Udo-Lindenberg-Musical:Helden wie er

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Der "urst-fetzige" West-Rocker mit der ungeheuren Anziehungskraft - wer sein neues Musical sieht, kann nur zu einem Schluss kommen: Udo Lindenberg war es, der die Mauer zu Fall gebracht hat.

Renate Meinhof

Am Schluss und in den tosenden Applaus hinein steigt er nach oben, auf die Bühne, nimmt das Mikrofon und singt. Udo Lindenberg, schmal und kleiner als in den Bildern der Erinnerung, mit Hut, Brille, schwarzem Gehrock natürlich, und das ist vielleicht der wärmste und melancholischste Moment dieses Abends im Berliner Theater am Potsdamer Platz, wo das Musical "Hinterm Horizont" am Mittwoch seine Vorpremiere hatte.

Glückliches Ende, glücklicher Udo - Lindenberg hat Lindenberg ein Denkmal gesetzt: Im Berliner Theater am Potsdamer Platz hatte das Musical "Hinterm Horizont" am Mittwoch seine Vorpremiere. (Foto: dapd)

Jetzt, nach fast drei Stunden unechtem Udo, singt der echte, und wer die letzten Szenenbilder noch im Kopf hat, kann gedanklich nur zu einem Schluss kommen: Udo Lindenberg war es, der die Mauer zu Fall gebracht hat, der dem kleinen großspurigen Staat auf deutschem Boden singend den Rest gegeben hat. Am Ende dieser Liebesgeschichte zwischen Ost und West, die in den kommenden Monaten Busladungen voller Touristen nach Berlin bringen wird, ist die Mauer gefallen, und Udo und Jessy, das FDJ-Mädchen aus Ost-Berlin, finden sich wieder nach Jahren der Trennung. Glückliches Ende, glücklicher Udo. Lindenberg hat Lindenberg ein Denkmal gesetzt.

Das steht ihm ja auch zu. Für den Ost-Jugendlichen hatte dieser "urst fetzige" (das Wort "cool" gab es nicht) West-Rocker eine ungeheure Anziehungskraft. Hatte genau das Maß an Frechheit, Unerbittlichkeit und Respektlosigkeit, mit dem Pubertierende kokettieren. So etwas selber auszuprobieren aber, war gefährlich, weil man schnell mal von der Straße weg für ein paar Stunden oder Tage in einer Verhörzelle verschwinden konnte.

Udo hatte natürlich nichts zu befürchten. Er durfte an die Grenzen gehen. Er war ein Stellvertreter. Was konnte ihm schon passieren? Abgesehen von Auftrittsverboten im Sozialismus.Seine Lieder wurden so oft auf klapprigen Kassettenrekordern kopiert wie die von Wolf Biermann oder die Auftritte von Otto Waalkes. Auf den schlechtesten Bändern waren Lindenbergs Texte kaum mehr zu verstehen, seine Stimme noch nuschelnder, noch nasaler, als sie tatsächlich war.

Bei der Disco in einer Polytechnischen Oberschule Anfang der achtziger Jahre wartete einmal ein sehr mutiger DJ so lange, bis kein Lehrer mehr in Hörweite war und spielte dann den "Sonderzug nach Pankow". Das war mehr als ein Wagnis, das war fast schon Revolution. "Ooch, Erich, ey, bist du denn wirklich so ein sturer Schrat, warum lässt du mich nicht singen im Arbeiter- und Bauernstaat", so dröhnte es durch die Aula. Diejenigen, die bis dahin getanzt hatten, standen wie erstarrt und schauten sich schweigend an: Wird schon das Tanzen Strafe bringen?

Lesen Sie auf Seite 2, welche Rolle Erich Honeckers Lederjacke in Udo Lindenbergs Musical spielt.

Bildband über Udo Lindenberg
:Der Greis ist heiß

Alles easy und cool und so, auch wenn der kleine Udo jetzt schon 64 ist: Tine Hacke hat den Panikrocker vier Jahre lang fotografiert - zwischen Notarzt und großer Bühne. Für seine langjährige Freundin nahm er sogar mal die Brille ab.

