TV-Sender: N 24:Abrissprofis in Aktion

Mit Nachrichten ist nichts mehr anzufangen: Das Beispiel N 24 zeigt, wie Finanzinvestoren Medienbetriebe von gesellschaftlicher Verantwortung abkoppeln.

Christopher Keil

Als Ende vergangenen Jahres bekannt wurde, dass Thomas Ebeling im Januar 2009 den Vorstandsvorsitz bei der Pro Sieben Sat1 AG übernehmen würde, war das nur vordergründig eine überraschende Personalie. Vordergründig, weil sich bekannte Branchenmanager wie der ehemalige Gruner+Jahr-Chef Bernd Kundrun oder auch Thomas Rabe, Finanzchef von Bertelsmann, für den Posten interessiert hatten und auch geeignet schienen, geeigneter als Ebeling.

TV-Sender: N 24: Thomas Ebeling (mit Moderatorin Sonya Kraus beim diesjährigen Oktoberfest) muss Wachstum bringen und diskutiert Sparpotentiale bei Pro Sieben Sat 1.

Thomas Ebeling (mit Moderatorin Sonya Kraus beim diesjährigen Oktoberfest) muss Wachstum bringen und diskutiert Sparpotentiale bei Pro Sieben Sat 1.

(Foto: Foto: dpa)

Die Finanzinvestoren KKR und Permira, denen der mit dreieinhalb Milliarden Euro verschuldete europäische Medienkonzern gehört, wählten konsequenterweise einen "deutschen Top-Manager von internationalem Format", wie sie mitteilten, Ebeling habe bei seinen bisherigen Aufgaben "beeindruckende Wachstumsgeschichten geschrieben".

Geschrieben hat Ebeling, 50, sie bei einem Tabakfabrikanten und einem Getränkehersteller und in der Pharma-Industrie. Mit Fernsehen, den privaten Hausgebrauch ausgenommen, kam er nicht in Berührung, was bei seiner Verpflichtung durch Finanzinvestoren keine Rolle spielte. Fernsehen interessiert Männer wie Götz Mäuser und Johannes Huth eher weniger. Huth leitet seit Juni den Aufsichtsrat bei Pro Sieben Sat1 und ist bei KKR für das Europageschäft (ATU, Kion) zuständig. Mäuser ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei Pro Sieben Sat1 und zuständig mit anderen für das Deutschlandgeschäft von Permira (Hugo Boss). Zusammen sind Mäuser und Huth verantwortlich, den Aktionären von Pro Sieben Sat1 mit den Kanälen Sat 1, Pro Sieben, Kabel1 und N 24 in der größten Werbemarktkrise Renditen und Ertragsphantasien zu liefern.

Das ist angesichts der gegenwärtigen Zahlen, angesichts von 129 Millionen Euro Verlust in 2008 und einem Rückgang des Umsatzes im dritten Quartal 2009 um fast 90 Millionen Euro eine schwierige Aufgabe. Sie hat mit Programmqualität, mit gesellschaftlicher Verantwortung, wie sie in Rundfunkstaatsverträgen oder in Landesmediengesetzen oder in Papieren zur Qualitätssicherung des dualen Systems stehen, nichts zu tun. Finanzinvestoren kaufen und verkaufen. Der Verkaufspreis sollte höher als der Einkaufspreis sein, zwischendurch, in einem Prozess, der selten länger als drei Jahre dauert, werden Kosten reduziert und Gewinne gesteigert.

In diesem Zwischenstadium, das im Fall von Pro Sieben Sat 1 durch den enormen Einkaufspreis von ungefähr drei Milliarden Euro und die fürs TV-Business schlechte wirtschaftliche Situation länger als drei Jahre dauern müsste, versucht Ebeling derzeit sein Bestes. Sein Bestes ist dabei immer das Beste für KKR und Permira. Und das Beste, was sich dabei über ihn sagen lässt, ist seine Ehrlichkeit, mit der er dabei vorgeht.

