Immersives Theater:Tanzen als letzte Utopie

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Wir bauen eine Stadt: "Respublika" an den Münchner Kamerspielen. (Foto: Andrej Vasilenko)

In keinem Häuschen ist Ruh: Łukasz Twarkowski und das Lithuanian National Drama Theatre bauen mit "Respublika" ein künstliches Dorf an den Münchner Kammerspielen auf.

Von Egbert Tholl

Beim Betreten der Halle wird einem erst einmal ein Lageplan dessen, was hier von Fabien Lédé hineingebaut wurde, ausgehändigt, nebst Ohrstöpseln, die man sich selbst überschätzend zurückweist, um dann im weiteren Verlauf gerne darauf zurückzukommen. Doch zunächst weht die Musik von Bogumil Misala noch freundlich durch die Halle, von DJ Spectribe ist noch nichts zu hören. Also geht man auf Erkundung, während eine kaum endende, kaum zu verstehende Suada von Verhaltensregeln irgendwo aus den vielen Boxen dringt. Man merkt sich: Es sei eine falsche Hoffnung, alles, was sich in den kommenden sechs Stunden hier ereignen wird, sehen zu können. Aber es gebe keinen Anlass zur Sorge, etwas Wesentliches zu verpassen. Unwillkürlich fragt man sich, ob das daran liegen mag, dass es gar nichts Wesentliches zu sehen gibt. Stunden später ist man diesbezüglich klüger.

Vor mehr als zwei Jahren ging der 1983 geborene, litauische Performancekünstler Łukasz Twarkowski mit ausgewählten Mitstreitern vom Lithuanian National Drama Theatre in den Wald. Die Idee war, die Republik von Paulava nachzubilden, die es im 18. Jahrhundert im Bezirk von Šalčininkai gegeben haben soll; sie war autonom, hatte ihr eigenes Geld und ihre eigenen Waffen, nur gab es sie leider nicht wirklich, sie ist ein Mythos. Das störte Twarkowski aber nicht weiter, denn zum Wesen einer Utopie gehört nun einmal das Irreale, und eine Utopie des freibestimmten Zusammenlebens war es, was er selbst dort im Wald entstehen lassen wollte. Das klappte nur nicht sehr lange, doch was damals für ein paar Wochen zumindest eine Idee war, baute Twarkowski später nach. Vor knapp zwei Jahren kam "Respublika" in Litauen heraus, nun ist die irre Unternehmung zum ersten Mal im Westen zu sehen, an den koproduzierenden Münchner Kammerspielen, die dafür in die Utopia-Halle ausweichen, bevor sie weiterreist zur Ruhrtriennale.

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Gut ein Dutzend Akteure aus Litauen und anderswoher wuselt herum, von den Kammerspielen ist Komi Togbonou dabei, dazu kommen viele freundliche Ordner und Helfer - die Gesamtzahl der Beteiligten dürfte die der Besucher erreichen. Aber "Respublika" ist keine Offensive, um versprengte Abonnenten ins Theater zurückzuholen, es ist Happening, Ereignis. In einer Sauna schwitzen nackte Menschen, in einer Art Seilbahngondel liegt ein Liebespaar und diskutiert private Dinge, in einer WG-Küche wird Pilzsuppe gekocht, in einem anderen Häuschen liegen Menschen auf Sofas herum, überall stehen Bildschirme, gibt es Leinwände, Projektionsflächen, überall ist Sound, Besucher und Akteure kann man kaum auseinanderhalten, alle sind Teil vom Geschehen in diesem künstlichen Dorf.

Als säße man mit Freunden oder gerade Freund gewordenen Menschen am Tisch

Man sieht Filme, die damals im Wald entstanden, sieht eine glückliche Hochzeit, sieht für einen Moment eine historische Gesellschaft aus dem 18. Jahrhundert, vor allem aber sieht man auf den Leinwänden, was live in den Häuschen geschieht. Oder besser: Man hört, was geredet wird. Viele Utopien werden erfunden und verschwinden, "Descartes" steht neben der Idee, Frankreich habe 2050 eine Präsidentin und sei offen für alle Flüchtlinge. Vor allem aber, und das ist zunehmend umwerfend, ist da eine ganz große Ratlosigkeit. Die Welt ist am Ende, die Umwelt kaputt, aber was kann man tun, wie die Lähmung überwinden? Wie das Ensemble das spielt, wirkt so, als säße man mit Freunden oder gerade Freund gewordenen Menschen am Tisch. Da wirkt nichts mehr gespielt, das ist alles vollkommen ehrlich, da trifft die Wahrheit der Aporie das eigene Selbst.

Deshalb fühlt man sich irritierend wohl. Aufgehoben mit seiner eigenen Unfähigkeit, konsequent zu handeln. Schließlich fallen alle Kulissen, Sperrholzwände und bedruckte Planen verschwinden, die Gestänge der Häuschen stehen nun nackt, und der Rave beginnt. Die Musik ist infernalisch laut, aber bemerkenswert interessant. Die Gemeinschaft findet endgültig zusammen im Tanzen. Vielleicht die letzte Utopie, vielleicht auch die letzte Verzweiflung. Seltsam froh jedoch schleicht man heim.

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