Weil der ostdeutsche Autor Thomas Brussig ("Helden wie wir", "Am kürzeren Ende der Sonnenallee") das Buch für das Musical geschrieben hat, kommt genau diese angstvoll revolutionäre Atmosphäre in einigen Szenen eindrücklich zum Tragen, um dann schnell wieder in den Klamauk gezogen zu werden, es soll ja lustig bleiben. Die Geschichte aber ist nun mal eine ernste, ist die eines Paares, das durch die Mauer getrennt ist. Auch wenn es Udo (gespielt von Serkan Kaya) und Jessy (Josephin Busch) sind, stehen sie doch exemplarisch für Tausende Menschen, die des Stacheldrahtes wegen nicht zueinander kommen konnten.

Der Ostler schlurft, der Westler flaniert

Es beginnt mit dem legendären Auftritt Lindenbergs am 25. Oktober 1983 im "Palast der Republik" in Berlin. Dort lernt er das FDJ-Mädchen Jessy kennen, beide verlieben sich ineinander. Jessys Bruder Elmar, auch er ein echter Udo-Fan, will seiner Schwester helfen, einen Brief an den Rockstar in den Westen zu schmuggeln. Vor dem Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße soll er einem Westdeutschen übergeben werden. Eine wunderbare Tanzszene entwickelt sich nun, die Brussig mit einem Geschwisterdialog einleitet. Es geht um die Frage, woran man einen Westdeutschen erkennt. "Der Ostler", sagt Elmar, "geht immer und überall, als wenn er zur Arbeit schlurft". Also irgendwie geduckt, den Kopf zwischen den Schultern. Er macht es vor. Und der Westler? "Der Westler flaniert."

Der Liebesbrief-Schmuggel misslingt, das Papier landet bei der Staatssicherheit und Elmar im Gefängnis. Erst als Jessy eine Verpflichtungserklärung unterschreibt, um zum IM "Regenwurm" zu werden und Udo auszuspionieren, kommt der Bruder frei. Jessy reist schließlich nach Moskau, wo sie Lindenberg treffen will. Schwanger kehrt sie zurück, spricht nie über die Identität des Vaters und heiratet einen gedopten Fast-Olympiasieger im Hammerwerfen. Nach dem Mauerfall treffen sie sich wieder, aber bis zum glücklichen Ende vergeht noch mindestens eine Viertelstunde.

Eine Mischung aus Theater, Rock 'n'Roll und Musical ist es geworden, unterhaltsam natürlich, auch, weil 26 Lindenberg-Klassiker das Geschehen begleiten. Jeder kann sie mitsingen, weshalb es nicht so schlimm ist, dass die Stimmen von Udo und Jessy manchmal Not hatten, sich gegen die Band zu behaupten. Udo Lindenberg, der Mauerdurchbrecher. So steht er da am Ende des Abends am Potsdamer Platz. Er hatte zehn Jahre lang die Wiedervereinigung besungen, bevor er zu seinen Fans in den Osten reisen durfte. Die Tournee des "Panik-Orchesters" durch die DDR, die ihm nach dem Auftritt in Berlin in Aussicht gestellt wurde, sollte aber nie stattfinden.

Immer wieder hatte Lindenberg nachgebohrt, hatte Honecker sogar eine Lederjacke zukommen lassen, sozusagen unter Rockern. Da hat der Staatsratsvorsitzende Udo Lindenberg tatsächlich geantwortet, ein einziges Mal. Das war im Juni 1987. "Sie wissen ja aus eigenem Erleben", heißt es in diesem Brief, "dass die DDR ein sehr jugend- und deshalb auch sehr rockfreundliches Land ist ... Natürlich ist das Äußere Geschmackssache, aber was die Jacke selbst betrifft: sie paßt." Sie passt? Sie passt. Was hätte daraus werden können? Honi in Leder. Stattdessen schreibt er am Briefende: "Die mir zugedachte Lederjacke werde ich dem Zentralrat der FDJ übergeben. Die Freunde finden sicher einen Weg, sie einem Rockfan zukommen zu lassen."

Vom Briefende bis zum Ende der DDR vergingen noch zwei Jahre. Honeckers Lederjacke kommt in Lindenbergs Musical natürlich auch vor- in einer Nebenrolle. Bei der Party nach der Premiere bieten Kellnerinnen Eierlikör an. Sie tragen Faltenröcke, grau, und FDJ-Blusen, sehr blau. Es ist an alles gedacht.

© SZ vom 14.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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