TV-Kritik: "The Biggest Loser":Der Leib frisst sie

Da haben wir den Salat: Deutschland schaut den lustigen Dicken dabei zu, wie sie "The Biggest Loser" werden sollen. Höchst unspecktakulär. Eine kleine Nachtkritik.

Ruth Schneeberger

Viele von uns erinnern sich nur ungern an den Sportunterricht ihrer Kindheit. Die einen, weil sie selber zu den sportlich Minderbegabten gehörten. Die anderen, weil dort auf vielerlei Art das berühmte "Fremdschämen" erstmals Gestalt annahm.

TV-Kritik: "The Biggest Loser": Diese Herrschaften sollen abspecken, öffentlich goutiert.

Diese Herrschaften sollen abspecken, öffentlich goutiert.

(Foto: Foto: ProSieben/Oliver S.)

Vor allem für eine Lebensform von überengagierten oder schlicht frustrierten Sportpädagogen, die die Schwächsten oder Dicksten der Klasse, die Jahrgangsstufenloser also, in falsch verstandenem Ehrgeiz oder schlichten Erniedrigungsphantasien so lange am Reck quälten oder Purzelbäume schlagen ließen, bis einer heulte. Peinlicher, das lernt man aber erst viel später, kann es nur noch sein, Veronica Ferres in der Disziplin "unpassende Rollen spielen" zuzusehen. Es gab aber noch eine dritte Gruppe von frühen Sadisten, die an solcherlei Dicken-Bashing Spaß hatte.

Für wen auch immer hat ProSieben nun dieses Kindheitstrauma herausgekramt und in die Erwachsenenwelt übertragen. "The Biggest Loser" ist eine Unterhaltungs- und Erziehungsshow, die 14 gestandene Erwachsene dazu bringen soll, vor den Augen der Nation tüchtig abzuspecken. Wobei wir noch sehen werden, wer hier unterhalten und wer erzogen werden soll.

Also gut, Katarina Witt hat wieder einen Job. Danach kann aber eigentlich nur noch das Dschungelcamp kommen. So weit die guten Nachrichten. Die schlechten: Diese Sendung ist nicht lustig.

Du bist, was du nicht isst

Wer geglaubt hatte, es sei unterhaltsam, Übergewichtigen dabei zuzusehen, wie sie schwitzen, schnaufen und schleppen, den hat ProSieben am Donnerstagabend eines Besseren belehrt. Das wäre eigentlich nicht nötig gewesen, wo schon "Eine Insel speckt ab" auf Kabel 1 oder "Big Diet" auf RTL 2 schwere Flops waren.

Aber da gibt es nun mal dieses neue amerikanische Format mit dem spaßigen Namen, von NBC übernommen, und nun hat man bei ProSieben schon so lange mit der Ausstrahlung gewartet, bis es nach Weihnachten ist und die Zuschauer selbst alle abnehmen wollen. Da kann es doch nicht so schwer sein, ein paar Milliönchen vor die Bildschirme zu locken. Klappt doch sonst auch, wenn echte Menschen sich vom Privatfernsehen freiwillig zum Deppen machen lassen.

Allein: Das Format ist so billig und lieblos produziert, dass man schon einige Tafeln Schokolade oder mindestens zwei Portionen Eiscreme braucht, um sich das anzusehen - abgesehen davon, dass es schlicht beschämend ist, mitansehen zu müssen, wie stark sich die Dicken an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen müssen, dass sie sich selbst öffentlich so etwas antun.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Kati Witt Heidi Klum spielt.

Der Leib frisst sie

Die erste Folge der Langzeit-Doku beginnt auf einer argentinischen "Hacienda" in Ungarn: Es ist Sommer - und Reinigungskraft Doris (137 kg), Student Falko (139 kg) , Schauspielerin Mariola (95 kg) und der übergewichtige Spitzenreiter Enrico mit 191 kg können einem einfach nur leidtun. Nach Osteuropa verfrachtet, schlafen sie in Zweibettzimmern, tragen rote und blaue Mannschaftsklamotten, ziehen Lkw an Seilen hinter sich her und werden immer wieder gewogen.

Gegessen wird, was auf den Tisch kommt, und das ist Hühnchen mit Gemüse. Ständig meckert irgendeiner, die eigene Mannschaft sei nicht sportlich genug (ach was?), und dann kommt auch noch Kati Witt und spielt Heidi Klum: In deutlich abgeschauter gestrenger Gouvernanten-Manier verkündet sie den Betroffenen, nur einer könne "The Biggest Loser" werden, wobei man sich die ganze Zeit fragt, ob die Kandidaten das doppelte Wortspiel des englischen Sendetitels überhaupt verstanden haben, und ob das auch die Intention des Senders war.

Fit ohne Witt

Ansonsten ist die ehemalige Eiskunstläuferin aber kaum zu sehen, was der Sendung nicht weiter schadet. Fit ohne Witt werden die Kandidaten in der ersten Folge mit Hilfe von zwei "Personal Trainern", der leicht männlich wirkenden Nele und dem leicht weiblich wirkenden Wojtek, die ansonsten aus jedem beliebigen Fitnessstudio stammen könnten.

Unterbrochen werden die unspecktakulären Sporteinheiten nicht nur von seltsam kurzen Werbepausen, in denen man sich nicht mal eine ordentliche Pizza in den Ofen schieben kann, sondern leider auch von sogenannten Homestories, die die Dicken in ihrer gewohnten Umgebung zeigen.

Dafür müssen sie sich klischeegerecht in geselliger Runde fettige Speisen einverleiben oder ihre alte Jeans in die Kamera halten, in der sie "so einen geilen Arsch" hatten. Probleme oder Umstände, die zu ihrem Körpergewicht geführt haben, werden nicht benannt.

Der Privatsender lässt ausschließlich dümmliche Ausreden à la "Bei uns in Polen musste der Teller immer leergegessen werden" oder "Ich habe keine Zeit zum Kochen" gelten. Wehe, es kämen seelische Probleme auf den Tisch. Da könnte man ja nicht mit dem Hauruck-Verfahren helfen, und das will man doch so gerne. Genau wie der Schuldnerberater, die Einrichtungsexpertin und die Problemkinder-Nanny will "The Biggest Loser" dem Prekariat aus der Misere helfen, indem es ihm zeigt, wie man "richtig" lebt.

Das wäre aber alles noch nicht weiter schlimm, wenn hier nicht eine besonders perfide Kraft am Werk wäre: der sogenannte Team-Geist. Ob der Sender es die Kandidaten selber sagen ("Das kann mir keiner erzählen, dass er das alleine schaffen würde") oder durch die "Experten" auf die Gruppe übertragen lässt: Ständig wird vom "Team" geredet.

Lasst mich hier drin, ich bin ein Nichts!

"Ihr habt euch für das Team entschieden" heißt es, wenn Doris trotz respektabler Gewichtsabnahme (minus 3,4 Kg in einer Woche) von ihrer Gruppe "nominiert", also rausgeschmissen wird, weil sie Arthrose hat. Dabei war sie die Einzige, die so fair war, jemanden zu nominieren, der garantiert nicht rausgewählt wird, die Einzige also, die den Teamgeist richtig verstanden hat. In der Sendung aber steht das Team für den großen Laib, der alles verspricht: das große Abnehmen, die große Geborgenheit, den großen Rückhalt vor der Welt da draußen, der doch so nötig scheint.

Das Individuum dagegen ist, isst und zählt nichts, wird höchstens als Störfaktor sichtbar (Mariola, die sich beim Wiegen das T-Shirt auszieht und dafür sofort abgewählt werden soll) und ansonsten in verlorenen Kilos abgewogen. Diese Botschaft unverhohlen zur besten Sendezeit serviert zu bekommen, das ist dann doch ein dickes Ding.

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