Am 17. Februar sollte im Zu-Klampen-Verlag ein immerhin in publizistisch-politischen Kreisen aufmerksam erwarteter Essayband des Welt-Herausgebers Ulf Poschardt erscheinen, Titel: „Shitbürgertum“. Poschardt gilt als überzeugter Liberaler, gelegentlich auch als Provokateur, dabei als kultivierter, freundlicher Gesprächspartner, weswegen erfolgreiche Podcaster wie Micky Beisenherz – mit Poschardt nicht notwendigerweise auf einer politischen Wellenlänge – den Journalisten immer wieder gerne zu Gast haben. Auch für den neuen Essayband waren die PR-Termine schon gebucht. Die Publikation aber wurde nun kurzerhand vom Verlag abgesagt.
Schade, denn die überall schon lange einsehbare Inhaltsangabe klang vielversprechend. Auf den Schildbürger und seine Streiche, die in bester Absicht das Gemeinwesen infrage stellen, und den Spießbürger, der krampfhaft seinen Status quo verteidige, folge nun der „Shitbürger“. In dem mischen sich Anmaßung und Untertanengeist, Selbstbehauptung und Opportunismus. In „den saturierten liberalen Gesellschaften des Westens“ setzten sie sich einerseits für die Rettung der Welt ein, verteidigten aber aus einer moralischen Überlegenheit heraus am Ende doch nur ihre Pfründe. „In Deutschland haben sie längst weite Teile des Kultur-, Medien- und Wissenschaftsbetriebs unter ihre Kontrolle gebracht, dazu die Amtskirchen und eine große Mehrheit der überwiegend mit Steuergeldern finanzierten NGOs.“ Poschardt fordert von diesem Milieu mehr Selbstkritik und eine Rückbesinnung auf republikanische Tugenden. Soweit so korrekt. Solche Kritik am Moralbürgertum gibt es von links, aus der Mitte wie von rechts, in Deutschland und im Ausland.
In seinen letzten Tagen als Chefredakteur der „Welt“ hob Poschardt Elon Musks Beitrag zur AfD ins Blatt
Wer Poschardts Texte in der Welt, seine Posts auf X oder seine Auftritte in Podcasts und Talkshows verfolgt, weiß natürlich, dass ihm die Rolle als Feindbild genau dieses Milieus großen Spaß macht. Und er ist dafür perfekt geeignet, als bekennender Liebhaber PS-starker Verbrennermotoren, früher Bewunderer Elon Musks (dessen Wahlempfehlung der AfD in der Welt er in seinen letzten Tagen als Chefredakteur des Blattes noch verantwortete) und Radikalironiker mit großer Lust, alles was links von Springer steht, mit Polemik in die Empörungswellen zu treiben.
Elon Musk und die AfD:Der Wahlhelfer
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Was dann als Text im Verlag ankam, war der Herausgeberin der Essaybandreihe, Anne Hamilton, dann aber zu viel. In einer schriftlichen Stellungnahme des Verlages heißt es auf Anfrage der SZ, Poschardt wollte „die Analyse eines Sozialtypus liefern, bei dem sich Anmaßung und Untertanengeist, Selbstbehauptung und Opportunismus auf unheilvolle Weise mischen“. Im Laufe der Arbeit zeichnete sich für die Herausgeberin jedoch immer klarer ab, dass die Behandlung des Themas den Rahmen der Reihe sprengen würde: Die Darstellung des Autors, mit dessen Analysen sie grundsätzlich übereinstimmte, tendierte „zu sehr in Richtung Polemik“.
Fairerweise stellt der Verlag dann Poschardts Sicht der Dinge auch noch dar: „Der Autor allerdings sieht genau in dieser scharfen Argumentationsweise die einzig mögliche Form, in Zeiten sich überstürzender politischer Ereignisse wirkungsvoll essayistisch zu intervenieren.“ Eine Woche vor Weihnachten habe man den Vertrag nun aufgelöst. Wo das Buch nun erscheinen wird, war bei Redaktionsschluss noch unklar. Eine noch mal erhöhte Aufmerksamkeit ist ihm seit Mittwoch gewiss.