Süddeutsche Zeitung

Überlebenskurse für junge Künstler:Noch immer brotlose Kunst

Deutschland hat offenbar bereits verstanden, dass man junge Kreative auf das Überleben im freien Markt vorbereiten muss. In Coaching-Gruppen, Seminaren und Beratungszentren sollen Kunststudenten lernen, sich auch als Unternehmer zu verstehen. Grundkenntnisse von Spielregeln werden die prekäre Situation von vielen jedoch auch nicht bessern.

Von Astrid Mania

Wer hätte das gedacht: Der Kapitalismus wird dieser Tage noch als Heilmittel angepriesen. Nicht von verzweifelten Regierungen oder Boni-bangen Bankern, sondern einer Kulturwissenschaftlerin. Während sich manche Kollegen an die kritische Ausdeutung der ökonomischen Erzählungen wagen, empfiehlt Camille Paglia, die Autorin und Professorin für Geisteswissenschaften und Medienkunde in Philadelphia, der bildenden Kunst die "kulturellen Energien" des Kapitalismus an. Es fehle der Kunst, so Paglia letztes Jahr im Wall Street Journal, an der Kreativität wie sie in Design und Architektur zu finden seien. Die Künstler sollten lernen, sich "als Unternehmer zu verstehen".

In Deutschland hat man offenbar bereits verstanden. Es gibt eine ganze Reihe von Kursen, in denen Kunststudenten sich auf das Überleben im freien Markt vorbereiten. Die Abschaffung der künstlerexistenziellen Misere wurde gar als Aufgabe von staatlicher Bedeutung begriffen. 2007 rief die damalige Bundesregierung das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes ins Leben, das in acht Regionen eine kostenfreie "Orientierungsberatung" bietet. Es handelt sich um ein Gespräch mit einem Berater, bei dem die "unternehmerische Idee" und deren "Marktpotenzial" erörtert werden.

Doch keine Angst, Ihr jungen Kreativen. Eine ausgereifte Idee muss es nicht sein. Oft kämen Absolventen, so Christoph Kober, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrums, die gar nicht wüssten, wie sie mit ihren Ideen den Lebensunterhalt bestreiten sollen. Daher würden weitere Angebote diskutiert, etwa Hilfestellung durch die öffentliche Wirtschaftsförderung oder die Industrie- und Handelskammern, aber auch alternative Finanzierungsformen wie das Crowdfunding. Der Bedarf scheint groß zu sein. In den letzten drei Jahren, so Kober, habe es über 8000 Gespräche gegeben.

Bereits seit 1989 gibt es das Berliner Künstlerinnenprojekt Goldrausch, ein einjähriger, kostenloser Professionalisierungskurs. Finanziert wird die Fortbildung vom Berliner Senat und dem Europäischen Sozialfonds. Es gehe ja darum, so die Goldrausch-Projektleiterinnen Birgit Effinger und Hannah Kruse, "Künstlerinnen immer auch ökonomisch ernst zu nehmen". Das Wunschziel sei, dass Künstler und Künstlerinnen von ihrer Arbeit leben können.

Neben inhaltlichen Fragen, bei denen die eigene Praxis reflektiert wird, gehören Techniken der Selbstdarstellung ebenso zum Kursprogramm wie Basiskenntnisse in allen Fragen der Selbständigkeit. Bessere Marktgeschmeidigkeit des eigenen Werks steht dabei nicht zur Debatte. "Der Kurs hat mein Selbstbewusstsein sehr gestärkt", findet die Berliner Künstlerin Lotte Günther. Sie bewerbe sich vor allem aktiver um Stipendien. Es sei naiv zu glauben, es genüge gute Kunst zu machen, die Welt würde schon von selbst darauf aufmerksam werden.

Doch auch an den Kunsthochschulen ist der Bedarf an Weiterbildung jenseits der künstlerischen Lehre groß. Die ökonomischen Aspekte würden immer stärker Bestandteil des Curriculums, so Effinger, die mit ihrer Kollegin Hannah Kruse von mehreren Kunst- und Fachhochschulen, darunter Hamburg, Bremen, Karlsruhe, Stuttgart oder Dortmund, als externe Dozentin engagiert wird. Das Feedback sei gut, so Effinger und Kruse, die Kurse seien "erschreckend voll".

An der Berliner Universität der Künste geht man noch während der Ausbildung zu Werke. Hier bietet der ehemalige Galerist Joachim Becker seit 2008 eine Lehrveranstaltung unter dem Titel "Von der Akademie in den Kunstmarkt - das Berufsfeld des Künstlers" an. Der Kurs sei, so Becker, auf Anregung des damaligen Dekans Burkhard Held und Studierender zustande gekommen. Auch hier werden rechtliche Fragen erörtert, schwerpunktmäßig aber wird das Feld untersucht, in dem sich Künstler wiederfinden, öffentliche Institutionen und vor allem Galerien.

Dass so viele Künstler ökonomisch scheiterten, liege oft nicht an der Qualität ihrer Arbeit, sondern schlicht darin, dass sie nicht wüssten, wie sie sich im Betrieb aufstellen müssen, so Becker. Die Verführungen durch nicht immer seriöse kommerzielle Angebote seien groß, Schutz und Beratung dringend nötig: Pseudo-Galeristen, Pseudo-Sammler und Pseudo-Artotheken versuchten immer wieder, Werke von unerfahrenen Studenten zu Spottpreisen zu bekommen. Mittlerweile kämen Studierende sogar aus Stuttgart oder Wien in seinen Kurs.

Larissa Fassler, die 2009 bei Goldrausch teilnahm, sieht die frühe Ausrichtung auf den Markt mit Skepsis. Natürlich wolle man irgendwann von seiner Arbeit leben. Gerade Berlin mit seiner großen Galerienszene setze viele Absolventen aber unter zu großen Druck. Statt nach dem Studium konzentriert im Atelier zu arbeiten, versuchen sie, so schnell wie möglich eine Galerie zu finden. Für sie war der Kurs eine gute und hilfreiche Erfahrung, gerade in Hinblick auf die praktischen Dinge wie Selbstdarstellung, aber auch den Umgang mit der Galerie, mit der sie arbeitet.

Man kann den Kunstmarkt mögen oder ablehnen, ein anderes ökonomisches Modell scheint einfach nicht in Sicht. Insofern tut ein pragmatischer Umgang mit den Realitäten not. Dass dadurch aber ein kreativer Ruck durch die Künste gehen wird, darf bezweifelt werden. Natürlich sollten junge Kreative nicht unvorbereitet in die Welt und in den Kunstmarkt entlassen werden. Doch durch Grundkenntnisse seiner Spielregeln wird sich die nach wie vor prekäre Einkommenssituation vieler freier Künstler auch nicht bessern.

Man kann nur hoffen, dass ihnen auch diese unerfreuliche Erkenntnis vermittelt wird. Günther jedenfalls, die während des Studiums auch an Beckers Lehrveranstaltung teilgenommen hat, sieht der Zukunft deutlich entspannter entgegen. Ihr hätten die Kurse den Stress genommen, rasch eine Galerie zu finden. Ihre Eigeninitiative hat ihr erst einmal ein Stipendium in der Pariser Cité des Arts eingebracht.

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SZ vom 06.04.2013/kath
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