TV-Kritik: Maybrit Illner:"Die Bude brennt" bei Müntefering

Clash der Generationen: Ein SPD-Fossil trifft auf Youtube und junge Politiker. Franz Müntefering erklärte sich in der Talkshow des ZDF.

Hans-Jürgen Jakobs

In der Politik gibt es derzeit ein kleines Gesetz: Von Barack Obama lernen, heißt siegen lernen. Das gilt auch für politische Versuche im Fernsehen. Ja, und weil der US-Präsident im Internet so schön direkt mit dem Volk spricht, lässt nun auch Maybrit Illner im ZDF die Bürger persönlich Fragen über das Netz an Politiker richten.

TV-Kritik: Maybrit Illner: Ein Denkmal seiner selbst: Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering.

Ein Denkmal seiner selbst: Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering.

(Foto: Foto: dpa)

Youtube macht's möglich. Beharrlich sprach die ZDF-Talkerin in ihrer Sendung am Donnerstag von "unserem Portal", ganz so, als gehöre die Video-Tochterfirma des amerikanischen Informationskraken Google nun schon zum öffentlich-rechtlichen Inventar. Wichtiger war, dass die Zuschauer per Video etliche pointierte Fragen an Illners Stargast des Abends, den SPD-Chefdinosaurier Franz Müntefering, parat hatten.

Es entwickelte sich dank des Faktors Youtube eine muntere Sendung. Man fragte sich, warum nicht schon jemand früher die Video-Idee aufgegriffen hat und wünschte sich die Güte dieser Zuschauerfragen ganz einfach auch für manche anderen Gesprächsleiter im deutschen Fernsehen.

Natürlich blieb Müntefering trotz des Modernitätsschubs im ZDF der quasi unerschütterliche, faltenreiche Senior einer Krisenpartei und wurde nicht gleich zum Wunderheiler der SPD - auch wenn eine befragte Bürgerin im Einspielfilm glaubte, nur so etwas wie Obama oder vielleicht "junge Mädchen" könnten die Sozialdemokraten retten.

Der 69-jährige Vorsitzende der SPD saß im Studio und lächelte dazu. Manchmal schien er regelrecht verwundert zu sein über diese Youtube-Ära und die jugendliche Verve seiner Mitdiskutanten, Sven Giegold, 39, von den Grünen und Otto Fricke, 43, von der FDP. Von der gut aufgelegten Moderatorin Illner wurde Müntefering einmal geherzt als "jüngster Parteichef, den die SPD je hatte". Da lächelte der politische Rückkehrer wieder, diesmal etwas hilflos. So bitter können Pralinen sein, die einem hingehalten werden.

Das Geld und die Welt

Ansonsten gab das Fossil im Amt den unerschrockenen Kämpfer für harte Regeln gegen den Egoismus der Banker und Manager. Es ging im ZDF-Illner-Talk wieder mal um die Krise der Marktwirtschaft und gleich mehrfach skandierte der Sozialdemokrat, "Geld darf nicht die Welt regieren" - der "moderne Kapitalismus" müsse gestoppt werden. Kurzum: Müntefering gab den Oskar Lafontaine, und hatte somit ein gewaltiges Glaubwürdigkeitsproblem an der Backe.

War er nicht von 2005 bis 2007 Vizekanzler jener Regierung, die den Kapitalmarkt weiter dereguliert hat? Hat nicht seine SPD in vielen Amtsjahren den Kurs verloren? Und wo war Müntefering, als sich Lafontaine vor zehn Jahren vergeblich in der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder für neue Regeln im Weltfinanzsystem abmühte?

Der jetzige Vorsitzende, schon zum zweiten Mal auf diesem Posten, machte all die Zeit die alte Strippenzieher-Politik. Jetzt erklärte der SPD-Mann markig, "die Bude brennt", und erweckte bei "Maybrit Illner" den Eindruck, als werde der Staat bald die deutsche Wirtschaft verbeamten müssen - schließlich gebe es nicht nur "systemische Banken", sondern auch "systemische Unternehmen und Branchen".

Die dürften nicht fallen, damit das System insgesamt bestehen bleibt. Der Ex-Arbeitsminister meinte - betäubt von der "Wucht des Augenblicks", wie er das nennt -, den am Markt zu unerfolgreichen Autobauer Opel und den vom Fusionsfleckfieber befallenen Autozulieferer Schaeffler.

"Die Bude brennt" bei Müntefering

Diese "verheerende Sache", also die Wirtschaftskrise, werde man "ein, zwei Jahre" nicht loskriegen, sah der Sauerländer in die Zukunft. O-Ton Müntefering: "Das Leben ist, wie es ist." Und: "Wir lernen jetzt alle - dafür gibt es kein Lehrbuch."

Mag ja sein, aber lernt jemand wie der altgediente Parteisoldat schnell genug dazu? Von dem munter attackierenden, erstaunlich regen Grünen-Politiker Giegold bekam er zu hören, dass in Deutschland noch immer "zu viele große, dreckige Autos" gebaut würden, und dass die aktuellen Konjunkturrettungspakete eine "ökologische und soziale Schieflage" hätten.

Es handele sich um Steuerverschwendung, weil zu wenig in die Umwelt investiert werde und die Besserverdienenden von beschlossenen Steuerentlastungen am meisten profitieren würden. Stattdessen sollten, so Giegold, die niedrigen Hartz-IV-Sätze, etwa für Kinder, erhöht werden. Und überhaupt, für den Einstieg in die Commerzbank habe der Staat viel zu viel gezahlt.

Da war Leben im Studio. "Lasst es krachen", hatte Maybrit Illners Redaktionsleiter das Internet-Publikum zuvor aufgefordert. Müntefering aber blieb ganz Denkmal seiner selbst.

Steinmeier wird Kanzler

Unverdrossen von der frechen Rede der Jungen und der Video-Schnipselei da draußen beharrte der SPD-Chef auf Frank-Walter Steinmeier als nächstem Hausherren im Bundeskanzleramt: "Schwarz-Gelb wird es nicht geben." Punkt. Aus. Basta.

Vielleicht glaubt "Münte" ja, seine Partei habe sich in zehn Jahren Regierungsbeteiligung ein gewisses Dauermietrecht erwirkt. Oder er wollte im ZDF - klare Kante - als großer Antreiber der versprengten, demotivierten roten Truppe wirken. Aber auch nach dieser vergnüglichen Stunde "Maybrit Illner" ist nicht recht klar, wofür seine SPD steht - außer zum Programm "Ich kann Kanzler".

Bei Giegold gibt es keine Probleme, ihn zu verorten. Der Attac-Mitgründer erklärte, Berichte in der Wirtschaftspresse würden sich derzeit eher wie Kriminalromane lesen und hielt dem glattgebügelten, ebenfalls eloquenten FDP-Mann Fricke dessen neoliberales Gerede aus der Zeit vor der großen Krise vor.

Das ging erfrischend hin und her, so dass Müntefering aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam. Zum Schluss bilanzierte er, so eine Ampelkoalition könne "ganz schön anstrengend sein".

Er meinte natürlich die im Herbst arbeitende, neue rot-gelb-grüne Regierung unter Steinmeier, nicht unter dem FDP-Chef Guido Westerwelle. Da haben alle noch einmal herzhaft gelacht.

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