer "Geschichte des Hässlichen", nachdem er sich lange mit der Theorie der Schönheit beschäftigt hatte. Er hält Kontakte zur Universität Bologna, wo er an seinem ehemaligen Lehrstuhl der Semiotik weiterhin Blockseminare für Doktoranden gibt. Er ist Mitherausgeber der Internetzeitschrift "Il golem indispensabile" (www.golemindispensabile.it).

Gianni und der Jazz

Er engagiert sich in der Vereinigung "Liberta e Giustizia" (Freiheit und Gerechtigkeit) und gilt als eine moralisch-politische Instanz des Landes. Regelmäßig äußert er sich in einer Kolumne des Wochenmagazins L'espresso unter dem Titel "Bustina di Minerva" ("Streichholzbrief") über Alltagsfragen oder philosophiegeschichtliche Themen. Auf Deutsch ist soeben bei Hanser unter dem Titel "Schüsse mit Empfangsbescheinigung" eine neue Auswahl dieser "Streichholzbriefe" erschienen. Nicht nur in Italien ist dieser Mann, dessen Romane - von "Der Name der Rose" an - in über 60 Sprachen übersetzt wurden, ein Star.

Der Vorteil der Bekanntheit sei, sagt Eco, dass man viele Einladungen zu Veranstaltungen erhielte, auch Freikarten für Oper und Theater. Der Nachteil, dass man nicht zu diesen Veranstaltungen hingehen könne, weil immer viel zu viele Journalisten da wären.

Theater wird bei Ecos also eher zu Hause gemacht, Puppentheater für die Enkel oder für Gäste. "Mein Mann entwickelt die Stücke, aber mit den Figuren bin ich geschickter", erzählt Frau Renate. Und manchmal kommen auch die Architekten Gae Aulenti oder der Zeichner Tullio Pericoli vorbei und helfen beim Spiel. "Man lebt eben mehr unter Freunden."

Einer dieser Freunde ist der Jazzmusiker und Akkordeonspieler Gianni Coscia, mit dem ab und zu große Musikfeste bei den Ecos veranstaltet werden. Inge Feltrinelli, die oft dabei ist, sagt: "Ich sehe selten Umberto so gelassen und happy, wie dann, wenn er seine Musikerfreunde um sich hat." Der ein Jahr ältere Gianni und Umberto kennen sich von klein auf. Zusammen haben sie das humanistische Gymnasium von Alessandria besucht.

Die gleichen schlechten Anzüge wie früher

In seiner Wohnung im Zentrum der kleinen piemontesischen Stadt erzählt der Musiker von früher, wie die beiden Freunde in der Schule Theaterabende und Musikrevuen organisierten. Umberto Eco schrieb die Texte und Gianni Coscia sorgte für die Vertonung. Eine Zusammenarbeit, die bis heute andauert. Jedenfalls hat Eco für die letzten beiden bei ECM in München erschienenen Coscia-CD's (unter anderem mit dem Klarinettisten Gianluigi Troversi über Kurt-Weill-Variationen) die Texte fürs Booklet verfasst.

Sie kenne bedeutende Autoren, die nach Weltauflagen viel Geld verdienten und unerträglich eitel geworden wären, sagt die Verlegerin Inge Feltrinelli. Umberto Eco aber sei "weiterhin der nette, im Grunde bescheidene Intellektuelle aus Alessandria geblieben". Er ziehe sich noch genauso schlecht an wie früher, "nie ist er mal zu einem Schneider gegangen und hat sich tolle Anzüge machen lassen."

Wozu auch? Sein gipserner Türwächter Hermes, Gott der Wanderer, Grenzgänger und Hirten, braucht ja auch keinen Anzug.

© SZ vom 5.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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