TV-Kritik: Maischberger:Lieber Knödel als Brokkoli

Stehen Dicke in unserer Gesellschaft am Pranger? Nicht in der Sendung von Sandra Maischberger: Dort bekamen ignorante Schlanke ihr Fett weg.

Mirja Kuckuk

Es herrschte ein ziemliches Ungleichgewicht bei Sandra Maischberger. Auf ihre komfortablen Studiosessel lud die Talkmasterin zu später Stunde zum Gespräch über ein sensibles Thema: Werden Übergewichtige diskriminiert? Sind Kinosessel zu schmal? Müssen Dicke im Flugzeug für zwei Plätze zahlen? Warum halten Zahnarztstühle nur 130-Kilogramm-Patienten aus? Diese und andere Fragen aus dem Alltag Adipositas-Kranker stellten sich sechs Gäste - zwei Schlanke und vier (ehemalige) Dicke.

TV-Kritik: Maischberger: Blieb bei der Diskriminierungsthese, dass selbst das Gesundheitswesen nicht auf Übergewichtige eingestellt sei: TV-Moderatorin Sandra Maischberger:

Blieb bei der Diskriminierungsthese, dass selbst das Gesundheitswesen nicht auf Übergewichtige eingestellt sei: TV-Moderatorin Sandra Maischberger:

(Foto: Foto: AP)

Die vier Leid- beziehungsweise schweres Gewicht Tragenden: Thomas Sittinger (163 Kilogramm), Sabine Naß (ehemals 156 Kilogramm, heute 80), Promi-Koch Johann Lafer, der in einem Jahr 30 Pfund abspeckte, und Margit Schönberger, die ihre Meinung von Diäten bereits in ihrem Buch "Die Diätenhasserin" publik macht. Ihnen zur Seite stellte sich Mediziner Günther Heller: Ein schlanker Mann im Kampf für die Dicken, der von einer "Hexenjagd durch Staat und Gesellschaft" spricht.

Mit 1,68 Meter und 50 Kilogramm die wohl Schlankeste und mit ihrer Eingangsthese "Dicke sind für ihr Gewicht selbst verantwortlich" scheinbar ziemlich allein in der Runde: Ernährungs- und Sportmedizinerin Annette Heller.

Es versprach eine spannende Diskussion zu werden, doch Dick und Dünn konnten es sich bequem machen auf Maischbergers Sesseln, denn hier wurde niemand an den Pranger gestellt geschweige denn argumentativ wirklich herausgefordert - dafür sorgte die Talkmeisterin.

Dick und Dünn machen es sich auf Maischbergers Sesseln bequem

Eine Stunde lang durfte ein jeder von seinem Schicksal berichten - jedoch durchaus hörenswert für Zuschauer, gleich welchen Gewichts. Das Paar Sittinger/Naß etwa gehörte zu den XXL-Betroffenen mit einem Body-Mass-Index von 40 (als "normal" gilt ein BMI-Wert von 20) und hat sich des hoffnungslosen Übergewichts durch einen radikalen Schnitt entledigt - einer Magenverkleinerung. Der Eingriff ist nicht ohne: Der Chirurg trennt den Magen an einer hohen Stelle ab und verbindet ihn mit einem unteren Teil des Dünndarms. Auf diese Weise wird ein Großteil des Magen-Darm-Trakts ausgeschaltet und man entledigt sich des ständigen Magenknurrens. Das Risiko: Thomas Sittingers Magen fasst heute nur noch 60 bis 100 Milliliter, größere Portionen bescheren dem frisch Operierten Schmerzen. Dennoch: Innerhalb von drei Monaten hat er bereits 25 Kilogramm abgenommen.

Um einen Ansturm auf Adipositas-Praxen wie die von Doktor Frank nach der Sendung zu verhindern und überzogene Erwartungen von Leidensgenossen abzuschwächen, relativiert Sabine Naß, die auf diesem Weg immerhin fast 80 Kilogramm verloren hat: "Ich lebe mit einer ständigen Mangelverdauung und -versorgung. Ich bin ein Dauerkauer, der nur noch sehr kleine Portionen essen kann."

Sternekoch Johann Lafer wirbt für Diät mit Genuss

Trotzdem würden die positiven Auswirkungen dieser radikalen Abspeckmethode die Risiken und Folgeerscheinungen aufwiegen. Denn Naß und Sittinger fühlten sich zunehmend isoliert in einer Gesellschaft, in der Schlanksein mit Erfolg und Lebenslust gleichgesetzt wird. "Ich wurde auf der Straße als Dicker beschimpft", klagt Sittinger. Und: "Im Kino fühlte ich mich immer im Weg." "Ich habe mich geschämt, wenn mir im Geschäft eine Münze runterfiel und ich mich nicht nach ihr bücken konnte", pflichtet ihm seine Partnerin bei.

Dabei gibt sich die Mutter dreier Kinder durchaus selbstkritisch: "Ich habe immer zu viel und falsch gegessen. Ich komme aus einer Metzgerfamilie, schon als Kind war ich propper und das nahm ständig zu."

