Süddeutsche Zeitung

Überraschungsalbum "Beyoncé":Sorgfältig sinnlich

Lesezeit: 2 min

Strandtänze mit Jay Z, Erotik in Paris, Singen mit der einjährigen Tochter - auf ihrem Überraschungsalbum zeigt Beyoncé Knowles ihr Leben als feine Soap-Opera. Die Platte könnte zu einem der langlebigsten Epen der R'n'B-Geschichte werden.

Von Joachim Hentschel

Höfliche Software fragt vor der Installation, ob man genug Speicherplatz auf dem Rechner habe. Die Sängerin Beyoncé Knowles tut das nicht, also: besser noch einmal den Desktop-Papierkorb leeren und Urlaubsfotos löschen, bevor man sich "Beyoncé" herunterlädt. Diesen Datenbatzen von 1,1 Gigabyte, ein Paket mit 14 Song- und 18 Video-Files, das von Sony Music am Freitag ohne Ankündigung veröffentlicht wurde, vorerst exklusiv über den Apple-eigenen Laden iTunes.

Dass ausgerechnet Knowles der Star einer solchen Aktion sein würde, eine der erfolgreichsten Popkünstlerinnen der Welt, laut T ime Magazine sogar unter den derzeit 100 einflussreichsten Menschen überhaupt - das ist nicht die Überraschung, im Gegenteil (denn wenige andere würden damit durchkommen). Das Beeindruckende ist vielmehr, mit welchem gigantischen Selbstbewusstsein sich dieses Album seinen Nutzern auf die Festplatte setzt.

Wie es mit seinem schieren Datenvolumen, mit dem Aufmerksamkeitsanspruch von 78 Videominuten alles andere weghebelt. Und das in einer Zeit, in der sich Musikstars mit ihren Produkten doch meistens so platzsparend und benutzerfreundlich wie möglich geben, um überhaupt noch die Chance zu haben, ein Plätzchen auf den Mobilgeräten ihrer Zielgruppe zu erhaschen.

Im Sommer veröffentlichte der Rapper Jay Z, Knowles' Ehemann, der auch auf ihrer neuen Platte mehrere Auftritte hat, sein neues Album vorab als schlanken Gratisdownload für die Kunden eines Telefonanbieters.

"Beyoncé" wird dagegen für 15 Euro als episches Home-Entertainment verkauft - die größte denkbare Vermarktungsdialektik. Der Zwischenhändler Apple, einer aus dem Kreis der Quasi-Monopolisten, profitiert aber auch diesmal. In den USA sollen am ersten Tag 430.000 Komplettpakete heruntergeladen worden sein, in 100 Ländern stehe Beyoncé derzeit auf Platz eins der iTunes-Charts.

Größte Inspiration

Sie könnte damit dauerhaft neue Freunde gewinnen. Denn während sich zum Beispiel Lady Gagas jüngstes Album nach monatelangem Wirbel als billig zusammengeschustertes Fan-Souvenir entpuppte, zeigt "Beyoncé" in Ton und Bild größte dramaturgische Sorgfalt, Inspiration. Vor allem eine in ihrer Liga ganz überraschende Sinnlichkeit.

Dem Musikgenre R'n'B im Allgemeinen, ganz besonders Beyoncé wird ja oft der Hang zur Kälte und Makellosigkeit vorgeworfen, die Illusion, für einen breiten, konservativen Markt zu produzieren, in dem ein allzu individuelles Profil die Kunden bloß verunsichert.

Ein paar glitschige Balladen gibt es natürlich auch auf dem neuen Album, mehrere Videos erinnern mit wehenden Stoffbahnen und in Zeitlupe über Körperteile streichenden Händen an die Sinnlos-Ästhetik von Parfum-Werbespots. Und dennoch gelingt hier an vielen Stellen das, was Popstars gern in der Phrase zusammenfassen, sie würden das Publikum näher an sich heranlassen.

Beyoncé inszeniert ihr Familienleben als High-Class-Soap-Opera. Spielt im großartigen, an den verstorbenen Fotografen Herb Ritts erinnernden "Drunk In Love" mit ihrem Mann Jay Z nachts am Strand, führt ihm in der Screwball-Szenerie von "Partition" in einem Pariser Revuetheater ein paar erotische Alter-Egos vor, singt mit ihrer einjährigen Tochter.

Was viele Boulevardmedien nun als intime Blicke ins Star-Zuhause verkaufen, ist hier freilich nur die Rahmenhandlung für einige Bilder mit alternativen Möglichkeiten: In anderen Videos zeigt Beyoncé sich als vom Schlankheitswahn Geplagte, als Rebellin mit Sturmhaube, Suburbia-Diva und, unterlegt mit Auszügen aus dem TED-Talk der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, als Feministin.

Der privilegierten Millionärin hier einfach nur Scheinheiligkeit vorzuwerfen, das greift zu kurz. Natürlich trägt sie diese starken Bilder mit ihrem Album in unzählige Jugendzimmer, in denen das widerständige Ich nicht nur - wie bei ihr selbst - eine nachträgliche, theoretische Option ist.

Die PR kommt hinterher - ganz von selbst

Es ist nach nur drei Tagen zwar schwer zu sagen, aber womöglich wird "Beyoncé" in einem der schnellsten Pop-Genres zu einem der langlebigsten Epen. Und die PR, die man vorab bewusst weggelassen hat, kommt einfach hinterher. Ganz von selbst. Ein Distinktionssieg fürs Marketing.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1844675
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.12.2013/pak
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.