Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: "Wie schlau ist Deutschland?":Janine und Thommy rasieren 'ne Kuh

Lesezeit: 4 min

In seinem ZDF-Quiz "Wie schlau ist Deutschland?" wollte Johannes B. Kerner wieder mal die Nation testen. Alle Entertainment-Hoffnungen lagen auf dem Rategast Thomas Gottschalk. Doch dann stahl ihm Ulrich Wickert die Show.

Christian Kortmann

Die Medienfigur Thomas Gottschalk besteht aus vielen amüsanten Erzählungen: Man kennt ihn als begeisterten Musikfan, der einst mit seinen respektlosen Moderationen beim Bayerischen Rundfunk anstieß und heute ein anachronistisches Faible für schlichten Rock pflegt; man bestaunt ihn als Kosmopoliten, der in Kalifornien ansässig geworden ist und den Hollywood-Stars auf Augenhöhe begegnet; man belächelt ihn als Fashion victim, das unabbringlich einen neobarocken Kleidungsstil vorführt. Und vor allem bewundert man ihn für seine Kernkompetenz, die darin besteht, gnadenlos alles in Grund und Boden moderieren zu können, was sich ihm in den Weg stellt. Schon als Jungspund meisterte er in "Na sowas!" den K2 allen Interviewens, Klaus Kinski ("Äh, ich verstehe die Frage nicht."). Da waren später Cher oder Götz George nurmehr leichte Wiesenspaziergänge.

Warum weit ausholen zum Thema Gottschalk, mag man fragen, wenn es doch um eine Sendung geht, die von Johannes B. Kerner moderiert wurde? Nun, weil Gottschalk der Faktor ist, der die Kerner-Show retten könnte. Denn analog zum semantischen Bündel der Gottschalk-Biografie besteht Kerners Image aus Fußball, Wurst- und Fluglininienwerbung sowie einem jahrzehntelangen Talk-Gangbang, der im Mittagsprogramm von Sat 1 begann und seit Jahren abends im ZDF fortgesetzt wird: Da wird alles durchgetalkt, was die Klappe nicht halten kann.

Nach diversen Bildungstest-TV-Veranstaltungen in Folge der PISA-Studie schickte sich Kerner am Donnerstagabend wieder mal an, das Wissen der Nation zu prüfen. Bei der neuesten öffentlich-rechtlichen Wissensshow nach "Pilawas großem Geschichts-Quiz" in der ARD handelte es sich im Grunde nur um eine Coverversion: Eine Show mit gleichem Titel moderierte Günther Jauch bereits im Jahre 2001 in RTL. Um es kurz zu machen, Thomas Gottschalk rettete Kerner nicht. Es war eine dieser Sendungen, die man in dem Moment vergessen hat, in dem der Fernseher ausgeschaltet ist. Hätte man sich keine Notizen gemacht, hätte man nach der um 55 Minuten überzogenen und viel zu langen Live-Show sofort nach Hause gehen können.

Gottschalk und die Blondinen-Klasse

"Wie schlau ist Deutschland?" - das wollte Johannes B. Kerner heraus finden, indem er vier Prominente und Rateteams und die Fernsehzuschauer (die Telefongesellschaft gewinnt immer) 18 Fragen im Multiple-Choice-Verfahren beantworten ließ. Von der seltsamen Fragestellung, die das Kollektiv statt des Individuums im Blick hat, mal ganz abgesehen, verhält es sich mit der Schlauheit wohl eher so wie wie in Ulrich Wickerts Definition: "Schlau ist der, der ohne viel zu wissen durchs Leben kommt." Der Testcharakter der Show, von der weitere Ausgaben geplant sind, ist also nachrangig - was zählt ist die Frage, wie gut sie unterhält.

