Ukrainisches Tagebuch (XXVII):Danke, liebe Unbekannte

Ukrainisches Tagebuch (XXVII): Ihre eigene Katze ist kulinarisch weniger verwöhnt: Oxana Matiychuk.

Ihre eigene Katze ist kulinarisch weniger verwöhnt: Oxana Matiychuk.

(Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung:SZ)

Für Lego Ninjago, für L-Thyroxin, für den Wasserkocher. Das ukrainische Tagebuch über die Spenden aus Deutschland.

Gastbeitrag von Oxana Matiychuk

Lange schon wollte ich einen Dankestext schreiben. Einen Dankestext an viele bekannte und unbekannte Menschen in Deutschland, die man als Zivilgesellschaft bezeichnet. Ein Dankestext von mir als Vertreterin der ukrainischen Zivilgesellschaft. Die Osterfeiertage sind ein guter Zeitpunkt dafür. Genau zwei Monate war der Kriegsbeginn am orthodoxen Ostern vergangenes Wochenende her. Der Kriegstageszähler läuft weiter. Das "Brudervolk" versucht alles Mögliche, um die Ukrainerinnen und Ukrainer auszulöschen, wenn ihre Einsicht nicht dazu reicht, sich zu ergeben. Andere Völker, die keinen Anspruch darauf erheben, unsere Brüder zu sein, versuchen zu retten und zu helfen. Von Seiten der deutschen Zivilgesellschaft erfahren sowohl Geflüchtete als auch in der Ukraine Gebliebene eine überwältigende Hilfsbereitschaft und Unterstützung. Man liest, hört und sieht davon sehr viel. Das hier ist meine ganz persönliche Geschichte, und ich bin glücklich, dass ich diese schreiben darf.

Viele Menschen, die dem Spendenaufruf folgten, kenne ich nicht persönlich, ich weiß allerdings, dass sie die SZ lesen. Bei allen möchte ich mich herzlich bedanken. Es wird demnächst viel L-Thyroxin auf die Reise von München nach Tscherniwzi (Czernowitz) gehen, weil es in Deutschland Menschen gibt, die es unbekannten Ukrainerinnen und Ukrainern ermöglichen wollen, das lebensnotwendige Schilddrüsenhormon zu erhalten. Weil ein großer Freund von Tscherniwzi und der Ukraine aus Heilbronn, der 80-jährige Ch. H., bereit ist, sich in den Zug nach München zu setzen, um die Medikamente persönlich zur Sammelstelle nach München zu bringen, die seine Bekannten, die Apotheker E. M. und M. K., zu Einkaufspreisen abgegeben haben. Weil Frau E. W. aus Konstanz ebenfalls bereit ist, das Mittel zu besorgen und mit der zuständigen Person im Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München wegen der Zustellung zu telefonieren. Weil viele, viele andere, die mich nur von Tagebuchtexten her kennen, bereit sind, mir eine ermunternde oder teilnahmsvolle Mail zu schreiben und zu fragen, wie sie helfen können. Es waren viele Gesten, die mich zutiefst berührten.

Von diesen glücklichen Momenten gibt es unzählige - in der Ukraine wie in Deutschland

Die allermeisten Menschen, denen mit Medikamenten, Lebensmitteln und anderen Sachspenden geholfen wird, werden die deutschen Spenderinnen und Spender nie kennenlernen, wie auch ich sie nicht persönlich kennenlernen werde. Was wir von freiwilligen Helferinnen und Helfern oder direkten Empfängerinnen und Empfängern bekommen, sind Dankesbriefe und manchmal Fotos. Ich kann aber von zwei "meiner" Kleinfamilien berichten, für die ich am Karfreitag Überraschungskisten gepackt habe. O. aus Wassyliwka kommt mit ihrem Sohn R. zur Universität, ich bringe die Kiste raus. Außer "langweiligen" Lebensmitteln sind bunte Ostersüßigkeiten und ein Lego-Ninjago-Motorrad drin. R. ist ein aufgeweckter Junge, seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, das gleiche offene Lächeln, zum Kennenlernen streckt er mir selbstverständlich seine Hand entgegen, eine Geste, die man in der Ukraine nicht unbedingt erwartet. Umso schöner. Ich verrate nicht, was drin ist; am Abend kommt eine Nachricht von O., der Sohn sei so glücklich wie schon lange nicht mehr, woher ich wüsste, dass er ein Ninjago wollte, besser hätte man nicht raten können. Ich bin ebenfalls glücklich, die Wahl war eigentlich ganz einfach, für das Alter ab acht gab es nur zwei Lego-Sets, das andere gefiel mir optisch nicht.

Die zweite Kiste holt der junge Familienvater aus Charkiw ab, der mit seinem Taxi unterwegs ist. Für seine kleinen Töchterchen kaufte ich Lego Duplo, ansonsten sind die gleichen Lebensmittel und Süßigkeiten drin. Zusätzlich noch ein Wasserkocher, T. fragte mich einen Tag zuvor, ob ich nicht einen abzugeben hätte, der nicht elektrisch ist, weil ihre Stromkosten so hoch seien. Abzugeben hatte ich keinen, die Familie kann aber auch einen neuen haben. Abends meldet sich T., bedankt sich und schickt zwei Fotos, auf einem umarmen sich die Schwesterchen, die jüngere hält das Duplo-Set, auf dem zweiten lächelt sie allein in die Kamera. Zwei ganz gewöhnliche Kinderfotos, aber wenn man den Hintergrund kennt, so ist einem zum Heulen zumute.

Niemand weiß, was aus ihren Heimatorten, aus ihren Häusern oder Wohnungen wird, wann und ob sie überhaupt mit ihren Eltern zurückkönnen. Umso wichtiger ist es, ihnen diese Glücksmomente zu ermöglichen. Dafür gilt mein großer Dank - der deutschen Zivilgesellschaft generell und einzelnen Menschen insbesondere. Ich weiß, von diesen glücklichen Gesichtern und Momenten gibt es unzählige - in der Ukraine wie in Deutschland oder anderswo. Ich schaue in dieser unglücklichen Zeit auf viele glückliche Fügungen zurück, die kleine Wunder ermöglichten. So auch am Karsamstag, als wir mal wieder nach Rumänien fuhren, um eine weitere Hilfslieferung abzuholen. Aber das ist nun die Geschichte der nächsten Folge.

Weitere Folgen dieser Kolumne lesen Sie hier.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusWladimir Sorokin zu Russlands Invasion
:Unser Krieg

Der Präsident Russlands ist verrückt? Das glaubt ihr vielleicht. Er und seine Anhänger glauben das nicht. Jede und jeder in Europa muss wissen: Es geht hier um uns alle, ganz persönlich.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: