Umberto Eco:Höherlegung der Populärkultur

"Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus." - Umberto Eco reagiert in seinem neusten Werk auf alle Probleme unserer Zeit. Witzig, informiert und streitlustig, wie erwartet.

Martin Bauer

Er ist weltberühmt und ein gelehrtes Haus. Beides kommt selten in einer Person zusammen. Deshalb kann, was Prominenz und Gelehrsamkeit anlangt, allenfalls Noam Chomsky, der amerikanische Linguist, Umberto Eco das Wasser reichen. So jedenfalls haben es die Leser des britischen Magazins Prospect im letzten Jahr gesehen. Die Liste der von ihnen ausgewählten, hundert wichtigsten Intellektuellen führte der asketische Chomsky an, dem der beleibte Semiotikprofessor aus Bologna an zweiter Stelle folgte.

umberto eco

Umberto Eco

(Foto: Foto: dpa)

Allerdings setzt sich Ecos weltumspannende Gemeinde bestimmt nicht aus linksradikalen Globalisierungskritikern zusammen. Die versorgt Chomsky mit seinen faktengespickten Pamphleten. In der Mehrzahl werden es eher politisch indifferente Liebhaber historischer Romane sein. Seit dem Erstling "Im Namen der Rose" verschlingen sie Ecos Bücher, weil diese mehr zu bieten haben als die handelsüblichen Zutaten des kommerziell einträglichen Genres.

Der moderne Republikaner

Wie marktträchtig ein literarisch versierter Exotismus sein kann, der nicht in entlegene Räume, sondern in ferne Zeiten entführt, hatte Ecos Ausflug in die Belletristik 1980 bewiesen. Und mit dem Weltruhm erwarb er sich zugleich das Anrecht auf einen längeren Eintrag in die sicherlich aufschlussreiche, leider noch ungeschriebene Geschichte der Mittelalterfaszination. Vermutlich wird es wieder einige Jahrhunderte brauchen, ehe sich derart große Leserschaften für verschollene Traktate aus der Poetik des Aristoteles erwärmen.

Ecos Verdienste um die Höherlegung der Populärkultur sind also unbestreitbar. Freilich liegt ihm, anders als Chomsky, Extremismus fern. Zwar gehört er wie die meisten vernünftigen Italiener zur Linken, doch begegnet Eco Gesinnungen, gleich welcher Couleur, mit Skepsis. Er ist ein Mann des common sense, ein moderner Republikaner, der Tatsachenkenntnis und klare Begriffe für ebenso wichtig hält wie Augenmaß und ziviles Selbstbewusstsein.

Parallelen zwischen dem Begründer der Transformationsgrammatik und dem Zeichentheoretiker aus Norditalien lassen sich dennoch erkennen. Eine nur akademische Existenz hat beiden Professoren trotz ihrer erfolgsverwöhnten Karrieren nie geschmeckt; zu ihrem Selbstverständnis als Intellektuelle gehörte und gehört der öffentliche Einspruch. Sich publizistisch in die Politik und Tagespolitik einzumischen, gilt Chomsky wie Eco auch im achten Lebensjahrzehnt noch als unabdingbar.

Plaudernd polemisch

Tatsächlich ist der meinungsfreudige und streitlustige Eco in der italienischen Öffentlichkeit seit Jahrzehnten präsent. Er schreibt sowohl für die wichtigste überregionale Tageszeitung in Italien, für La Repubblica, wie auch für das von Paolo Flores d'Arcais herausgegebene Periodikum MicroMega, das Zentralorgan der linksliberalen Intelligenz. Außerdem versorgt Eco eine eigene Zeitungskolumne im L'Espresso seit 1985 regelmäßig.

Eine Sammlung der auf diese Weise zwischen 2000 und 2005 entstandenen Texte ist jetzt in einer vom Autor besorgten Ausgabe erschienen, erweitert um zwei längere Vorträge. Es handelt sich um Gelegenheitsarbeiten, um Ecos Reaktionen auf ereignisreiche Zeitumstände - auf die Rückkehr des Krieges nach dem langen Frieden der kalten Blockkonfrontation, auf den Aufstieg Silvio Berlusconis, auf die Debatten um die fundamentalistische Herausforderung des Westens, auf die Auseinandersetzungen um den Multikulturalismus, auf den erstarkenden Rassismus, auf den Umgang Italiens mit der faschistischen Vergangenheit.