Wickert führte das Rateteam der 49 Meteorologen an, Monica Lierhaus die Fußballer, die Schauspielerin Janine Kunze eine Abiturienten-Riege und Gottschalk die Blondinen. Eine der Neben-Erzählungen von Gottschalks Vita handelt von seiner Option, Lehrer zu werden: "Sicherheitshalber macht er wenigstens Examen und die erste Lehramtsprüfung", heißt es in Gert Heidenreichs Gottschalk-Biografie: "Man weiß ja nie. Vielleicht landet man ja doch in irgendeiner Dorfschule in Niederbayern und heiratet die Tochter des Bürgermeisters."

Doch er konnte seine Blondinen nichts lehren, wirkte vielmehr wie ein geschaffter Lehrer kurz vor der Frühpensionierung. Es lag nicht an der mangelnden Gesprächskultur Kerners, der sein angelesenes Wissen im Kurzreferatstil so herunterleierte, dass Gottschalk verbal kaum zum Zug kam - sonst setzt er sich in solchen Situationen ja dank seines Witzes durch.

Was ist grün am Gründonnerstag?

Nein, die Rolle des Klassenkaspers machte ihm an diesem Abend Ulrich Wickert streitig. Der ehemalige "Tagesthemen"-Moderator plapperte unreflektiert wie selten drauflos, als bekäme sein Äußerungsdrang endlich Auslauf. Er braucht wohl dringend wieder mehr Sendezeit, um ausgelastet zu sein, hoffentlich kümmert sich jemand bei der ARD um seinen Fall. Bei Kerner hampelte und gestikulierte er, redete dazwischen und bestelllte sich erstmal einen stattlichen Kelch Rotwein, um runterzukommen und dann auch noch über dessen Qualität zu schimpfen. Bei der erstbesten Gelegenheit musste der Käseritter mal wieder anbringen, dass er lange in Frankreich gelebt habe. Gesamteindruck: "Ungeduldig wie ein Tertianer, der etwas weiß, aber noch nicht drankommt" - Kerners bester Kommentar.

Dann wurde geprüft: Kerner fragte die Kandidaten etwa, welche Hautfarbe Kühe haben, und Janine Kunze und Gottschalk griffen zu Rasierpinsel und Klinge, um an der lebendigen Kuh ein Stück freizulegen. "Bei mir rasiere ich mit dem Strich", sagte Kunze, ging dem Show-Nutztier ans Fell und überzeugte sich: Die Haut hat die gleiche Farbe wie die Haare.

Später wollte Kerner wissen, wie der Gründonnerstag zu seinem Namen komme, und es zeigte sich der Fehler in der Konzeption des Wissensbegriffs à la ZDF: Es gibt nämlich nicht nur eine Theorie zur Entstehung des Namens, die Quizshow-kompatibel abfragbar wäre, sondern laut Wikipedia mindestens drei konkurrierende Etymologien für "Gründonnerstag" - keine ist eindeutig bewiesen: Wissen ist eben etwas Dynamisches, das steter Änderung und Debatte unterliegt. Erst hinter der Wissensoberfläche beginnt es, interessant zu werden. Das Abfragen von Fakten hat immer auch etwa stumpf Stupides.

Kerner kann alles, auch 9Live

Wissensminiaturen, wie sie seit Jahren vergnüglich in Zeitungskolumnen wie "Stimmt's?" oder "Rätsel des Alltags" behandelt werden, wurden bei "Wie schlau ist Deutschland?" in eine leidlich amüsante Show verpackt. Das hinderte die Teams nicht daran, sich die ganze Zeit über enthusiastisch für die Dinge, die sie wussten und nicht wussten, zu beklatschen. Da werden über die Ostertage einige Schwielen zu kühlen sein. Kerner trug zur Enthemmung des Jubels bei, indem er im besten 9Live-Stil die Fernsehzuschauer zur Teilnahme aufforderte: "Rufen Sie uns an! Holen Sie sich die 5000 Euro ab zu Ostern!"

Kleine Quizfrage zum Schluss: Wer war noch mal zuerst da - der Kerner oder das Ei?

Nächste Ausgabe von "Wie schlau ist Deutschland?" am 24. Mai.

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