"Ultraviolence" von Lana Del Rey:Subtil fragil

Lana del Rey

Königin des Schlafzimmerblicks: Elizabeth Woolridge Grant alias Lana Del Rey 2014.

(Foto: Neil Krug/Universal)

Wer den Geist der Zeit belauschen möchte, kann zum Beispiel das neue Album von Lana Del Rey hören. Aber bitte nicht ewig, auch wenn es große Klasse ist.

Von Jens-Christian Rabe

Der Geigenleim, der auf dem ersten Album die elegischen Klanggerüste eimerweise zusammenhalten sollte, klebt einem ja immer noch etwas unangenehm im Ohr. Man folgte dem Link also ein bisschen widerwillig, als vor ein paar Wochen mit "West Coast" der erste Song des nun erscheinenden zweiten Albums "Ultraviolence" (Universal) der amerikanischen Sängerin Lana Del Rey im Netz in Umlauf gebracht wurde. Und als man das Video auf dem Bildschirm schließlich vor der Nase hatte, zögerte man lieber noch einmal. Wo waren wir eigentlich gleich wieder im Fall Del Rey?

Ach ja, in den Sechzigern, bisschen Tussi, bisschen Retro-Diva, sie selbst nannte sich treffend "Gangster Nancy Sinatra" und "Lolita lost in the hood ". Und nicht vergessen ist natürlich, dass der Breitwand-Minimalismus ihres Hits "Video Games" samt seinem unwiderstehlich nostalgischen Schnipselvideo die 27-jährige amerikanische Sängerin Elizabeth Woolridge Grant alias Lana Del Rey 2011 blitzschnell weltberühmt gemacht hat. Und dass sich das ein paar Monate später im Januar 2012 folgende Debütalbum "Born To Die" mittlerweile geschätzte fünf Millionen Mal verkauft hat.

In Zeiten, in denen immer weniger Musik gekauft wird, weil man sie entweder bei Streaming-Diensten im Millionen-Pack für ein paar Euro abonniert oder eben sonst wie günstig digital teilt, in solchen Zeiten sind 5 Millionen verkaufte Einheiten eines Pop-Albums ziemlich unglaublich.

Ein neuer Pop-Star war damit in der Welt, auch wenn manches noch nicht so richtig saß, die Lalala-Kulturkritik zum Beispiel ("Money is the reason we exist / Everybody knows that it's a fact / Kiss kiss") oder das Rollenspiel, das mal ultrainformiert souverän neo-feministisch wirkte und dann wieder ziemlich steinzeitlich, weil sie mitunter wie eine bis an die Grenze der Bewusstlosigkeit sedierte Diva klang, was ja doch eine scheußliche alte Männerphantasie ist.

Mehr Gitarren und weniger Geigenkleister

Aber als erste Geigerin der allgegenwärtigen Retromania war sie in den besten Momenten ohne Zweifel nicht nur eine gute Dichterin, sondern vor allem eine virtuose Verdichterin der allgemeinen Stimmung. Es macht ja für die musikalischen Vorlieben einen gewaltigen Unterschied, ob man der Ansicht ist, dass alles immer besser werden wird, oder ob man doch eher meint, in der Zukunft mehr zu verlieren als zu gewinnen zu haben. Die passenden animierten Sepia-Bilderbögen und den perfekten Soundtrack dieses Gefühls lieferte Lana Del Rey.

Aber zurück ins Jahr 2014, zurück zu "West Coast". Man holte also einmal tief Luft, startete den Clip - und hörte ein wirklich hinreißendes Stück elegisch-schleppenden Noir-Pop, ganz bestimmt also einen der bislang besten Popsongs des Jahres.

Es war eine sehr kluge Entscheidung, für die Aufnahmen Dan Auerbach, den Songwriter, Sänger und Gitarristen der Black Keys, der besten Blues-Poprock-Band der Gegenwart, als Produzenten zu engagieren, sich also für mehr (aber eher minimalistisch arrangierte) Gitarren zu entscheiden und weniger Geigenkleister.

Geheimnisvolle Präsenz

Und so hört man bei "West Coast" wirklich so etwas viel zu Seltenes wie: subtile Mainstream-Popmusik. Ein gedämpft-polternder, aber ungewöhnlich präsenter Schlagzeug-Beat schiebt den Song von unten an, dahinter gleitet, deutlich stiller, eine eher tastend gespielte E-Gitarre herum, und das war's eigentlich auch schon, bevor im Refrain die Glocken läuten und ein paar Synthie-Wolken vorbeischweben. So einfach ist das und so geschickt, weil der große Trumpf und das große Problem dieser Künstlerin ja ihre merkwürdige Stimme ist, die den Unterschied oder alles kaputt machen kann.

Sie ist tief und besitzt eine sehr eigene, geheimnisvolle Präsenz, aber letztlich ist sie doch eher zart, fragil. Es ist eine Kunst für sich, diese Stimme im Studio richtig einzusetzen, im Konzert ist es eine echte Herausforderung. Die böse Kritik und Häme für ihre ersten Auftritte waren deshalb nicht ganz fair. Es ist ein grausam schmaler Grat zwischen souverän-gelangweilt und einfach nur nuschelnd-schlafmützig. Besonders, wenn man sich einmal dafür entschieden hat, so zu singen, als ob man gerade mal wieder ein klit-ze-klei-nes Bisschen zu viel Valium genommen hat, wenn man ohnehin kein Freund davon ist, den Mund beim Singen mehr als unbedingt nötig zu öffnen.

Keine offensichtlichen Peinlichkeiten mehr

Womit natürlich noch die Frage bliebe, ob denn auch auf den übrigen Songs des Albums die Gratwanderungen so gut gelingen wie bei "West Coast"?

Nun, leider nicht ganz. Aber auf ungewöhnlich hohem Niveau. Es gibt auf "Ultraviolence" keine offensichtlichen Peinlichkeiten mehr wie noch auf "Born To Die". Nicht einmal einen bloß missglückten Song. Aber immer noch erkundet Lana Del Rey beinahe obsessiv eigentlich nur ein einziges Gefühl, das man vielleicht wehmütige Verlorenheit nennen könnte.

Die Liebe ist dabei grundsätzlich gleichzeitig das Versprechen der ersehnten Rettung wie die ständige Gefahr neuer Verletzungen, die ihrerseits natürlich vor allem wieder ein hervorragender Grund sind für noch tiefer reichende Träumereien und Verklärungen: "Cruel World" heißen diese Trips dann oder "Sad Girl" oder "Pretty When You Cry" - man hält das nicht zwingend ewig aus, aber es ist doch auch große Klasse.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: