TV-Kritik: "Popstars" auf Pro Sieben:Nina liebt dich

In der neuen Staffel der Castingshow "Popstars" gibt Detlef D! Soost den jungen Talenten mehr Zuckerbrot als Peitsche. Und über allem wacht die galaktische Nina Hagen.

Christian Kortmann

Seit die Band No Angels im Jahr 2000 als Sieger aus der ersten Staffel von "Popstars" hervorgegangen ist, haben sich Castingshows als fester Bestandteil in der Fernsehunterhaltung etabliert. Mittlerweile beschränkt sich der televisionäre Auswahlprozess nicht mehr aufs Singen und Musizieren. Heidi Klum sucht bekanntlich fleißig Models, und in "Let's Dance" stellen sich Laientänzer, die sich in ihren Berufen durchgesetzt haben und keinerlei Ambitionen als Profitänzer haben, einer professionellen Jury. Wenn man fragt, warum sie sich das antun, betonen die Teilnehmer stets den Charakter einer persönlichen Herausforderung, den die Show für sie hat: Da stecken verborgene Fähigkeiten in mir, so die Überzeugung, die ich durch hartes Casting herauskitzeln lassen kann.

Parallel zum Aufstieg der Castingshow im Fernsehen wurden sogenannte Assessmentcenter, in denen Bewerber ausgiebig geprüft werden, zum gängigen Verfahren für die Rekrutierung von Personal. So kann man im ewigen Vorsingen und -tanzen auch eine Spiegelung des Berufslebens sehen, das vom stetigen Wettbewerb geprägt wird. Um auf dem heutigen Arbeitsmarkt eine Chance zu haben, muss man optimal für eine Position qualifiziert sein. In den Castingshows sehen wir anderen beim Vorstellungsgespräch zu, verfolgen, wie Stärken und Schwächen ans Tageslicht befördert werden.

Genau dies trennt die Fans von den Verächtern der Castingshows: Denn die einen sehen darin die Vorführung des Scheiterns von Überforderten, eine Selektion nach vorgefertigten Mustern, die junge Menschen in Schablonen presst. Die anderen aber erkennen im Casting den Werkstattcharakter, der dem Einzelnen hilft, am Ego zu feilen und seine Stärken herauszuarbeiten.

Zwischen diesen Polen - Selektion im Menschenpark und Workshop, Anpassung und Sturköpfigkeit - schwankte auch die erste Folge der sechsten Staffel der "Popstars"-Show auf Pro Sieben. Unter dem Motto "Popstars on Stage" suchte man ausgerechnet in Offenbach, der Stadt des Mark-Medlock-Aufstiegsmythos, nach neuen Sängern und erstmals auch nach Tänzern - die altbewährte ganzheitliche "Fame"-Mischung.

Die Casting-willigen Teenager strömten in einem inszenierten Massenauflauf herbei, wurden flugs über den roten Teppich geschleust, und schon blickte ihnen aus den acht Augen der Jury der Ernst des Lebens entgegen. Musikproduzent Dieter Falk und Choreograph Detlef D! Soost lieferten sogleich ein Beispiel für unschöne knallharte Selektion: Sie trieben die schon in der vorigen "Popstars"-Staffel gescheiterte Jenny in einen Heulkrampf und standen dann sofort mit der Kleenex-Box parat: "Beim nächsten Casting in der nächsten Stadt musst du die Pobacken zusammenkneifen und zeigen, dass du es wirklich willst", sagte D! - a new career in a new town.

Auch Jane Comerford (Texas Lightning) und DJ Marusha zeigten bei allem Verständnis für die Kandidaten im entscheidenden Moment Härte und drückten den neu eingeführten Not-Buzzer, um eine zu schreckliche Darbietung sofort zu unterbinden. "Das ist noch nicht Musik, das ist einfach Geräusch", stellte Jane fest, und Marusha sagte einmal: "Marvi, heute hast du irgendwie verkackt."

Grell oder brummig

Die auffällig zahlreichen Wiederholungstäter, die nochmal zum Casting antraten, obwohl sie vorher durchgefallen waren, stehen für den Glauben, dass man es durch harte Arbeit am Ich ganz nach oben schaffen kann. Womit wir bei der angestammten Domäne von Detlef D! Soost wären, der noch einmal klarstellte: "Wir müssen schleifen, wir wollen ja echte Diamanten gewinnen." Immer wieder wurden die Tränen vergangener Castings eingespielt, standen die Härten des Weges im Vordergrund: Das Individuum muss bereit sein, dorthin zu gehen, wo es weh tut.

Doch der Schleifer D! gab mehr Zuckerbrot als Peitsche und vier Tänzern eine Chance, die zwar noch nicht überzeugten, aber gute Ansätze zeigten. Anders als bei "Deutschland sucht den Superstar" geht es bei "Popstars" um die Zusammenstellung einer Gruppe. D! übernimmt deshalb die Rolle des Personalchefs, der Ziele von Firma und Bewerber abgleicht, und die Castingshow wird zum Assessmentcenter. Dies wurde besonders deutlich, als sich ein junger Vater vorstellte, der ganz auf eine "Popstars"-Karriere setzt, um seine Familie zu ernähren.

Und was macht eigentlich Nina Hagen? - Nun, sie hat sich aus den Tränen und Härten des Casting-Tagesgeschäfts zurückgezogen. Aufgrund ihrer künstlerischen Kompromisslosigkeit ist sie an dem Punkt angelangt, an dem sie ihr Unangepasstsein als erfolgversprechende Norm verkauft. In der Rubrik "Nina Hagens Casting-Guide" schwebte sie galaktisch vom Star-Himmel herab und erklärte, die Singstimme dürfe zwar grell oder brummig, aber niemals langweilig sein.

"Popstars" ist auf 28 Folgen angelegt, es wird sich so über die Sommermonate hinschleppen. Die Arbeit am Ich ist eben eine langwierige Sache.

"Popstars", donnerstags 20.15 Uhr, Pro Sieben

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