TV-Kritik: "Schlag den Star":Promi-Dämmerung am Rhein

Rechnen nach Adam Krise: Die letzte Folge von Stefan Raabs "Schlag den Star" liefert die Erkenntnis, dass wir den Großteil der deutschen Promis schmerzfrei einsparen können - so auch Wigald Boning.

Franziska Seng

Alles neu macht der Frost, der Kälteeinbruch auf dem Kaufparkett: Wer momentan jeden Cent zweimal umdreht, weil er muss, oder weil es ihm einfach Spaß macht, der braucht sich in diesem Frühjahr ausnahmsweise mal nicht zu schämen. Denn Knausern ist die neue, auch in großen Hochglanzmagazinen verfochtene Trendsportart.

TV-Kritik: "Schlag den Star": Perfekt getarnt: Wigald Boning punktet im Pusteball.

Perfekt getarnt: Wigald Boning punktet im Pusteball.

(Foto: Foto: Pro Sieben)

Wer hingegen die Stillosigkeit besitzen sollte, sich als hemmungslose Scheinschleuder, als konsumgeile Göre zu gerieren, muss im mildesten Fall mit einem "total Neunziger"-Grunzer aus dem Lager der Sparschweine rechnen. Mit steinharten Cherrytomaten aus dem Bio-Discounter attackiert zu werden ist ein ebenso unschönes, jedoch denkbares Szenario.

Doch zu Recht werden in diesen Zeiten kostenintensivere Anschaffungen kritisch hinterfragt, Orgien jedweder Art eingeschränkt, die Haushaltsbücher am Monatsende beflissen nachgerechnet. Haben sich die mit dem Kauf verbundenen Erwartungen auch erfüllt?

Haben die Investitionen an der Gattin, gemeinsamer Opernbesuch und Aromamassage, sich sichtbar in der Beziehungsbilanz niedergeschlagen? Ist Rüde Brutus weniger aggressiv, seitdem er einen eigenen Flachbild-TV hat?

Auch Promis bleiben folgerichtig von Rationalisierungsfragen nicht verschont: Welche brauchen wir noch, und welche können wir uns sparen? Sind sie ihr Geld wirklich wert? Knallt zum Beispiel das Waldi-Hartmann-Weißbier in dem Umfang, dass dadurch ein sonntäglicher Aufenthalt im Englischen Garten zu einem gemütlichen Erlebnis werden könnte?

Oder haben wir vom letzten McWow-Heidi-Klum-Happy-Meal nicht sofort einen ganz üblen Durchfall erfahren, jedoch kein nachhaltiges Sättigungsgefühl? Vermissen wir die wohlfeile Verona Feldbusch, seitdem wir sie uns nicht mehr aufs Brot schmieren können?

Ähnliche Fragen wird sich auch Stefan Raab nach vier Folgen von "Schlag den Star" stellen, der Jubiläumsedition der Erfolgssendung "Schlag den Raab", in der nicht der Formatvater selbst, sondern externe Prominentenstatutsträger gegen Kandidaten aus dem Volk antraten: Hat es sich wirklich gelohnt, das Schlachtfeld angeheuerten Legionären zu überlassen?

Bevor sich am Freitagabend Wigald Boning dem Wettkampf gestellt hat, lagen die Promis nach Siegen zurück. Zwar konnte sich in der ersten Sendung Stefan Effenberg gegen Containerbrückenfahrer Oliver profilieren und dank schmucker Shirts ein himmelhoch loderndes Prollfeuer der Eitelkeiten entfachen.

Doch seine beiden Nachfolger holten sich Niederlagen ein: So blieb Ex-Handballer Stefan Kretzschmar nicht nur bei einer Kletter-Challenge saft- und kraftlos; der an einem Tierpuzzle scheiternde Boris Becker bewies, dass er keine großen Worte in den Mund zu nehmen braucht, um beim Zuschauer Fremdschämen zu provozieren.

Letzter Retter der Promi-Ehre

Wigald Bonings Aufgabe war es nun, ein Unentschieden zu erkämpfen. Raab beschwor ihn als "letzte Hoffnung" im Kampf um die "Promi-Ehre" - leider ohne diesen diffusen Ehrbegriff eingehender zu erläutern.

Der letzte Star erschien tatsächlich als Joker in Raabs Promiarsenal, Killerkarnickel à la Monty Python und heilige Handgranate in Personalunion. Denn Boning gilt als clever und tough zugleich.

Dagegen müssen seine Vorgänger, alle Ballsportler und atavistische Jäger eines - freilich abstrahierten - Beutekörpers, täglich viel Kraft und Energie aufwenden, um gegen Vorurteile anzukämpfen: etwa dass Ballerspiele asozial, aggressiv und doof machen, ja sogar die Hirnstruktur verändern.