Der einzig erlaubte Rassismus in Deutschland

Ein weiteres Metzgerkind mit - nach gesellschaftlicher Norm "übermäßigen" Pfunden auf den Hüften - ist Margit Schönberger. Nach "100 umgewälzten Kilo" durch rund 30 erfolglose Diäten hat sie das Abnehmen bewusst aufgegeben: "Ich esse lieber Knödel als Brokkoli." Und geht zum Gegenangriff über: "Der einzig erlaubte Rassismus in Deutschland richtet sich gegen die Dicken!"

"Ja, aber ...", wagt da das erste Mal Ernährungsmedizinerin Heller einzuwenden, "Aber Sie leben selbstbewusst mit ihrem Gewicht - ein Großteil der Dicken leidet unter seinem Übergewicht. Also müssen sie etwas tun."

Dieser erste Anflug von Interaktion in der Gesprächsrunde verpufft leider. Die Moderatorin bleibt lieber weiter bei der Diskriminierungsthese: Selbst das Gesundheitswesen sei nicht auf Übergewichtige eingestellt sei - Arztstühle würden nur ein bestimmtes Gewicht tragen. Die Manschetten von Blutdruck-Messgeräten umfassten nicht alle Arme.

Und unterstreicht die Ungleichbehandlung durch einen Einspieler mit einem weiteren Beispiel. Der kurze Film erzählt von Gabi König, einer 90 Kilogramm schweren Lehrerin, der nach einem kurzen Besuch beim Amtsarzt die Verbeamtung versagt wurde. Der Frau gehen damit 600 Euro Nettogehalt im Monat verloren.

Heller: "Im Kopf muss sich etwas ändern"

"Das ist gemein", kommentiert Adipositas-Spezialist Frank. "Der Staat diskriminiert Menschen aufgrund von Körpermerkmalen." Wenn man den BMI-Berechnungen folgen würde, gelte selbst er mit einem Wert von 26 als "Fettsack". Alle Abnehm-Programme, vor allem die staatlich finanzierten wie der Nationale Aktionsplan "Fit statt fett", vermitteln, laut Frank, bereits Kindern ein schlechtes Körpergefühl. Mollige Kinder würden unter Druck gesetzt abzunehmen und durch diesen Stress nur noch mehr zunehmen. "Und selbst Normalgewichtige fühlen sich anschließend zu dick."

"Im Kopf muss sich etwas ändern - man muss abnehmen wollen!", erwidert Kollegin Heller, doch nun ist erst einmal Promi-Zeit: Sternekoch Johann Lafer ist an der Reihe, sein Buch und sein Diätprogramm zu featuren: Schlank mit Genuss. Dafür hat Maischberger allerlei Appetitanregendes auffahren lassen. Bis zu sechs Brötchen mit Butter, Nutella oder Marmelade verdrückt Lafer zum Frühstück - ohne schlechtes Gewissen oder Gewichtszunahme.

Nach fünf Stunden Pause gibt es eine Spargel-Pizza oder ein Nudelgratin zum Mittag. Abends, so das publizierte Geheimnis gibt es nur noch Eiweißhaltiges: Omelette mit Morcheln oder Hühnerbrust mit Tomatensalat. "Ich will nur mein Leben erzählen, ich bin der lebende Beweis, dass man auf diese Weise abnehmen kann", sagt Lafers - und enthält sich auch fortan jeder aufkommenden Diskussion.

Überhaupt geht es in dieser Sendung in unserer mit Ratgebern übersättigten Gesellschaft viel um Bücher. Bis auf die radikal Operierten Sittinger und Naß hat jeder Gast ein Buch geschrieben, das Erwähnung findet. Und wenn es dazu dient, endlich mal als Anlass für einen Angriff zu dienen: "In Ihrem Buch lautet doch jedes zweite Wort 'Verzicht'", attackiert unvermittelt Doktor Frank seine Kollegin. "Dabei wird jeder Vierjährige, der eingeimpft bekommt, nicht zu viel zu essen, automatisch dicker, als er werden müsste - allein durch den psychischen Stress."

Mit seinem eigenen Buch hingegen gibt der Arzt die "Lizenz zum Essen". Denn, so Frank, laut einer Studie würden Dicke durchschnittlich weniger Kalorien am Tag essen als Schlanke. Es sei eine Frage der Gene. Heller hält dagegen: "Ich lasse meine Patienten Tagebuch führen - und da wird sehr wohl von einer Handvoll Nüssen zwischen den Mahlzeiten und einer Tüte Chips vor dem Fernseher berichtet."

So viel zum Schlagabtausch zwischen zwei Medizinern, die sich sicher viel mehr zu sagen gehabt hätten. Doch bei dem sensiblen Thema "Dicke am Pranger" wollte schließlich keiner derjenige sein, der mit dem Finger auf den anderen zeigt.

Und so leitet Maischberger mit einem eher müden Bezug auf "die Krise" über zu einem abschließenden Filmchen, der einen vermeintlichen "Trend" aufzeigen soll: der "Big Beautiful Women"-Bewegung in den USA, bei der sich XXL-Frauen auf Partys selber feiern.

Das Schlusswort überlässt sie der einzig Humorvollen und Kampfeslustigen des Abends: Diätenhasserin Schönberger, die uns daran erinnert, in welch diskriminierender Welt wir doch leben: "In heutigen Zeiten würde ein Franz Josef Strauß nicht mehr Ministerpräsident werden - oder zumindest nicht verbeamtet." Vielleicht nicht der schlechteste Gedanke des Abends.

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