So zeigte er nach Aussage von Anwesenden während der Betriebsversammlung von N 24 am Dienstag der vergangenen Woche in Berlin ein Schaubild, auf dem die vier großen Kostengruppe des Konzerns aufgelistet waren: Nachrichten, Regionalprogramme, Fußball, Verträge mit amerikanischen Studios über Filme und Serien. Er glaube nicht, soll Ebeling mitgeteilt haben, dass mit Nachrichten noch etwas anzufangen sei, er bezog sich dabei wahrscheinlich auf die finanziellen Aspekte. Zwei Tage später formulierte er jedenfalls im SZ-Interview: "Wir haben mit Nachrichten ein wirtschaftliches Problem. (...) Die Frage lautet: Wie differenziert man sich, damit das Nachrichtengeschäft profitabel ist?"

Eine interessante Frage. Nicht einmal RTL verdient mit seiner eingeführten und mit Fernsehpreisen bedachten Nachrichtenabteilung Geld - obwohl das Programm RTL aktuell mit Anchorman Peter Kloeppel eine zufriedenstellende Einschaltquote am Vorabend erreicht, gleiches gilt für die Morgen-, Mittag- und Nachtjournale RTLs, in denen die klassischen News aus dem In- und Ausland untergebracht ist.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Informationsangebote in ihrer jetzigen Form bald nicht mehr existieren werden.

Kurioser Interessenausgleich

Geschätzte 50 Millionen Euro investiert der Drei-Milliarden-Umsatz-Konzern Pro Sieben Sat1 jährlich in die Informationsdienstleistung von N24. Das ganztägige Spartenprogramm, das seit 2004 mit einer Art Dokumentationsoffensive ("Die Plattmacher - Abrissprofis in Aktion", "Der 10-Millionen-Dollar Bagger") seinen Gesamtmarktanteil auf 1,0 Prozent gesteigert hat und bei den jungen Zuschauern mit 1,3 Prozent erfolgreicher ist als Konkurrent n-tv aus der RTL-Familie, beliefert die anderen Sender der Pro-Sieben-Sat-1-Gruppe mit Nachrichten. Für Ebeling sind Nachrichten "Zuschussgeschäft". Sie seien "vielleicht für das Image bei Politikern wichtig, aber nicht unbedingt bei allen Zuschauern. Der Durchschnittszuschauer wird nicht verzweifeln, falls es bei N24 Veränderungen geben sollte". Er prüfe "alles", kündigte Ebeling an, einen Verkauf, Optimierungen oder eine völlige inhaltliche Neuausrichtung.

Am Dienstag dieser Woche haben die 250 N-24-Mitarbeiter dem Vorstandsvorsitzenden einen offenen Brief zugeschickt. "Wir fordern", heißt es darin, "dass die größte private TV-Sendergruppe in Deutschland auch weiterhin ihrer Informationspflicht im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages gerecht wird. (...) Wir befürchten, dass andere private TV- und Radiosender dem negativen Beispiel folgen könnten und Informationsangebote in ihrer jetzigen Form und Vielfalt bald nicht mehr existieren werden."

Eine realistische Befürchtung. Die Frage wird sein, ob ein Manager wie Ebeling, ob Finanzinvestoren wie KKR und Permira, Rundfunkstaatsverträge für ihr Geschäftsmodell gelten lassen. Denn obwohl der private Rundfunk in Deutschland Regeln kennt, lässt er für die Interpretation der Regeln Spielraum. So ist vorgeschrieben, dass Vollprogramme sich verpflichten, Sendezeit für Drittanbieter zur Verfügung zu stellen, Regionalprogramme zu veranstalten und Nachrichten zu verbreiten. Dahinter steht die Einordnung, dass Rundfunk ganz grundsätzlich einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen, im Besonderen die Vielfalt der Meinungen zum Ausdruck bringen und alle relevanten Kräfte und Gruppen angemessen zu Wort kommen lassen sollte.

