TV-Kritik: "Markus Lanz":Veronika, der Lanz ist da

Markus Lanz vertritt Johannes B. Kerner: Nicht nur Verona Pooth wurde am Abend von dem Boulevard-Mann überrascht.

Ruth Schneeberger

Diese Nachtkritik hätte sich fast wie von selbst geschrieben - bevor Markus Lanz angetreten ist, Kerner bei seinem abendlichen Talk im ZDF zu vertreten. Wer den ehemaligen Anchorman von RTL-"Explosiv" kennt, wer sein Interview mit dem "verlorenen Sohn" Marco Weiss auf demselben Sender durchlitten hat, der musste das Schlimmste befürchten: dass Lanz die weichgespülte Fragestunde eines Kerner noch übertrumpfen würde, dass er seine Gäste bis zur Unerträglichkeit umgarnen würde, dass die Boulevardthemen überwiegen und journalistische Qualitäten zur Unkenntlichkeit verkommen würden. Doch es kam anders.

markus lanz verona pooth dpa

Wenig Milde: Markus Lanz gegenüber Verona Pooth.

(Foto: Foto: dpa)

Dass an diesem Abend Verona Pooth auftreten und darüber sprechen würde, dass die Firma ihres Mannes auch ihr Geld schulde, das war schon vorab in den Medien zu erfahren. Wie aber der Moderator diese Neuigkeiten erst aus ihr herauskitzeln musste, das konnte man am Abend beeindruckt beobachten. Plötzlich war nichts mehr übrig von der seifigen Attitüde des Privat-Moderators, plötzlich ging er mit Verona Pooth hart ins Gericht. "Glauben Sie, dass die Pleite Ihres Mannes Ihrer Marke geschadet hat?" Da konnte die Werbe-Ikone, die im Umgang mit den Medien als äußerst geschickt gilt, noch so oft ausweichen. Markus Lanz stellte die Frage immer wieder.

Ob es klug gewesen sei, nach der Pleite ausgerechnet in Dubai Urlaub zu machen, wo doch einige Gläubiger nun am Baggersee säßen, in dieser Frage ließ er ebenfalls nicht locker. "Sie winden sich ja", strahlte er schließlich. Und es stimmte: Die mit dem Blubb wand sich hin und her, hatte ihr schönstes Lächeln und ihr rotestes Kleid angezogen, doch ihre Rechnung, am Ende als strahlende Gewinnerin aus der Pleite ihres Mannes hervorzugehen, ging nicht ganz auf.

Lanz legte ihr eine Forsa-Umfrage vor, die belegen sollte, dass ihr Image keinen Schaden genommen habe. Dieser Auftritt hat es trotzdem getan. Obwohl sicherlich vorher gut ausgeheckt worden war, wie Verona nun selbst als Opfer der Pleite dargestellt werden sollte. Doch sie musste zu oft betonen, dass sie nichts von den Geschäften ihres Mannes, der sie in einem Interview als seine "beste Beraterin" bezeichnet hatte, verstehe. Lanz konnte sogar das Datum des Interviews zitieren. Ein paar Minuten brauchte man schon, um die niedliche Stimme und das Bubi-Gesicht des Moderators mit seinem neuen investigativen Auftreten zusammenzubringen - aber dann funktionierte es.

Kerniger als Kerner

Unbequem wurde der Moderator auch dem Ehepaar Wahler gegenüber, das einen teuren Edel-Kindergarten zur frühkindlichen Förderung von kleinen Genies in Stuttgart betreibt. Ob nicht eher glückliche als schlaue Kinder erwünscht seien, fasste er recht boulevardesk zusammen und hatte das Publikum damit auf seiner Seite. Meinungsmache hätte man ihm da glatt vorwerfen können, als er es "sympathisch" fand, dass der vierjährige Sohn der Wahlers im Gegensatz zu ihrer dreijährigen Tochter noch nicht lesen und schreiben könne. Andererseits sind solche Interviews, bei denen es weniger um die Vorteile als um das kritische Hinterfragen eines Projekts geht, selten in deutschen Talkshows. Da hätte es den Psychologen Michael Thiel, den man ebenfalls aus dem Privatfernsehen kennt, wo er schon ein bisschen zu oft als Experte im Publikum gesessen hat, gar nicht mehr gebraucht. Lanz machte seinen Job ganz gut allein.

Einzig in seiner eigenen Disziplin versagte er an diesem Abend: auf dem explosiven Gebiet. Zehn Jahre nach dem größtem Zugunglück in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dem ICE-Unfall von Eschede, war Udo Bauch zu Gast, der die Katastrophe schwer verletzt überlebt hat und bis heute auf eine Entschuldigung der Bahn wartet. Der ehemalige Manager wollte von seiner Nahtoderfahrung berichten. Doch Lanz unterbrach ihn in bester Beckmann-Manier, um mit getragener Stimme den Ablauf des Zugunglücks minutiös zu schildern. An den ungeeignetsten Stellen hakte er nach. Udo Bauch erzählte: "Ich habe höllische Schmerzen gehabt." Lanz: "Haben Sie diese Schmerzen gespürt?" Da hatte er wohl einen RTL-Flashback.

Es wäre zu leicht, den Boulevard-Mann an seinem ersten eigenen Abend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu verreißen. Denn man sollte sich gut überlegen, mit wem man ihn vergleicht. Kerniger als Kerner und bissiger als Beckmann war Lanz bei seinem Debüt allemal. Das ist nicht viel, aber es ist weit mehr als zu erwarten war. Endlich mal ein Talkmaster, der beim Nachhaken nachdenkt und nicht nur vom Blatt abliest. Weiter so.

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