Ukrainisches Tagebuch (XXVI):Auf ein Bier ins Ausland

Ukrainisches Tagebuch (XXVI): "Ich weiß, dass es keine Worte gibt, um O. zu trösten oder zu beruhigen." - Oxana Matiychuk.

"Ich weiß, dass es keine Worte gibt, um O. zu trösten oder zu beruhigen." - Oxana Matiychuk.

(Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung: SZ)

Das ukrainische Tagebuch über eine komplizierte Fahrt nach Rumänien.

Von Oxana Matiychuk

Unsere Fahrt am Dienstagmittag nach Rumänien gestaltet sich anders als gedacht. Der Universitätsfahrer hat keinen biometrischen Pass und darf nicht visumsfrei nach Rumänien einreisen. Vor ein paar Tagen war er ein- und wieder ausgereist, das war einmalig möglich, wie eben bei Flüchtlingen, die auch ganz ohne einen Reisepass in Rumänien aufgenommen und jederzeit zurückkehren würden. Nur ist unser W. kein Flüchtling, der in Rumänien bleibt oder in den Westen weiterfährt, er wird dringend hier benötigt - als unser zuverlässiger, mitdenkender und hilfsbereiter Fahrer des Kleintransporters.

Weil in der Ukraine Kriegszustand ist, gibt es eine Lösung für ihn auch ohne Visum: Die "protecţie temporară", ein Dokument, das ausgestellt werden kann aufgrund des "Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes". Das Dokument würde ein Jahr lang gelten und kann in der nächsten Polizeibehörde ausgestellt werden, für uns ist das der Ort Siret hinter der Grenze. Wir treffen hier wieder auf große Hilfsbereitschaft, allerdings gibt es ein technisches Problem: Das elektronische System hängt, wir müssen uns gedulden.

Wir fahren zum nächsten Lidl und machen eine Vesper auf dem Parkplatz

Wir bitten den Fahrer von der Polytechnischen Universität Bukarest, der inzwischen in Suceava angekommen ist, wo das Umladen geplant war, nach Siret zu kommen. Er ist darüber nicht erfreut, aber es ist eine bessere Lösung als eine ungewisse Wartezeit in Suceava. Das Umladen ist schnell erledigt, das System hängt immer noch, wir fahren zum nächsten Lidl, um einzukaufen, und machen eine Vesper auf dem Parkplatz. Wieder zurück bei der Polizei erfahren wir, dass die Technik nach wie vor streikt, landesweit, das wurde inzwischen aus der Hauptstadt bestätigt.

Vielleicht sind ja russische Hacker am Werk. Wenn wir das Dokument für den Fahrer haben wollen, müssen wir in Rumänien bis zum nächsten Tag bleiben, bei der Ausreise würde W. sonst ein Einreiseverbot bekommen. Und wir dürfen uns wegen der Ausgangssperre nicht zu einer beliebigen Uhrzeit in der Ukraine bewegen. S. ruft den Prorektor in Suceava an, um nach der Übernachtungsmöglichkeit zu fragen. Irgendwann, scherzt er, wird der Prorektor die ukrainischen Nummern einfach sperren lassen, wenn ihm das Krisenmanagement wegen der Ukraine zu viel werden würde. Die Kooperation mit der Universität Suceava ist eine der ältesten und der Austausch seit Jahrzehnten sehr intensiv. Wir dürfen auch jetzt die Gastfreundlichkeit nutzen und im neuen, erst vor Kurzem fertiggestellten Universitätshotel schlafen. Den Prorektor laden wir auf ein Bier ein. Ein unerwartet entspannter Abend im Ausland, zum ersten Mal seit dem Kriegsbeginn. Bei mir zu Hause ist auch so weit alles geregelt: Meine Schwester wird sich um die Mutter kümmern, unsere zwei Hunde und drei Katzen werden von meinen Gästen versorgt.

Am nächsten Morgen begeben sich unsere rumänischsprachige Kollegin K. und der Fahrer sofort zur Öffnungszeit in die Polizeibehörde, die Angelegenheit ist schnell erledigt, wir fahren noch zum Großhandel Selgros, wo drei vom Prorektor bestellte Paletten Lebensmittel warten. Eine muss noch bezahlt werden, in Gedanken danke ich der Spenderin aus Berlin D. K., deren Spende inzwischen auf meiner Bankkarte gelandet ist, und so können Nudeln, Reis und Weizen auch mit auf die Fahrt gehen. Gegen Mittwochabend sind wir im Studentendorf, wo die Hilfsgüter ausgeladen werden. Sortiert werden sie am nächsten Tag von freiwilligen studentischen Helferinnen und Helfern, für die Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnheime werden Osterpakete erstellt. In der mehrheitlich orthodoxen Ukraine wird Ostern am 24. April gefeiert.

Luftalarm: ein guter Moment, endlich etwas zu essen

Donnerstag ist ein ebenfalls voller und spannender Tag. Nach dem Unterricht dolmetsche ich bei einem Termin beim Bürgermeister für einen deutschen Journalisten. Anschließend gehen wir in die Universität und sprechen im International Office über unsere Aktivitäten, danach schauen wir noch schnell im Studentendorf vorbei, wo ein Teil der Pakete inzwischen fertig ist. Für ein Abendessen mit dem Journalisten und seinem rumänischen Begleiter habe ich leider keine Zeit, um 19 Uhr ist noch eine Online-Veranstaltung für Studierende mit einer deutschen Autorin, die mein Gast M. initiierte.

Das freundliche Angebot, mich mit ihrem Wagen nach Hause zu fahren, nehme ich dankend an; unterwegs entsteht die Frage, ob nicht ein Gespräch mit jemand von meinen Gästen möglich wäre. R. ist noch unterwegs, aber ihre Mutter I. ist bereits zu Hause und bereit zu sprechen. Die Verständigung ist auf Russisch möglich, also lasse ich I. mit beiden Männern in der Küche über ihre schrecklichen Erfahrungen im besetzten Mariupol sprechen und begebe mich in mein Badezimmer, das nun zum Arbeitszimmer umfunktioniert wurde. Die Online-Veranstaltung ist perfekt getimt: Während die vierte Frage in der Diskussionsrunde nach dem Vortrag der Autorin beantwortet wird, geht der Luftalarm los. Wir schließen die Veranstaltung, immerhin haben wir alles geschafft. Weil in unserer Region bisher keine Bomben oder Raketen einschlugen, steigen wir nicht mehr in den Keller hinunter, sondern gehen in die Küche. "Wäre doch eine gute Zeit, jetzt endlich etwas zu essen", sagt M. Das sehe ich genauso.

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