TV-Kritik: "Nina Ruge: Alles wird gut":Optimismus auf Knopfdruck

Lesezeit: 3 min

Eine Vormittags-Talkshow um Mitternacht: Auf Kerners ZDF-Sendeplatz kämpft Nina Ruge mit positivem Denken gegen den Krebs, muss aber einsehen, dass sich mit Wundern die Welt nicht retten lässt.

Christian Kortmann

Wir hatten uns schon fast an die Ruhe gewöhnt: Beckmann im Urlaub, Raab im Urlaub, Schmidt im Urlaub, Christiansen weg und Kerner in der Babypause. Stille unter dem regenwolkenwilden Nachthimmel, in den fernsehlichen Abendstunden zwischen 22 Uhr und Mitternacht kaum mehr Talkvibrationen in der Luft.

Leider wird die frisch gewonnene Plapper-Auszeit jetzt von Nina Ruge gestört, die seit Donnerstagabend mit einer neunteiligen Gesprächsreihe das Sommerloch bezwingen will, indem sie es mit selbst gemachter Verbal-Leere flutet. Einen besseren Ort als das Hamburger Studio von Johannes B. Kerner kann man sich zu diesem Zweck nicht vorstellen: Wo wäre der Genius loci geeigneter als an der Wirkungsstätte des Meisters des fließbandartigen, bisweilen rührseligen Talk-Gangbangs?

Ja, es ist die Nina Ruge, die vor nicht allzu langer Zeit in einer recht wirren Ansprache auf Thomas Gottschalks "Wetten, dass... ?"-Couch ihr neues Credo in Millionen Wohnzimmer sandte: Nach der anstrengenden Vielfernsehzeit wolle sie nun Dinge tun, die ihr mehr gäben, anderen hülfen, ein besseres Leben zu führen, kurz: mit Kitsch die Welt retten.

Doch wie es bei frei gestellten Fernsehmenschen so ist: Abseits der beliebten Alternative, Kinderbücher zu schreiben, landen sie meist wieder im Fernsehen. Kein halbes Jahr nach ihrer letzten "Leute heute"-Sendung ist Nina Ruge also auf dem Bildschirm zurück. Und sie hat dafür tatsächlich ihren Wahlspruch "Alles wird gut" aus der Kühlkammer geholt, obwohl er zweifellos gegen das Gammelmotto-Gesetz verstößt.

Es geht in ihrer "Talkshow zu Lebensfragen" nämlich schwer Konzept-lastig darum, wie man seinem Leben einen Dreh gibt, um ein viel besseres Leben zu führen. Dreh der Auftaktfolge waren alternative Heilmethoden, und gleich zu Beginn berichtete eine Heilpraktikerin, die ihren Brustkrebs angeblich durch positives Denken besiegt hat.

Da saß sie nun mit Nina Ruge dicht am Studiopublikum und erzählte von der Schamanenbehandlung in Nepal und ihrem Dialog mit dem Krebs. "Was haben die Krebszellen zu Ihnen gesagt?", hakte Ruge ernsthaft nach. Detailliert wurde dann der nach außen hervorbrechende Tumor geschildert und über ihn gelacht. Das Saalpublikum applaudierte dem Sieg der positiven Gedankenkraft wie bei einem Lebenshilfeseminar. Man dachte, man hätte sich um gut zwölf Stunden und ein paar Kanäle vertan und sei nicht kurz vor Mitternacht beim ZDF, sondern vormittags bei den Privaten gelandet.

Nichts zu verpassen

Ganz harter Stoff also: Das persönliche Schicksal einer Krebserkrankung entzieht sich selbstverständlich der ästhetischen Kritik, nicht aber die Art und Weise, in der sie als Fernsehunterhaltung inszeniert wird.

Als Privatmann hätte man ja nach fünf Minuten umgeschaltet, doch als Rezensent muss man da durch und für diejenigen berichten, die den keinen Ekel scheuenden Eröffnungstalk nicht überstanden haben oder einfach froh sind, es nicht gesehen haben zu müssen, oder sich einfach nur gruseln wollen. Eine Sorge sei allen schon mal genommen: Es gab Donnerstagnacht nichts zu verpassen.

Die geladenen Schulmediziner bemühten sich um Schadensbegrenzung und erdeten die Wunderheilungsgeschichte mit rationalen Einschätzungen. Der Schauspieler Michael Lesch berichtete von seiner Krebserkrankung und huldigte der Schulmedizin: "Wunderheiler sind der Weg in den Tod!"

Da war Nina schon "so bewegt", dass sie ihn duzen musste, und Michael schon bei seinem zeitweiligen künstlichen Darmausgang. Spätestens da war klar: Wer bei "Alles wird gut" keine unappetitliche Anekdote in petto hatte, war falsch in der Runde.

Das perfekte Werberahmenprogramm

Wo Nina Ruge in dieser Debatte steht, erschließt sich leicht: Nicht ohne Grund platzierte sie die wahnwitzige Brustkrebs-Wunderheilung am Beginn der Sendung. Sie holt ihr Publikum an einem gewissen Punkt der Verzweiflung und Ratlosigkeit ab und bietet ihm dann ein journalistisch aufgeklärtes Gesamtpaket mit dem Besten aus beiden Welten, also aus Schul- und alternativer Medizin.

Man müsse eben beides nach individuellen Ansprüchen optimal kombinieren, fasste sie die Sendung zusammen. Dieses Leitmotiv prägt auch ihre Gesundheitsbücher, wie den Rückenratgeber oder "Das Geheimnis der Selbstheilung" die sie neben einer Bequemschuhkollektion und anderem Schnickschnack im Portfolio hat.

Zumindest eine Person wird durch diese Talkshow-Reihe also sehr gesund: Denn mit "Alles wird gut" gibt es beim ZDF jetzt das perfekte Werberahmenprogramm für die ganzheitliche Wellness-Therapie-Marke Nina Ruge.

"Nina Ruge: Alles wird gut", ZDF, donnerstags, 23.15 Uhr

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: