Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: Reden über HIV:Nadja Benaissa, der Star mit Stempel

Lesezeit: 3 min

Sie war zuletzt nur "Nadja B." - jetzt ist sie wieder Nadja Benaissa, die Frau, die auf RTL öffentlich über HIV, Intimes und ihren Prozess redete. Eine Nachtkritik.

Hans-Jürgen Jakobs

Da saß sie selbstbewusst im Studio. Lächelte, beantwortete ruhig Fragen zu HIV und Körperverletzung. Jene Frau, die vor zehn Wochen so etwas wie ein öffentliches Opfer von Justiz und Medien zu sein schien. Ein Star, dessen Anwalt jeder Zeitung mit Klage drohte, der ihren Namen nannte in dieser heiklen Ermittlungssache.

Nun aber sitzt Nadja Benaissa von der Band No Angels, die vorher in dieser Affäre bestenfalls die Sängerin "Nadja B." war, an der Seite des Fernsehjournalisten Günther Jauch, der noch die schmutzigsten Boulevardstoffe mit Buchhaltergestus durch seine RTL-Sendung "Stern TV" schleust.

Schon im Jahr 2001 hatte Nadja Benaissa in Jauchs Gemischtwarenladen bekannt, einst cracksüchtig gewesen zu sein. Nun sagt sie, sie lebe gegen ihren Willen in einem "Ausnahmezustand", nachdem bekanntwurde, dass sie HIV-infiziert sei.

Mit der Infektion komme sie gut zurecht: "Ich bin vollkommen gesund und ich bin ja auch nicht krank. Ich bin HIV-positiv. HIV-positiv zu sein, heißt nicht, krank zu sein. Denn wenn die Krankheit ausbricht, heißt sie Aids. Ich habe eine ganz normale Lebenserwartung." Sie werde mit Medikamenten therapiert, der Ausbruch sei kontrolliert: "Und natürlich auch im Intimleben gibt es gewisse Einschränkungen."

Eine Show wie "Stern TV" lebt von diesen Momenten der Selbstentblößung und der großen Ehrlichkeit in einer bekanntlich rundum verlogenen Welt. Ein Mensch, der so offen über Intima redet, kann gleichwohl nicht erwarten, anonymisiert zu werden. Und so fragte Jauch sanft nach dem drohenden Prozess gegen sie und nach dem Vorwurf, sie habe ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt: "Herr Jauch, Sie wissen, darüber darf ich nicht reden." Es sei richtig, dieses Verfahren, "okay, völlig in Ordnung". Sie arbeite mit den Behörden zusammen.

Man muss wissen, dass Nadja Benaissa vor Gericht schon gegen einen kleinen Bericht in Bild geklagt hat und erst kurz vor Prozessbeginn in Berlin das juristische Minenfeld räumen ließ. Der Artikel hatte geschildert, wie die Künstlerin am Ostersamstag vor einem Konzert in Frankfurt vor vielen Leuten verhaftet worden war, weiß Gott, kein gewöhnlicher Vorgang. Das sei sehr "auffällig" gewesen, erzählt Nadja Benaissa nun bei "Stern TV", sie sei ja eher "eine ruhige Person".

Nadja Benaissa wirkt sehr kontrolliert, sehr beherrscht

So kam der Star der No Angels für zehn Tage in Untersuchungshaft, und danach musste sie ihrer bis dahin unwissenden Tochter von ihrer HIV-Krankheit erzählen. Ein Sprecher der Darmstädter Staatsanwaltschaft hatte Benaissas Intimleben, inklusive der schwere Vorwürfe der Körperverletzung, öffentlich ausgebreitet - woraufhin sie zum Covergirl des Boulevards wurde. Nadja Benaissa spricht von einer "unmöglichen Massivität von Medien".

Im TV-Studio tritt sie mit exotisch gemusterter bunter Bluse auf. Die Haare sind zu einem Zopf gebunden. Sie wirkt sehr kontrolliert, sehr beherrscht. Immerhin ist Nadja Benaissa seit 2000 großes Publikum gewohnt, jenem Jahr, indem sie im Castingwettbewerb "Popstars" des Fernsehsenders RTL 2 siegte und in die Retortenband No Angels einstieg.

Günther Jauch, der noch vor Tagen einen Großauftritt als Absolvent der 60 Jahre alt gewordenen Deutschen Journalistenschule hatte, gelingt es an diesem RTL-Abend nicht, ein Gespräch ins Laufen zu bringen, das überraschende Einblicke bringt. Er wiederholt Fragen, die schon im langen Einspielfilm geklärt waren.

Der Trailer hatte eine gefestigte, lächelnde Sängerin Nadja Benaissa gezeigt, die im Probenraum vom Personal geherzt wird. Die No Angels bringen bald eine CD heraus. Das Interesse daran wird nach diesem TV-Abend nicht kleiner geworden sein.

Bei Bild allerdings langt es nicht mehr wie einst zur Aufmachergeschichte. Jetzt gibt es den Tod von Michael Jackson. Den Streit um sein Erbe. Dagegen verblasst sogar das HIV-Schicksal einer 27-jährigen Sängerin aus Frankfurt. Auch wenn sie das erste Mal seit ihrer U-Haft spricht.

"Ich hab jetzt diesen Stempel"

Im Stern-TV-Film bekannte die Popkünstlerin, sie gehe in die Öffentlichkeit, weil sie da hineingezogen worden sei. Als "Schlampe" sei sie von anderen Leuten geschmäht worden, nachdem die Justizsache bekanntgeworden war - aber nun könne sie wenigstens nicht mehr erpresst werden. Jahrelang habe sie unter dem Zwiespalt gelitten, ihre Krankheit für sich behalten zu wollen, während andere sie in die Öffentlichkeit drängten. Sie redet von Freundschaften, die endeten. Und nun: Ganz Deutschland, ja, die ganze Welt wisse von HIV und Nadja: "Ich hab jetzt diesen Stempel."

Auf der anderen Seite findet es die Frau der No Angels gut, dass Aids nicht tabuisiert wird: "Viele Frauen haben Angst." Und: "In der heutigen Zeit kann man, muss man darüber reden."

Doch als Günther Jauch sie daraufhin noch einmal über den eigenen Prozess reden lassen will, erklärt die Frau, die wochenlang nur "Nadja B." war, lediglich: Es gebe da diese Anzeige, das habe sie gewusst. Sie aber sei jetzt "gutgelaunt", freue sich an der Arbeit mit den Kollegen: "Ich habe echte Liebe."

Da konnte sich der Moderator nur noch bedanken.

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