Multiperformer Boning musste sich solchen Vorwürfen nie stellen, kann seine Energien anderweitig verpulvern: Er moderiert ein Wissenschaftsquiz und betreibt exzessiven Ausdauersport, joggt über die Alpen oder fährt vierundzwanzig Stunden Rad.

Die Boning-Tarnung

Gleichzeitig bedient sich der Ex-Die-Doofen-Sänger eines unfassbar tückischen Täuschungsmanövers: Er sieht immer aus wie der ewig-tragische Überzählige beim Schlagball.

Und auch dieses Mal schien Bonings Tarnung perfekt zu sein. In seinem quergestreiften, gelb-blau-grauen Hemd, zipfelig, verwaschen und großonkelmäßig in die Hose gestopft, bot er das perfekte Gegenstück zu Effenbergs schäumendem Salontiger-Glamour.

Kleine, zitternde Fäustchen

Boning trat nicht als Aggressor auf, sondern versprühte den Elan eines mittleren Verwaltungsangestellten an einem sommerlichen Spätnachmittag. Das sollte dann für den Rest der Sendung so bleiben. Das Hemd war doch keine clevere Tarnung.

Als die Spiele begannen, lief alles noch wie erwartet: Gegen Kai, den 41-jährigen Elektriker aus Düsseldorf, konnte Boning im Pusteball punkten, doch dann erschöpfte sich der Atem des Ausdauersportlers erschreckend schnell. Er presste die Lippen aufeinander, schob nervös den Unterkiefer nach vorne, ballte seine Hände zu kleinen, zitternden Fäustchen. So sehen Jungs im Sportunterricht aus, die sich vor dem Geräteturnen drücke.

"Faul in der Beinarbeit", schalt Kommentator Frank Buschmann Bonings Tischtennis-Leistung. Beim Fechten versuchte der Comedian seinem schweren Helm die Schuld dafür zuzuschieben, dass er gegen den konterstarken Kai keine Chance hatte.

Überhaupt, der Kai.

Kai zeigte sich attraktiv-charismatisch. Eine betörende Erscheinung vom Typ Hans Hansens in Thomas Manns "Tonio Kröger". Trittsicher in Rohbauten als Elektroinstallateur, aber auch grazil den Degen zum Ziel führend im Fechtanzug. Behände wie eine Gämse an der Kletterwand, feste ballernd beim Elfmeterschießen.

Gleichzeitig ein geistvoller Quizpartner, Falkland-Inseln und Knesset sind ihm keine Fremdwörter, ein im Spiel überzeugender Gedächtniskünstler, auch ein total bodenständiger Familientyp wie du und ich mit einem Garten in der Größe eines Handtuchs. Und nach mäßigem Krafteinsatz, mit einem Endpunktestand von 23:5, 50.000 Euro reicher. Wir gönnen es Kai von ganzem Herzen.

Metzger statt Consultant

Allerdings sei dahingestellt, ob Kai gegen Stefan Raab ein ähnlich leichtes Spiel gehabt hätte. Denn der kraftstrotzende Action-Show-Pionier musste sich in fünfzehn Schlag-den-Raab-Folgen nur viermal gegen seine Kandidaten geschlagen geben, während die angeheuerten Promis zu 75 Prozent versagten.

Wie bei traditionsreichen Familienunternehmen gilt auch im modernen Medienbusiness: Der Metzger im Haus ersetzt den Glamour-Consultant, der teuer abrechnet und Effektivitätssteigerung nur gekonnt markiert.

Als Zuschauer vermisste man nicht zuletzt die unvergleichliche physische Präsenz des Vielseitigkeitskämpfers Raab, seine vor Konzentration knallroten Bäckchen, den schwitzenden, leidenden Entertainer auf dem heißen Quizstuhl, bei kniffligen Motorikherausforderungen, im teuflischen Hamsterrad. Manchmal fast die Adern platzend vor Energie, wie Popeye nach einer Euro-Palette Spinat.

Da vereinfachte Darstellungen sich in schlichten Zeiten besonderer Beliebtheit erfreuen, das Fazit des Textes noch einmal als Milchmädchenrechnung zusammengefasst: 75 Prozent der deutschen Promis können wir einsparen, da deren Leistungen im Belastungstest sich zu denjenigen des normalverdienenden Durchschnittsbürgers nicht als hundertprozentig höherwertiger erweisen, sondern mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit eher als minderwertig.

Wenn es also bei ihrem nächsten Bummel über die Münchner Maximilianstraße mal wieder so weit sein, das Unvermeidliche geschehen und ihnen Boris Becker - den Blicken der Passanten ausweichend - entgegeneiern sollte, fordern Sie gedeckte Kreditkarten und Genugtuung. Falls die kecken Worte nicht sofort zum Star durchdringen sollten, drohen Sie mit Cherry-Tomaten und Tierpuzzles.

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