Seite 2: Ecos Rundumschlag und warum gerade die Unwissenden seelig sind.

Höherlegung der Populärkultur

Kaum ein Thema, das nicht auch nördlich der Alpen durch die Medien gegeistert wäre, bleibt bei Eco ausgespart. Von der Zerstörung der Privatsphäre durch die Fernsehshows bis zu theologischen Feinheiten, den Status von Embryonen betreffend, zu allem bringt er nicht unbedingt Originelles, aber Lesenswertes zu Papier: manchmal plaudernd, manchmal in polemischer Zuspitzung, manchmal frei assoziierend, manchmal bestens informiert, gewöhnlich aber klug, mit dem Witz verfasst, der es unanstößig findet, unterhaltsam zu sein.

Europäische Öffentlichkeit? Ja!

Insofern führt ein erster Leseeindruck zu der nicht ganz überraschenden, jüngere Nervositäten zwischen Deutschland und Italien indes beruhigenden Schlussfolgerung, dass eine Vielzahl der Kontroversen, in die sich Eco einschaltet, im Grunde transnationale Fragestellungen betrifft.

So ganz schlecht kann es um die gerne beargwöhnte europäische Öffentlichkeit nicht stehen. Selbst wenn die Probleme im jeweils lokalen Idiom besprochen werden, scheint es doch grenz- und kulturüberschreitende Themenhaushalte zu geben, die - vielleicht mit Zeitverschiebungen - auch außerhalb der nationalen Container bearbeitet werden. Nicht minder beruhigend ist in diesem Zusammenhang, dass sich Ecos Sorge, Berlusconis medialer Populismus sei womöglich nur der italienische Auftakt für ein Schurkenstück, das in naher Zukunft auf vielen Bühnen Europas gegeben werde, im Rückblick als überängstlich erweist.

Zu monieren, dass Berlusconis gleichschaltende Medienmacht im Begriff sei, das nationale Interesse mit den höchst partikularen Interessen eines Privatunternehmens kurzzuschließen, war keineswegs alarmistisch. Und den Populismus als ein Regime zu definieren, das parlamentarische Vermittlungen überspringen will, "um ein unmittelbar plebiszitäres Verhältnis zwischen charismatischem Führer und Massen herzustellen", ist zweifelsohne eine nicht nur für italienische Besonderheiten brauchbare Definition. Zum Glück hat sich diese Regimeform jedoch bislang nicht zu einem europaweit nachgefragten Exportartikel gemausert, dessen Markteinführung Eco schon vor sich sah.

Tröstlicher Leseeindruck

Dass einige seiner Urteile übers Ziel hinausschießen, dass Eco selbst frühere Prognosen etwa zur Zukunft des Kriegs revidieren muss und jetzt mit Spekulationen aufforstet, die nur mit groben, allzu groben Plausibilitäten ein ewiges Zugleich von globalem Krieg und regionalen Friedenszonen voraussagen, solche Unzulänglichkeiten gehören nun einmal zum Geschäft des Tagespublizistik.

Sie steht ja überhaupt unter dem bekannten Motto, dass nichts so alt sei wie die Zeitung von gestern. Und diesem Gesetz entkommen Ecos Äußerungen nicht, weil sie besonders gelehrt und deshalb der Zeit enthoben wären, sondern nur, weil er ein berühmter Mann ist.

So werden vor allem jene Leser von den durchaus auch verderblichen Zwischenrufen Ecos profitieren, die sich in unseren Breitengraden darauf spezialisiert haben, nie genau zu verstehen, was in Italien eigentlich vorgeht. Dass dieses Unverständnis mitunter Gründe in den jeweils zeitgeschichtlich angeheizten Sachen selbst hat, das ist der zweite, mitunter sogar tröstliche Leseeindruck. Und mit ihm lässt sich Ecos Buch nach der Lektüre getrost aus der Hand legen.

UMBERTO ECO: Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Carl Hanser Verlag, München 2007. 320Seiten, 23,50 Euro.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: