TV-Kritik: "Wetten, dass...?":Dinosaurier mit Perücke

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"Wetten, dass...?" war einst pures Samstagabendglück. Doch die letzte Show vor der Sommerpause, mit Paris Hilton und Udo Lindenberg, geriet Thomas Gottschalk wieder mal zur Lachnummer.

Christian Kortmann

Vor den Fernsehern der Eurovisionsländer muss am Samstagabend das Adrenalin in Strömen geflossen sein, denn selten hatte "Wetten, dass...?" solch eine spannende Perspektive: Würde Udo Lindenberg auf der Prominentencouch Platz nehmen oder nicht? Um Thomas Gottschalks inhaltlich wie in der Zuschauergunst kriselnden Paradeshow zumindest den Anschein von Relevanz zu verleihen, hatten ihn seine Freunde bei der großen Boulevardzeitung, in der er schon mal Chefredakteur spielt, am Samstag mit einer riesigen Titelschlagzeile flankiert. Udo Lindenberg, so Bild, werde singen, aber Gottschalks Couch fern bleiben, weil er nicht den "Quatschomaten" machen wolle.

Präsentierte sich ganz brav: Paris Hilton bei Thomas Gottschalk (Foto: Foto: AP)

Udo bekam dann ein Stückchen Extracouch, auf der er mit Gottschalk für die Kameras posierte und als Solo-Quatschomat sehr eifrig etwas über sein neues Album nuschelte. Einträchtig vereint bildeten die beiden personifizierten Haupthaarprobleme eine prächtige Vorlage für eine Oliver-Kalkofe-Parodie: Angesichts des aufgesetzt kumpelnden Gottschalks und des unkontrolliert Grimassen schneidenden Lindenbergs dachte man nur noch: Wette sich, wer kann! Nicht erst mit dieser 175. Ausgabe ist "Wetten, dass...?" zur Lachnummer geworden.

Früher war das anders: Für den, der in den 1980ern groß geworden ist, ist der Ereignischarakter des Samstagabends eng mit "Wetten, dass...?" verknüpft: Auch wenn man noch nicht zu Partys eingeladen wurde, gab das "Wetten, dass...?"-Fernseherlebnis, wenn etwa der berühmte Lkw auf vier Biergläsern stand, dem Samstag eine spektakuläre Note, mit der sich kein anderer Wochentag messen konnte.

"Wetten, dass...?"-Erfinder Frank Elstner ging, Thomas Gottschalk kam. Mit jeder Folge wurde man älter und bekam bald eine Menge Party-Einladungen. Doch der Impuls, an den Samstagen, die man zu Hause verbringt, "Wetten, dass...?" einzuschalten, blieb bis heute bestehen. Nur hat sich die Sehtechnik verändert: Man kauert nicht mehr 150 Minuten vorm Fernseher, denn Höhepunkte sind in der Show rar geworden. Keine der Wetten am Samstag war bemerkenswert, und hätte man sich keine Notizen gemacht, hätte man die Sendung sofort nach dem Ende vergessen. Und wenn wie beim vorletzen Mal eine lustige Panne passiert - Gottschalk schlug beim Testen der Verdunkelungsbrille einen Kandidaten ins Gesicht -, zeigt sie Stefan Raab am Montag in "TV total".

Vielmehr schaltet man pünktlich um 20.15 Uhr ein, um die "Wetten, dass...?"-Anfangsmelodie zu hören und sich in den Strom des Geschehenden einzuklinken. Denn nach wie vor fühlt man sich weniger allein und auch ein wenig nostalgisch, wenn man die Live-Show in die Wohnung holt und den oft seltsamen Prominentenkonstellationen zusieht, die sich in mehr oder weniger peinlichen Momenten auf dem Sofa bilden. Währenddessen lassen sich andere Dinge erledigen: Man kann kochen, spülen, aufräumen oder bügeln, und die Vorstellung der stets besonders langweiligen Stadtwette ist ein idealer Zeitpunkt für den Gang zur Biotonne.

Pünktlich zur Umstellung auf die Sommerzeit verabschiedete sich Gottschalk am Samstag in eine halbjährige "Sommerpause". Doch auch die Verknappung auf wenige Ausgaben pro Jahr kann den Bedeutungsverlust der Show nicht stoppen: Der Ereignischarakter ist dem "Wetten, dass...?"-Abend verloren gegangen. Man wohnt nicht mehr etwas Besonderem, sondern einer Routineveranstaltung bei. Udo Lindenberg sang darüber, was ihm alles so "am Arsch vorbei geht", und das trifft mittlerweile auch auf Gottschalks Moderationsstil zu.

So pries Gottschalk Lindenbergs "aufsehendes Album" an, wusste nicht auf Anhieb, was eine "Federnfabrik" ist, und dann entfiel ihm auch noch der Name seines einstigen Nachfolgers wie Vorgängers als "Wetten, dass...?"-Moderator: "Lippert, Lippert, äh..., Wolfgang Lippert". Er warb für seine eigene, am Montag im ZDF startende Casting-Show, als würde er das Fernsehen damit neu erfinden und wüsste nichts von der Casting-übersättigten deutschen Fernsehrealität. In solchen Momenten wirkt Gottschalk wie ein Dinosaurier, der sich bislang erfolgreich in einer veränderten Umwelt getarnt hat, dem nun aber die Perücke verrutscht.

Zum Schluss noch Breaking News: Paris Hiltons Stern muss am Sinken sein, denn sie kam als ganz normaler Gast und machte keinerlei Sperenzchen. Sie hinterließ das schöne Aperçu, das auch für Gottschalks schwindende Zuschauerschaft gilt: "Ich bin treu, vor allem dem zur Zeit."

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