Kurz: Rundfunk muss etwas schaffen, das einen Wert für das große Ganze, vielleicht sogar für den Staat schafft. Wenn Ebeling N24 tatsächlich "optimiert" oder verkauft, müssten die zuständigen Landesmedienanstalten den Nachrichtenanteil bei Sat1 oder Pro Sieben kontrollieren und entscheiden, ob weiter ein vollprogrammtaugliches Informationsangebot besteht. Aber was würde passieren? Kein Paragraph legt quantitativ fest, wie viel News einem Vollprogramm genügen und wie viel nicht. 10,3 Millionen Menschen informieren sich täglich aus den Nachrichten bei Sat1, Pro Sieben, N24 und Kabel1.

Eine Zeit knapper Mittel

Für den Finanzinvestorenstatthalter Ebeling stehen Nachrichten - oder allgemein Informationen - wie alle andere Programmteile ausschließlich unter Kostenvorbehalt. Dabei genießt die Unterhaltung - wie in allen kommerziellen TV-Anstalten - den größten Schutz. Ein Moderator wie Johannes B. Kerner, der für enormes Gehalt vom ZDF abgeworben wurde, wird auf absehbare Zeit nicht die erwünschte Quote liefern können mit einem wöchentlichen Magazin, das bereits nach der vierten Folge auf einen späteren Ausstrahlungstermin und einen anderen Sendetag verlegt wurde. Das heißt, Sat1 wird die Ausgaben für Kerner nicht so refinanzieren können durch Werbung, wie eingeplant. Trotzdem ist Ebeling von Kerner überzeugt und verspricht, dem prominenten Talkmaster Zeit zu gewähren.

Im dualen Rundfunksystem Deutschlands haben die öffentlich-rechtlichen Programme die Verpflichtung, eine Grundversorgung an kulturellen, bildenden und informierenden Fernsehinhalten zu gewährleisten. Gerade hat die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (ALM) ein Papier an den politischen Betrieb in Berlin überreicht, das eindringlich warnt: "Qualität des dualen Rundfunksystems bedroht". Die ALM verlangt zu klären, "in welchem Umfang der private Rundfunk in Deutschland sich weiterhin an der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe beteiligen soll".

In einer Zeit knapper Mittel drohe die Gefahr, "dass vor allem für solche Programme zu wenig Mittel eingesetzt werden, die sich auf ihrem Sendeplatz nicht refinanzieren. Dazu gehören vor allem Programme aus dem Bereich der Information". Überlegungen von Vertretern des privaten Rundfunks, die "besagen, man könne Rundfunk als ein Gewerbe wie jedes andere betreiben, verkennen, dass dies keine Option ist. Diese Position wäre verfassungwidrig."

Manfred Helmes, Dirketor der für Sat1 zuständigen Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz (LMK), hat mit Ebeling Kontakt aufgenommen. "Aufgrund der Gespräche mit uns hat sich der Vorstand der Pro Sieben Sat1 AG entschieden, weiter Informationen und Nachrichten im Programm anzubieten und sich auch künftig zur gesellschaftspolitischen Verantwortung zu bekennen", sagt Helmes. Dann fordert er die "politischen Akteure auf", über eine Reduzierung der Werbeerlöse von ARD und ZDF zugunsten der privaten Sender nachzudenken.

Ein kurioser Interessenausgleich. Ungeachtet möglicher Finanzierungsveränderungen im dualen Rundfunksystem geht es ausschließlich darum, dass ein Drittel des Zuschauermarktes am gesellschaftlichen Diskurs beteiligt bleibt durch Nachrichten- und Informationssetzung. Berliner Spitzenpolitiker aller Parteien bis hinein in die Bundesregierung beschäftigen sich inzwischen offenbar mit dem Kurs von Pro Sieben Sat1. "Wenn die selbstgesetzten Regeln der publizistischen Welt nicht mehr beachtet werden", sagt Thomas Langheinrich, Chef der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK), "dann muss man als Gesetzgeber einen Rahmen klarmachen. Es geht darum, publizistische Verantwortung einzufordern. Rundfunk darf keine Nudelfabrik sein."

Im Frühjahr 2010 will Ebeling über N24 und die Nachrichtenlage entscheiden.

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