Süddeutsche Zeitung

TV: Schleichwerbeskandal reloaded:Fragen Sie Ihren Apotheker

War da was mit Schleichwerbung? Nachdem die Produktnamen der beworbenen Medikamente ausgetauscht wurden, befindet das Öffentlich-Rechtliche die Krankenhausserie "In aller Freundschaft" für unbedenklich.

Ruth Schneeberger

Erinnern Sie sich noch an den Schleichwerbeskandal in der ARD aus dem Jahr 2005? Wenn nicht, schalten Sie doch mal den Fernseher ein! Ungeachtet dessen, dass vor kurzem namhafte Pharmahersteller für ihre damalige Schleichwerbung in der Krankenhausserie mit dem klingenden Namen "In aller Freundschaft" gerügt wurde, läuft die Serie nämlich immer noch. In der ARD mit neuen, frischen Folgen, und in NDR und MDR die schönen alten, medikamentensatten. Das sorgt nun für Verwirrung im Netz, unter anderem in den Blogs von Stefan Niggemeier und "Stationäre Aufnahme".

Anfragen bei den Rundfunkanstalten ergaben, dass die Produktnamen, die damals in den Sendungen genannt wurden, durch "fiktive Namen" ersetzt wurden. Damit scheint der Fall fürs Öffentlich-Rechtliche erledigt zu sein. Der Vorwurf ist aber ein anderer.

Einige der Sendungen, die damals unter den Verdacht der Schleichwerbung gerieten, waren, wie sich nachher herausstellte, noch unter viel schlimmeren Bedingungen produziert worden als gedacht: Beteiligte Pharmaunternehmen sollen sogar auf die Drehbücher Einfluss genommen haben. Ganze Folgen wurden offenbar um einzelne Medikamente, die es zu bewerben galt, herumdrapiert. Das Ganze nennt sich "Themen-Placement".

Wir erinnern uns: Drei Jahre nach der Aufdeckung von massiver Schleichwerbung, die damals außerdem die Fernsehserie "Marienhof" (ebenfalls ARD) befallen hatte, schien die Affäre vollständig aufgeklärt zu sein. So hieß es vergangene Woche. In einem letzten Schritt der Nachbearbeitung habe der Deutsche Rat für Public Relations sieben namhafte Pharmahersteller - von Astra Zeneca über Merz und Sanofi Aventis bis zu Novartis - dafür gerügt, dass sie von 2002 bis 2004 mehrfach bezahlte Werbebotschaften für ihre Arzneimittel in der ARD-Krankenhausserie unterbringen ließen.

Der Evangelische Pressedienst (epd) hatte damals herausgefunden, dass sich der TV-Produktionskonzern Bavaria Film (Eigentümer: in der Mehrheit öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten) - beziehungsweise die Bavaria-Tochter Saxonia Media in Leipzig, die "In aller Freundschaft" produziert -, ab Ende der neunziger Jahre mit Schleichwerbern der Münchener Agentur Kultur+Werbung eingelassen hatte. Und dass diese Agentur Kunden aus der Wirtschaft für Fernsehserien koberte und deren Werbebotschaften in die Drehbücher einbauen ließ.

Für die Pharma-Placements wurden bis zu 30.000 Euro verlangt und gezahlt. Der Gesamtumsatz der Bavaria-Gruppe aus den Pharma-Platzierungen belief sich nach ARD-Feststellungen auf rund 250.000 Euro netto in drei Jahren. Krankheitsbilder wie Alzheimer, Asthma, Epilepsie, Morbus Fabry und Multiple Sklerose waren jeweils der Anlass, um in aller Freundschaft am Krankenbett oder unter Ärzten über spezielle Medikamentenwirkstoffe zu sprechen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum nun alles in Ordnung sein soll.

Wie eng die Agentur Kultur+Werbung an der Drehbuchentwicklung bei Saxonia und für die ARD beteiligt war, zeigt eine Notiz, die kurz vor Weihnachten 2002 im Agenturprotokoll erscheint, das ebenfalls von epd aufgetan wurde: "Drehbuch muss von SF bis 20.12.2002 bearbeitet werden, damit es in der zweiten Drehbuchfassung integriert ist." Um ein Medikament kundengerecht zu integrieren, sollte sich eine Agentur-Mitarbeiterin ("SF") offenbar als Redakteurin betätigen. Auch die Pharmamanagerin eines anderen Herstellers durfte augenscheinlich selbst an einem Drehbuch mitstricken. Dem epd sagte sie 2005, seit sie wisse, was man im Fernsehen alles kaufen könne, glaube sie "denen" nichts mehr.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erlitt damals einen Verlust an Glaubwürdigkeit, selbst bei den Nutznießern der verbotenen Werbung. Der Rat für Public Relations, Selbstkontrollorgan der PR-Branche, betonte nun, dass die meisten der beschuldigten und gerügten Pharmafirmen ihr Fehlverhalten inzwischen eingesehen und Besserung gelobt hätten.

Und nun? Nun haben sich Redakteure beim MDR an die alten Folgen gesetzt und unter "viel Aufwand", so die MDR-Pressesprecherin Birthe Gogarten, die Produktnamen ausgetauscht. Außerdem sind inzwischen Köpfe gerollt, unter anderem musste 2005 der damalige Bavaria-Geschäftsführer Thilo Kleine gehen. Aber ist es damit nun getan?

Ein teurer Vorgang

Verführt der Patient in Folge 85, der so vehement nach diesem einen, neu entwickelten Produkt fragt, das seine Beschwerden als Einziges lindern könne, und deren Wirkungsweise langatmig erklärt wird, reale Patienten mit derselben Erkrankung nicht dazu, bei ihrem Hausarzt nach ebendiesem Produkt nachzufragen?

"Nein, ich sehe das nicht", sagt Pressesprecher Martin Gartzke vom NDR. "Dadurch, dass das alles ausgetauscht wurde, lässt sich ja kein Zusammenhang mehr herstellen", betont auch die Pressesprecherin des MDR: "Alle Folgen wurden von der MDR-Redaktion gesichtet und bearbeitet." Das sei ein "arbeitsintensiver, teurer Vorgang" gewesen. Nach der Bearbeitung seien alle Folgen noch einmal von der Revision geprüft worden. "Es gab keinerlei Beanstandung mehr, so dass nichts gegen eine Wiederholungsausstrahlung einzuwenden war." Durch die Ersetzung der Produktnamen lasse sich "kein Bezug mehr zu irgendeinem Medikament oder Forschungsfeld" herstellen, so die Pressesprecherin.

Rechtlich scheint der Fall damit erledigt zu sein. Moralisch aber, und darum ging es ja schließlich im Schleichwerbeskandal der ARD von Anfang an, bleiben wohl einige Fragen offen, die Ihnen vielleicht Ihr Arzt oder Apotheker erklären kann.

In Pharma- und Medienblogs jedenfalls ist inzwischen von "Schleichwerbe-Recycling" die Rede. Genüsslich wird dort zu der Sendung verlinkt, in der tatsächlich verdächtig auffällig ein bestimmtes, neuartiges Medikament im Mittelpunkt steht.

Klar ist: Nachdem deutlich geworden war, wie stark "In aller Freundschaft" durch Schleichwerbung infiziert war, hätte das Öffentlich-Rechtliche wohl besser daran getan, dem Patienten gestrenge Bettruhe zu verordnen.

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