Debatte:Sturz in der Steilkurve

Debatte: Großmeisterin des britischen Pöbelns: die Journalistin Julie Burchill, hier bei einem Festival im Jahr 2014.

Großmeisterin des britischen Pöbelns: die Journalistin Julie Burchill, hier bei einem Festival im Jahr 2014.

(Foto: Jeff Morgan/Mauritius)

Ein Twitter-Streit eskaliert und kostet die britische Journalistin Julie Burchill ihren Buchvertrag - und eine größere Summe Schmerzensgeld.

Von Andrian Kreye

Alles hatte wie einer dieser Generationenkonflikte begonnen, die derzeit ideologisch aufgeladen sind wie ein faradayscher Käfig im Gewittersturm. Die sehr engagierte Journalistin und Aktivistin Ash Sarkar (28) hatte sich auf Twitter über einen acht Jahre alten Artikel des sehr schwarzhumorigen Journalisten und Konservativen Rod Liddle aufgeregt. Daraufhin meldete sich die sehr lustige Journalistin und Großmeisterin des britischen Pöbelns Julie Burchill (61) und hielt dagegen. Die Twitterei eskalierte. Burchill bediente ein paar islamverleumderische Klischees. Und dann begann diese elende Steilkurve, in der viele solcher Konflikte heute enden.

Auf der einen Seite stornierte der angesehene Verlag Little, Brown and Company den Vertrag für Julie Burchills Buch "Welcome to the woke trials - how #identity killed progressive politics" (Willkommen bei den Gesinnungsprozessen: Wie #Identität die progressive Politik tötete). Ausgerechnet. Burchill höhnte dann noch weiter herum und prahlte, sie werde das Buch dann eben noch einmal verkaufen. Tat sie dann auch. An einen Verlag namens Sterling Publishing in Schottland.

Auf der anderen Seite krochen all die widerwärtigen Paläopatriarchen aus ihren digitalen Sickergruben, die schon bei harmloseren Anlässen den guten Ton in Richtung Strafrechtlichkeit verlassen. Die beschimpften Sarkar nicht nur, sondern drohten ihr mit Vergewaltigung, Überfall und Mord.

Vielleicht sollte doch jemand mal Twitter abstellen

Dann endete der Streit wohl vor Gericht. Denn die Entschuldigung bei Ash Sarkar, die Julie Burchill vorige Woche auf Twitter veröffentlichte, klang im Kontext ihres Gesamtwerkes doch erstaunlich untypisch reumütig. Außerdem gab sie bekannt, sie habe eine "substanzielle" Summe Schmerzensgeld an Sarkar bezahlt. Ihren zweiten Buchvertrag hat Burchill gerade selbst storniert. Es stellte sich heraus, dass die Verlegerin Tabatha Sterling eine stramme Rechtsradikale ist, die die Gruppe "Patriotic Alternative" unterstützt, Gleichberechtigung so versteht, dass sie sowohl anti-islamisch als auch antisemitisch agitiert und gegen homosexuelle Lehrer an der Schule ihres Sohnes zu Felde zog.

Vielleicht sollte dann doch irgendjemand mal Twitter abstellen. Oder zumindest Kurse für Journalisten anbieten, in denen der Unterschied zwischen freier Meinung und Clickbaiting gelehrt wird. Für alle.

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