Manchmal passieren Geschichten, die wie erfunden wirken. Schicksalsfügungen seien das, meint meine Freundin O. aus dem Gebiet Saporischschja. Ob ich in der Mittagspause zum Essen komme, fragt sie. Aus Dankbarkeit, dass sie in der Wohnung unserer deutschen Kollegin wohnen dürfen, ohne die Miete zu zahlen, verwöhnen ihr Mann und sie mich und meine Kollegen. Doch an diesem Tag habe ich keine Zeit, bin mit zwei Kollegen unterwegs. O. erwähnt nebenbei noch, ins Haus würden zwei Frauen einziehen, sie sitzen schon eine Weile vor dem Hauseingang und warten auf die Vermieter.
Zwei Stunden später schickt O. mir erneut eine Nachricht. "Haben Sie Ihre Wohnung schon vermietet? Ich glaube, die Frauen sind an einen Betrüger geraten. Bis jetzt ist niemand erschienen, sie sitzen seit über vier Stunden vor dem Haus und haben jetzt die Polizei gerufen." Ich rufe O. an. Sie berichtet über den aktuellen Stand: Zweimal habe sie die Frauen gefragt, ob sie Hilfe brauchen. Sie haben es verneint, baten nur um die Erlaubnis, die Toilette zu benutzen und das Telefon aufzuladen. Es sind Mutter und Tochter, sie stammen aus Cherson, waren seit dem Kriegsbeginn in Bukarest und wollen nun nach Tscherniwzi ziehen, weil sich die Tochter für ein Studium an der dortigen Universität entschieden hat. Umweltwissenschaften möchte sie studieren. Die Wohnungsanzeige haben sie auf OLX, dem bekannten Anzeigenportal, gefunden, und das Geld für drei Monate vorab überwiesen. Es sah glaubwürdig aus, mit einem Foto eines Generals. Sie kamen heute aus Rumänien an, zunächst ging auch noch jemand ans Telefon, und es hieß, die Wohnungseigentümer seien unterwegs, verspäten sich bloß ein wenig. Dann war unter der Nummer niemand mehr erreichbar, und sie wandten sich an die Polizei. Sie ist nun da und spricht mit den beiden, aber die Aussichten sind schlecht.
Das Foto eines "Generals" ist der übelste Missbrauch der Autorität der Militärleute
Spätestens als das Wort "General" fällt, bin ich mir auch sicher, dass die beiden betrogen wurden. Ich kann eine Anzeige auch mit dem Foto der First Lady oder des Generals Saluschnyj, des Oberkommandierenden der Streitkräfte der Ukraine, posten. OLX prüft nichts. Eine Masche, die es schon lange gibt: Eine schöne Wohnung versprechen, Geld kassieren und abtauchen. Es gibt Landsleute, die selbst aus dem Leid und der Not anderer Profit schlagen. Diese Skrupellosigkeit ist abscheulich, und ich wünsche mir, nachdem mein erster Gedanke etwas radikaler war, dass diese Personen einmal selbst in so eine Situation kommen und dann keiner da ist, der ihnen hilft. Das Foto eines "Generals" ist auch der übelste Missbrauch der Autorität der Militärleute. Das größte Vertrauen im Land wird seit Monaten den ukrainischen Streitkräften entgegengebracht. Wie kann man bloß so naiv sein, denke ich. Doch die ganze Aufregung hilft nicht. Unsere alte Stadtwohnung ist tatsächlich noch frei, O. weiß, dass ich vorhatte, neue Mieter zu finden, nachdem die Studenten ausgezogen sind. Dort wären noch Dienste eines Elektrikers und eines Klempners erforderlich, aber grundsätzlich kann man in der Wohnung wohnen. Ich verspreche, sofort nach Feierabend zu kommen, bis dahin ist es noch eine Stunde.
Als ich komme, steht die Polizei immer noch da. Von mir wollen sie nur wissen, wo die alternative Unterkunft ist, nach meinen Personaldaten fragen sie nicht. Der Mann von O. bietet sich als Fahrer an, O. kommt mit. Wir fahren mit der Tochter N., sie soll sich die Wohnung zunächst einmal anschauen. Die Mutter wartet mit ihren Sachen auf der Straße, die Polizei bleibt bei ihr. N. findet die Wohnung gut, also kommt die Mutter mit dem ganzen Gepäck nach. Es sind schöne, schicke Koffer und Taschen, beide Frauen sehen intelligent aus und wirken nicht verärgert oder verzweifelt, eher übermüdet und erstaunt. "So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt die Mutter. Ich erkläre ein paar Sachen, für mehr habe ich an diesem Abend keine Zeit, muss am nächsten Morgen verreisen. Wir vereinbaren, dass die beiden erst einmal die Wohnung nutzen und wir nach meiner Rückkehr entscheiden, was wir tun. Ich frage die Mutter nach dem Pass. Sie hat denselben Nachnamen wie ein bekannter sowjetischer Pflanzenzüchter, mit ihrem Namen und Vatersnamen ist sie eine Namensvetterin von O. Ich kann mir das gut merken. Dann tauschen wir die Telefonnummer aus, verabschieden uns, zum Dank bekommen O. und ihr Mann noch eine Flasche Limoncello. Sie seien viel in Westeuropa gereist, fügt die neue Cherson-O. hinzu.
Als ich am nächsten Morgen unterwegs in Rumänien bin, erreicht mich eine Nachricht von einer unbekannten spanischen Nummer. "Oxana, hier ist O. aus Ihrer Wohnung, ich schicke Ihnen die vollständige Kopie meines Passes, damit Sie wissen, dass ich ein normaler Mensch bin. Danke, dass Sie uns geholfen haben, das mit der Bezahlung machen wir sofort, wenn wir zurück sind." "Kommen Sie an, erholen Sie sich", schreibe ich zurück. "Ich versuche, über die Kollegen einen Elektriker und einen Klempner zu organisieren."