Süddeutsche Zeitung

Zum Tod des Künstlers Ulay:Der Alltagsweise

  • Frank Uwe Laysiepen, der unter dem Künstlernahme "Ulay" berühmt wurde, starb in der Nacht zum Montag im Alter von 76 Jahren in Ljubljana.
  • Bekannt wurde er durch seine Exzess-Duette mit der Performance-Künstlerin Marina Abramović.

Von Till Briegleb

Vor vier Jahren bekam der Künstler, der normalerweise immer durch ein "und" mit seiner langjährigen Partnerin Marina Abramović verbunden wurde, und der sich selbst nicht ohne Bitterkeit den "bekanntesten unbekannten Künstler" nannte, noch einmal eine große alleinige Würdigung in der Frankfurter Schirn. "Ulay Life-Sized" stand am Eingang, Ulay lebensgroß. Für die Ausstellung warb ein Video, in dem der Mann von der Aura eines fernöstlichen Gurus erklärte, dass die menschliche Identität ein kleines Segelboot auf der Mitte des Ozeans sei mit dem Anker von der Größe eines Tankers. Dieses lebenslange Kämpfen mit der eigenen Identität, stellvertretend für die menschliche Selbstwahrnehmung schlechthin, war Ulays Thema, das philosophische Grundbrummen unter all seinen Arbeiten, bei den eigenen großformatigen Fotoarbeiten ebenso wie in den extremen Performances, die Ulay mit Marina Abramović zwölf Jahre lang wagte.

Berühmt wurde Frank Uwe Laysiepen, der 1943 in Solingen geboren wurde, zunächst alleine. Allerdings war Abramović 1976 schon mit der Kamera dabei, als Ulay in die Neue Nationalgalerie in Berlin marschierte, einen Spitzweg von der Wand riss, um ihn nach Kreuzberg zu bringen, wo er ein paar Wochen die Wohnung einer türkischen Arbeiterfamilie schmückte. Dieser Kunstraub im Geiste elitenkritischer Emanzipationspolitik war eine der radikalsten Aktionen performativer Protestkultur jener Epoche. Doch weniger der Politik blieb Ulay anschließend treu als dem Herausfordern von Grenzen.

Zu viele Verletzungen, die nicht nur an die Grenze gingen, sondern darüber hinaus

Seine Exzess-Duette mit Marina Abramović haben wegen ihrer eindrücklichen Schonungslosigkeit zu einigen der bekanntesten Dokumenten der Performancekunst des 20. Jahrhunderts geführt. "Rest Energy" etwa, wo die zwei einen gespannten Bogen halten, dessen Pfeilspitze auf Abramović' Herz zielte. Oder "Imponderabilia" 1977 in Bologna, als die beiden nackt im Türrahmen einer Galerie standen, so dass jeder, der hinein wollte, sich in der Berührung beider Körper durchzwängen musste. Und schließlich die große Abschiedswanderung auf der Chinesischen Mauer, als Ulay und Abramović bereits getrennt waren, laut ihrer Biografie: weil Ulay sie ständig betrogen hatte. Von zwei Seiten des Verteidigungsbauwerks aus marschierten sie 1988 los, um sich nach 2500 Kilometern zu treffen und erschöpft voneinander zu verabschieden.

Ein paar Jahrzehnte später kehrte die extreme Intimität dieser alles fordernden Grenzbeziehung noch einmal an die Öffentlichkeit zurück. Nachdem Ulay Abramović zwischenzeitlich aus Urheberrechtsgründen verklagt hatte, saß er zu ihrer sichtlichen Überraschung bei der Ausdauerperformance "The Artits is present" 2010 im New Yorker MoMA plötzlich auch auf dem Stuhl. Sie weinte, sie fassten sich an den Händen, aber wirklich versöhnt haben sie sich erst Jahre später. Zu viele Verletzungen, die nicht nur an die Grenze gingen, sondern darüber hinaus, waren der Preis für eine Kunst, die mit Schmerz und extremer Selbstüberwindung entstanden war.

Ulay gelang es im Anschluss an ihre spektakuläre Trennung nicht, eine so bildmächtige Präsenz zu erreichen, wie sie Abramović als Kunstpriesterin für kollektive Traumata und Sehnsüchte entwickelte, womit sie zu einer der angesehensten Künstlerinnen der Gegenwartskunst wurde. Seine weitere Auseinandersetzung mit der Identität als größte menschliche Sicherheit, die völlig unsicher ist, bekam eine private, fast intime Note. Seine Fotocollagen und Selbstverwandlungen wirkten rätselhaft, zitierend, er schien sich selbst mehr als grimmigen Schrat und Guru ins Zentrum der Kunst zu setzen, denn als radikalen Bedeutungs(hinter)frager. Das erzeugte zwar eine eigene Bildsprache, das Opus eines forschenden Alltagsweisen. Aber Ulay erfüllte damit nicht mehr die Erwartungen eines Kunstmarktes, der auf neue Sensationen hoffte. So ist Ulays kleines "Segelboot" mit dem riesigen "Anker" jetzt doch ein wenig halbvergessen gesunken. In der Nacht zum Montag ist Ulay im Alter von 76 Jahren in Ljubljana gestorben. Er wird als einer der wichtigsten Kunstpartner aller Zeiten in die Kunstgeschichte eingehen, der alles wagte, für die Liebe, die Kunst und die philosophische Frage, was der Mensch ist und wozu er fähig ist.

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SZ vom 03.03.2020/tmh
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